Nicht-intentionale Gemeinschaft

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Kolumne
Published On:

January 27, 2025

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Ausgabe 45 / 2025
|
January 2025
Lebendige Praxis
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Ich bin vor Kurzem auf eine schottische Insel mit vier ständigen Bewohnern gezogen. Die Insel ist keine bewusst gewählte Lebensgemeinschaft im Sinne einer Kommune oder eines Ökodorfes. Wir leben in getrennten Wohnungen, haben unterschiedliche Berufe, soziale Kreise und Hobbys. Es gibt keine gemeinsame Morgenmeditation und auch kein Regelwerk im Sinne der Zehn Gebote, wie man sich hier zu verhalten hätte. Was es gibt, ist eine organische »Ökonomie der Beziehungen«: Du hilfst mir beim Schafehüten, ich bringe dir das Nötigste vom Festland mit und so weiter. Es gibt keine vorherrschende Ideologie, die unser Verhalten bestimmt, keine Schuldzuweisungen, kein moralisches Auftreten oder dogmatische Diskussionen.

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Ich bin vor Kurzem auf eine schottische Insel mit vier ständigen Bewohnern gezogen. Die Insel ist keine bewusst gewählte Lebensgemeinschaft im Sinne einer Kommune oder eines Ökodorfes. Wir leben in getrennten Wohnungen, haben unterschiedliche Berufe, soziale Kreise und Hobbys. Es gibt keine gemeinsame Morgenmeditation und auch kein Regelwerk im Sinne der Zehn Gebote, wie man sich hier zu verhalten hätte. Was es gibt, ist eine organische »Ökonomie der Beziehungen«: Du hilfst mir beim Schafehüten, ich bringe dir das Nötigste vom Festland mit und so weiter. Es gibt keine vorherrschende Ideologie, die unser Verhalten bestimmt, keine Schuldzuweisungen, kein moralisches Auftreten oder dogmatische Diskussionen.

Stattdessen bestimmt der Ort, an dem wir leben, unsere Interaktionen. Alles entspringt aus dieser Wurzel. Der Schwierigkeit, an einem solchen Ort zu leben, kann man nur schwer entkommen, denn fantasievolle Abstraktionen sind hier in Bezug auf Beziehungen nicht von Erfolg gekrönt. Sie wirken zu seicht, wenn nicht gar naiv, und ich schreibe dies als jemand, der sich häufig solchen Abstraktionen hingibt, wenn es um Beziehungen geht. Die Realität spielt in diesem Umfeld nicht die gleichen Spiele. Sie spekuliert nicht, sie wiederholt sich. Was du siehst, ist das, was du bekommst. Wir entwickeln unsere Interaktionen nicht auf der Grundlage dessen, was als »richtige Beziehung« angesehen wird. Sondern wie wir sind und was wir tun, hängt davon ab, wie das Wetter ist, was das Land braucht und was es heute Abend zu essen gibt.

Gemeinschaft entsteht an einem Ort wie diesem, weil es so sein muss. Das ist nicht aus irgendeinem magischen oder romantischen Grund so, sondern weil sie schlicht und ergreifend das Überleben sichert. Keiner sehnt sich vor dem Frühstück nach Transzendenz. Es gibt Wochen, da sehen wir uns jeden Tag. Und manchmal sehen wir uns wochenlang nicht. Manchmal fühlt es sich »gemeinschaftlich« an und manchmal nicht, aber das Grundprinzip des Zusammenhalts bleibt bestehen. Nichts ist zwingend, aber alles wird auf die eine oder andere Weise erledigt. Wenn man bedenkt, dass Inselgemeinschaften besonders anfällig für Einflüsse wie den Klimakollaps oder wirtschaftliche Unsicherheit sind, spricht das Bände. Es geht hier nicht darum, eine Entweder-oder-Situation zu schaffen oder zu sagen: »Das ist der richtige Weg«, sondern vielmehr um die Frage: Was können wir lernen?

Intentionale Gemeinschaften erleben gerade eine Renaissance. Während die Gesellschaft von Fragmentierung geprägt ist, suchen viele nach neuen (oder wiederbelebten) Formen des Zusammenlebens, die über das Modell der Kernfamilien hinausgehen – und das ist verständlich.

»Der Ort, an dem wir leben, bestimmt unsere Interaktionen.«

Meiner Erfahrung nach scheitern intentionale Gemeinschaften oft spektakulär an einem ihrer zentralen Ziele: dem sozialen Zusammenhalt. Ein Freund von mir meinte einmal scherzhaft, dass intentionale Gemeinschaften genau das tun, was auf ihrem Etikett steht: Sie beabsichtigen Gemeinschaft, aber sie erreichen sie nie ganz. Und obwohl es gar nicht darum geht, einen bestimmten Endpunkt, also die perfekt verwirklichte Gemeinschaft zu erreichen, verstehe ich, worauf er hinauswill. Gute Absichten bringen einen nur so weit – und nicht weiter. Vielleicht sind wir ja zum Scheitern verurteilt, wenn wir in unseren Beziehungen einem Idealbild folgen.

Die Erwartungen in intentionalen Lebensgemeinschaften können hoch sein. Daher ziehen diese Gemeinschaften oft Menschen (wie mich) mit idealistischen Tendenzen an. Und Spannungen entstehen natürlich genau dann, wenn die Ideale nicht erfüllt werden, und dann kommt es zu den negativen Auswirkungen. Manipulation, Missbrauch und Machtkämpfe werden nicht selten mit solchen Gemeinschaften in Verbindung gebracht. Es gibt aber auch intentionale Gemeinschaften, die gut funktionieren, und über die würde ich gerne mehr erfahren.

Wir haben nicht alle die Möglichkeit, in einer herausfordernden Umgebung wie einer Insel zu leben, in der wir aus der Notwendigkeit heraus in (meist) funktionsfähigen Beziehungen eingebunden sind. Trotzdem ist es interessant, darüber nachzudenken, wie wir in Zukunft auf der Grundlage dieses Wissens in eine Gemeinschaft – sei sie nun intentional oder nicht – eintreten können. Wir kennen den Segen einer Verbindung mit der lebendigen Welt, wir kennen die Vorteile einer Verbindung mit anderen. Wie können wir diese Beziehungen dann mit mehr Wohlwollen leben, die letztlich das »intentional« in einer »intentionalen Gemeinschaft« überflüssig macht?

Author:
Hannah Close
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