»Gefährten sucht der Schaffende«

Our Emotional Participation in the World
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Interview
Published On:

January 21, 2016

Featuring:
Christopher de la Garza
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Issue:
Ausgabe 09 / 2016:
|
January 2016
Ganz nah
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Ein Comic, in dem es um die Zukunft der Welt geht. Ein junges Team, das vier Jahre am ersten Buchband »Corpus Separatum« arbeitete. Für den »Tagesspiegel« »eines der gegenwärtig aufwendigsten Comic-Projekte Deutschlands«. Aber weitaus mehr als ein Comic. Wir sprachen mit dem Autor und Produzenten Christopher de la Garza über »Hemispheres«.

evolve: Wie ist euer Projekt »Hemispheres« entstanden?

Christopher de la Garza: Ich wollte vor fünf Jahren einen Roman schreiben, über eine fiktive Gesellschaft in der Zukunft, die ihre Probleme nur noch symptomatisch bekämpft, statt deren Ursachen anzugehen. Darüber habe ich mir eigentlich schon seitdem ich zehn oder zwölf war Gedanken gemacht: Was motiviert Menschen in ihrem Verhalten und wie kann man Menschen zum Nachdenken oder Umdenken bewegen? Dann habe ich mich gefragt, womit ich viele Menschen erreichen kann und mir wurde klar, dass das kraftvollste Mittel dafür die Medien sind. So habe ich mich entschlossen, Mediengestalter zu werden. Während der Ausbildung habe ich die Idee für einen Science-Fiction-Roman weiterentwickelt. Da sollte es um eine Suchende gehen, die als Einzige in der Gesellschaft eine reine Absicht in sich trägt. Ich wollte das sehr wissenschaftlich behandeln, sodass diese Gesellschaft nicht an eine Seele im spirituellen Sinne glaubt, sondern man versuchen wollte, diese reine Absicht aus der Frau technisch zu extrahieren. Dann sollte diese Absicht reproduziert werden, um die Gesellschaft, die vor dem Abgrund steht, zu retten. Ich habe meinem Freund Sascha von der Idee erzählt und er meinte, dass wir die Geschichte um eine weitere Perspektive erweitern sollten – durch einen utopischen Teil und eine zusätzliche Bebilderung.

e: Wie kam es, dass du dir schon so jung solche Fragen gestellt hast?

CG: Naja, man sieht ja, was in der Welt geschieht. Darüber hatte ich schon früh so einen Schmerz, wenn man sieht, wie rücksichtslos viele Menschen handeln. Ich konnte nicht verstehen, warum sich Menschen oft so absurd verhalten, in unserem Umgang mit der Umwelt und miteinander. Dann habe ich ein Zitat von Nietzsche gelesen, das mich beeindruckt hat: »Gefährten sucht der Schaffende und nicht Leichname, und auch nicht Herden und Gläubige. Die Mitschaffenden sucht der Schaffende, die, welche neue Werte auf neue Tafeln schreiben. … Den Schaffenden, den Erntenden, den Feiernden will ich mich zugesellen …« Für mich war dann klar, dass es nicht darum geht, die Leute zu missionieren, zum Beispiel, dass man weniger oder gar kein Fleisch mehr essen sollte, sondern dass man selbst kreativ werden muss. Ich merkte, man kann die Leute nicht bekehren, aber motivieren vielleicht schon.

¬ ENTSCHLÜSSE FASSEN IST DAS STÄRKSTE, WAS MAN TUN KANN. ¬

e: Und das wollt ihr mit eurer Graphic Novel erreichen?

CG: Ja, und auch da ist Nietzsche mit im Gepäck. In »Also sprach Zarathustra« kommt ja ein Einsiedler vom Berg zurück in die Stadt. Solch ein Bild hatte Sascha auch im Kopf, und was lag da näher, als einen buddhistischen Mönch zu wählen? Wir sind dabei keine Botschafter des Buddhismus, sondern zeigen auch, dass der Protagonist verwundbar ist und seine Höhen und Tiefen durchlebt. Wir haben die Geschichte in die Zukunft gelegt, um die Signale, die wir in gegenwärtigen gesellschaftlichen Phänomenen sehen, zu verstärken. Es ist also keine reine Science-Fiction, sondern wir recherchieren gesellschaftliche Trends, schauen Design-Entwicklungen an und überzeichnen sie.

Dem Mönch wollten wir eine weibliche Protagonistin gegenüberstellen, die als Aktivistin impulsiv ist und nicht erst über alles nachdenkt, sondern einfach etwas tut. Sie hat die Energie und der Mönch die Weisheit. In »Hemispheres« wollen wir diese beiden Pole ausloten. Sie werden sich im Laufe der Geschichte sehr nahe kommen, aber sie werden sich auch sehr stark wieder abstoßen, wie die Energie nach einer Kernfusion.

e: Wie war der kreative Prozess in eurer Zusammenarbeit?

CG: Ich habe ein Drehbuch geschrieben und gemeinsam mit Sascha weiterentwickelt, der auch die Bilder dazu skizziert und gemalt hat. Weil wir die Geschichte möglichst authentisch darstellen wollten und die Leser den Eindruck haben sollten, dass sie real sein könnte, haben wir uns für eine fotorealistische Mal-Form entschieden. Wir haben dann zuerst einen buddhistischen Mönch aus Leipzig in drei verschiedenen Posen fotografiert, aber bald gemerkt, dass das nicht ausreicht. Deshalb habe ich dann die Rolle des Mönchs übernommen, also Fotos von mir bilden die Grundlage für die Zeichnungen dieses Charakters. Und dann brauchten wir noch »Vorlagen« für die anderen Charaktere und entsprechende Fotos. Das war und ist auch immer noch extrem aufwendig. Dieser ganze Prozess, von den ersten Zeichnungen bis zum ersten Band von »Hemispheres« hat vier Jahre gedauert. Anfangs wohnten Sacha und ich in einer WG zusammen, da konnten wir uns ständig die Ideen hin- und herspielen. Aktuell promoviert Sascha in Weingarten, da ist es nun nicht mehr so einfach.

Anfang 2015 saßen wir zusammen, da war auch Simon als Fine Artist schon einige Zeit mit dabei, und wir entschlossen uns, dass wir den ersten Teil 2015 gemeinsam beenden. Wir haben dann im Akkord alle zwei Wochen eine neue Seite fertiggestellt. Der Druck war unglaublich hoch und ein paar Mal hätten wir fast hingeschmissen; wir waren alle am Limit.

e: Was hat euch zusammengehalten?

CG: Die gemeinsame Vision und auch der Entschluss, den wir gefasst haben. Ich glaube, Entschlüsse fassen ist das Stärkste, was man tun kann. Und wenn man mit dieser Möglichkeit geht, gibt man dem Scheitern keinen Raum. Und zusammen so ans Limit zu kommen und diese Herausforderung anzunehmen und zu bestehen, gibt einem selbst und der Beziehung miteinander auch ungeheuer viel Stärke.

e: Wie wird euer Projekt »Hemispheres« weitergehen?

CG: Wir haben die Graphic Novel vorerst auf drei Bände ausgelegt. Im zweiten Band wird es eine Marsmission geben und wir werden die Gegensätze zwischen den beiden Protagonisten, David und Selah, noch etwas auf die Spitze treiben. Selah ist der Überzeugung, dass gesellschaftliche Transformation nur durch eine Alternative möglich ist. Und sie meint, dass es dafür bereits zu spät ist und die notwendige Veränderung nur durch die Destruktion des Alten möglich ist. Aber mehr will ich hier nicht verraten.

»Hemispheres« ist für uns mehr als die Graphic Novel. Die Frage, »Wie wollen wir leben?«, die in der Geschichte gestellt wird, wollen wir auch in anderen Formen in den Dialog bringen. Als der erste Band herausgekommen ist, haben wir eine Vortragsreihe, die »8 Tage der Achtsamkeit«, zu dieser Frage veranstaltet. Bis Anfang/Mitte 2016 wollen wir eine Web-Plattform aufbauen, die ein Forum für diese Fragen sein soll. Mit Empfehlungen und Blogeinträgen rund um Umwelt, Gesundheit, Bewusstsein wollen wir die Impulse für ein Utopia zusammenbringen und der Bewegung für ein bewussteres Leben – oder wie man es immer nennen will – eine gemeinsame Stimme geben. Je lauter die Stimme für bewusstes Leben, für Lebensqualität, für den Blick in die Zukunft, für das Potenzial, das die Menschheit hat, wird, desto eher kann sich auch gesellschaftlich etwas verändern. Und wir wollen das auch mit einer Business-Idee verbinden, denn kreatives Unternehmertum ist, denke ich, ein gutes Medium, um dieses Potenzial als gemeinsame Stimme zu vereinen. Da vertrauen wir auch auf unsere Fans und Partner, unsere Community. Deshalb reisen wir zu vielen Konferenzen und Comic-Messen, um mit den Leuten in Kontakt zu sein. Mit »Hemispheres« legen wir ein Grundgerüst von Ideen, aber das ist immer ein Dialog, weil die Crowd eine Power hat, die man nicht unterschätzen sollte. Und die bringt eben mehr Perspektiven ins Spiel.

Author:
evolve
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