Make Democracy Great Again!

Our Emotional Participation in the World
English Translation
0:00
0:00
Audio Test:
Essay
Published On:

January 16, 2017

Featuring:
Axel Malik
Harald Welzer
Categories of Inquiry:
Tags
Issue:
Ausgabe 13 / 2017:
|
January 2017
Liebe in Zeiten von Trump
Explore this Issue

Please become a member to access evolve Magazine articles.

Die Initiative Offene Gesellschaft

In der letzten Zeit taucht ein Begriff im öffentlichen Diskurs auf, der neu ist, aber gleichzeitig eine Selbstverständlichkeit zu sein schien: die offene Gesellschaft. Als solche verstehen sich die meisten westlichen Demokratien, getreu des Aufrufs des Soziologen Ralf Dahrendorf: »Wir leben in einer Welt der Ungewissheit. Niemand weiß genau, was wahr und was gut ist. Darum müssen wir immer neue und bessere Antworten suchen. Das geht aber nur, wenn Versuch und Irrtum erlaubt sind, ja, ermutigt werden, also in einer offenen Gesellschaft. Sie wenn nötig zu verteidigen und sie jederzeit zu entwickeln, ist daher die erste Aufgabe.«

In unseren Zeiten des zunehmenden Populismus und der Hasskommentare im Internet zeigt sich nun, wie wichtig es ist, in einer offenen Gesellschaft Räume für Diskussion und Dialog zu pflegen, die den Grundwerten von Freiheit, Toleranz und Menschenwürde verpflichtet sind. Und wir erfahren heute auch, dass die offene Gesellschaft, die wir kennen, fragil ist und geschützt und entwickelt werden muss, damit diese Grundrechte weiterhin unser Leben bestimmen und unserer Gesellschaft weitere Entwicklungsschritte ermöglichen. Die Initiative Offene Gesellschaft will als Plattform des Bürgerengagements solche Gesprächs- und Erfahrungsräume schaffen, in denen ein kontroverser aber wertschätzender Diskurs geführt werden kann. Gegründet wurde die Initiative von dem Sozialpsychologen Harald Welzer, dem ­Politikwissenschaftler Alexander Carius, dem Kommunikationsberater Stefan ­Wegner und dem Autor Andre Wilkens. Bisher haben sich 1.000 Menschen in diesem Netzwerk verbunden, das von der Open Society Foundation, der Robert Bosch Stiftung, der Bertelsmann-Stiftung und vielen anderen Organisationen unterstützt wird.

¬ Wir erfahren heute, dass die offene Gesellschaft, die wir kennen, fragil ist. ¬

Das Projekt begann als Reaktion auf die Flüchtlingskrise und die damit verbundenen gesellschaftlichen Diskussionen mit der Debattenreihe »Welches Land wollen wir sein?«. Auf 50 Veranstaltungen mit­etwa 8.000 Menschen überall in Deutschland haben sich Menschen oft in Theatern oder anderen kulturellen Orten über die Zukunft unseres Landes ausgetauscht. Dabei gab es prominente Gastgeber, die aber die Rolle des Gesprächspartners einnahmen. Ein dialogischer Prozess war das ausdrückliche Ziel. Einige Beiträge aus den Diskussionen sind in dem Debatten-Band »Die offene Gesellschaft und ihre Freunde« erschienen.

Dem Projekt scheint es zu gelingen, neue Denk- und Gesprächsräume zu öffnen. Der Berliner Künstler Axel Malik etwa sagt über die Erfahrung des dialogischen Prozesses bei einer dieser Veranstaltungen im Deutschen Theater in Berlin: »Es gab einige Impulse von kurzer Länge, aber schon bald wurde das Mikro im Saal herumgegeben. Was mich erstaunt hat, es gab kein heilloses Durch­einander, sondern es kam tatsächlich zu einem offenen Raum, in dem keiner wusste, was der nächste sagt und beiträgt. Bei aller Formlosigkeit war das Gespräch vom Zuhören getragen. Dieser offene Raum hatte auch sehr viel Stille. Wenn jemand sprach, hörten alle sehr aufmerksam zu. Aus diesem offenen Raum heraus konnte sich ein lebendiger und authentischer Austausch artikulieren. Darin wurden dann weniger Meinungen ausgedrückt, sondern es wurden persönliche Wahrnehmungen und Beobachtungen erzählt, in denen Glaubwürdigkeit und Authentizität spürbar waren. Ich habe es als eine positive und gemeinsame Kultur empfunden, in der das Bedürfnis nach Engagement erlebbar war. Es war wie eine gemeinsame Suche, bei der alle Fragen haben und vieles infrage gestellt erscheint, weil wir vor so vielen Problemen stehen. Aber es wurde klar, dass wir selbst auf eine gewisse Weise die Antwort sind und sie nur gemeinsam durch Veränderung, neue Strukturen und Transformation geben können.«

Das neue Projekt der Initiative Offene Gesellschaft läuft nun im Jahr der Bundestagswahl unter dem Titel »365 Tage Offene Gesellschaft« und umfasst verschiedene Veranstaltungen, die den Kern und die Werte der offenen Gesellschaft zum Ausdruck bringen, wie Filmaufführungen, Musikfestivals, Debatten, Theaterstücke, Lesungen, Ausstellungen oder Demonstrationen. Jeder kann sich als Freundin und Freund der Offenen Gesellschaft registrieren und eigene Aktionen planen und umsetzen. Die Initiative Offene Gesellschaft unterstützt solche Aktionen mit der Präsentation auf der Webseite, Kontakt zu prominenten Botschaftern aus Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft, Pressearbeit, Vernetzung, finanzieller Förderung durch einen Fonds der Robert Bosch Stiftung sowie praktischer Beratung zur Umsetzung von Aktionen.

Gerade in Zeiten, in denen unsere Demokratie von populistischen Kräften im In- und Ausland infrage gestellt wird, ist solch eine Initiative zur Verteidigung einer offenen Gesellschaft wohl dringender denn je. Zudem bietet sie den Raum, nicht nur das Erreichte zu sichern, sondern auch neue Visionen für unsere Zukunft zu entwickeln.

www.die-offene-gesellschaft.de

Author:
Mike Kauschke
Share this article: