High zu sein, ist noch kein Erwachen

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Buch/Filmbesprechung
Published On:

April 16, 2020

Featuring:
Richard Alpert
Timothy Leary
Ram Dass
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Issue:
Ausgabe 26 / 2020
|
April 2020
Menschliche Reife
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Eine Besprechung des Filmes »Becoming Nobody«

Ich bin nicht meine Gedanken und Gefühle und muss nicht wie ein Automat aus ihnen handeln.« Das ist eine Erfahrung, die heute zunehmend mehr Menschen aus unserer westlichen Kultur machen. Die Introspektionspraxis Meditation, die diese Erfahrung ermöglicht, wurde jahrhundertelang in Asien geübt. Dorthin reisten in der Aufbruchsstimmung der 60er-Jahre viele Pioniere aus dem religiös dogmatisierten und intellektualisierten Westen auf der Suche nach spirituellen Erfahrungen. Einer von ihnen war der Psychologieprofessor Richard Alpert. Er hatte in Harvard zusammen mit Timothy Leary mit Psychedelika experimentiert, um das Bewusstsein zu erweitern. Die High-Erfahrungen, die er dabei gemacht hatte, konnte er im Alltag nicht halten und alle weiteren Drogenexperimente schufen nicht den anhaltenden Zustand erhöhten Bewusstseins, nach demer suchte. Schließlich, nach siebenjähriger Suche, fand er ihn verkörpert in dem indischen Guru Neem Karoli Baba. Bei ihm lernte er und wurde anschließend selbst spiritueller Lehrer mit dem Namen Ram Dass, was Diener Gottes bedeutet.

Zurück in Amerika wurde er mit seinem Buch »Being here now« zu einem Vorbild vieler spiritueller Sucher. Es war der Beginn der East-meets-West-Spiritualität mit einem gehörigen Schuss Hippie-Kultur. Dies war ein revolutionärer Aufbruch und hatte für die ganze westliche Kultur eine tiefgreifende Bedeutung. Die heutige Popularität der Achtsamkeit geht auch auf diese Pioniere zurück. Ram Dass war gleichzeitig der Archetyp einer Generation spiritueller Lehrer in den USA, ähnlich ikonisch wie Osho, nur ohne große Skandale. Damals entstand eine Spiritualität, die das Individuum und seine Erfahrungen ganz in den Mittelpunkt stellte, natürlich war sie auch Teil einer beginnenden hyperindividualistischen Kultur. Vielleicht steht der Tod von Ram Dass Ende letzten Jahres auch für das Ende einer Ära, der Ära der postmodernen Spiritualität.

Der Film »Becoming Nobody« lässt dieses Stück spirituelle und kulturelle Zeitgeschichte erlebbar werden. Gedreht hat ihn ein Schüler von Ram Dass, der britische Videoregisseur und Musiker Jamie Catto. Interviewsequenzen, in denen Catto mit dem alten, von einem schweren Schlaganfall gezeichneten Ram Dass spricht, bilden den Rahmen des Films. (Manchmal hat man dabei den Eindruck, dass der Filmemacher seinem Interviewpartner nicht gewachsen ist.) Darin eingebettet sind viele dokumentarische Mitschnitte aus verschiedenen Perioden von Ram Dass‘ Lehrtätigkeit. Als Zuschauer erlebt man ihn als freud- und humorvollen Lehrer mit einer klaren, markanten Sprache. Ständig sind ein Augenzwinkern und eine gute Portion Selbstironie mit von der Partie. Seine Erfahrungen sieht er als lehrhaft für uns alle, und so kann man den Film gleichzeitig als dokumentarische Zeitgeschichte und spirituelles Teaching sehen:

Wir alle werden – laut Ram Dass – in einen Raumanzug hineingeboren, und wir versuchen, diesen Anzug so gut wir können zu füllen. Sein Raumanzug passte ihm allerdings nie richtig. Er fühlte sich darin immer ein wenig unwohl und hatte den Eindruck, dass wir uns alle miteinander in einer Art Verschwörung bewegen: Ich tue so, dass du der sein kannst, von dem du denkst, dass du es bist. Du tust so, dass ich der sein kann, von dem ich denke, dass ich es bin. Jeder ist schwer damit beschäftigt, jemand zu sein, der er eigentlich nicht ist. Anders erlebte der junge Alpert es in seinen psychedelischen Erfahrungen. Dort konnte er sehen, dass wir uns alle eigentlich ähnlich sind, während unsere Kultur Verschiedenheit und Abgrenzung fördert. Eine Erfahrung mit Psilocybin brachte ihn zur Erfahrung des Seins und schließlich an den Fuß des Himalaya zu seinem Lehrer.

Dort lernte er, dass nicht – wie zunächst für ihn und seine Hippiezeitgenossen – das Highsein erstrebenswert ist, sondern frei im gegenwärtigen Moment zu sein, mit allem, was ist. Erwachen verstand er nun als Prozess: Man ist wach, man schläft wieder ein und wacht wieder auf. Die Seele kommt, laut Ram Dass, auf die Erde, um zu lernen, sich selbst mit Humor und Liebe zu sehen und um die Gelassenheit und den Humor zu verstärken. Ein freudvolles Leben lässt sich aber nur leben, wenn wir unseren Frieden mit dem Tod geschlossen haben. Dazu müssen wir unseren Empfang auf einen höheren Sender, das Bewusstsein, einstellen. Ram Dass hat sich durch seine Erfahrungen auf diese Frequenz eingestimmt und viel zur spirituellen Kultur der vergangenen Jahrzehnte beigetragen. Der Film lässt seine Weisheit und Hingabe spürbar werden, genauso aber auch den Zeitgeist einer vergangenen Zeit.

Author:
Elke Janssen
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