Editorial 46/2025

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Editorial
Published On:

April 17, 2025

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Ausgabe 46 / 2025
|
April 2025
Die Wiederentdeckung des Lebens
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Wir leben in ungewissen Zeiten. Die Weltereignisse scheinen sich zu überstürzen und in vielerlei Hinsicht eine besorgniserregende Wendung zu nehmen. Wir in der Redaktion fragten uns, wie wir darauf mit einer evolve Ausgabe antworten können. Unsere Themen möchten wir immer als einen Impuls wählen, der auf den Geist der Gegenwart reagiert. Aber auf eine Weise, die tiefere Fragen der Transformation unseres Bewusstseins, unserer Sicht der Welt und unseres Handelns mit einbezieht.

Schon seit Längerem beobachten wir in der Biologie und den Lebenswissenschaften eine stille Revolution. Neue Erkenntnisse erweitern und vertiefen unseren Blick auf das Leben und die Lebewesen radikal. Im Grund geht es dabei um ein Verständnis der lebenden Wesen, das sie nicht zu Automaten oder Maschinen degradiert, sondern als Wesen mit Intelligenz und Handlungsfähigkeit würdigt. Auf allen Ebenen der Biologie, von Zellen und ihren Bestandteilen, Pflanzen, Pilzen, dem Mikrobiom aus Mikroben, Einzellern und einfachen Lebensformen bis hin zu Säugetieren und dem Menschen, erkennen wir Prozesse der Kommunikation und kognitive Muster der Entscheidungsfindung,

Diese Forschungen und ihre Implikationen fanden wir so spannend, dass wir ihnen diese Ausgabe widmen. Gerade auch in einer Zeit, wo die äußeren Ereignisse uns innerlich und als Gesellschaft so sehr herausfordern. Denn was die neuen Erkenntnisse der Biologie uns vermitteln, ist eine lebendige Welt, in die wir zutiefst eingewoben sind. Wir als lebendige Wesen können in dieser Sichtweise eine Quelle von Lebensvertrauen und Inspiration zum inneren und gesellschaftlichen Wandel finden.

Dass die Natur ein Gewebe ist, in das wir eingebettet sind, ist eine Erkenntnis, die viele indigene Menschen bewahren. Aber wir haben uns vor allem auf den wissenschaftlichen Zugang konzentriert, um zu zeigen, wie unsere westliche Weltsicht durch ihre eigenen Erkenntnisse erweitert wird.

In ihrem Leitartikel beschreiben ­Thomas Steininger und Elizabeth Debold, wie uns die neuen Einsichten der Biologie ein tiefes Vertrauen ins Leben und unsere Fähigkeit und Aufgabe, es bewusst mitzugestalten, eröffnen können. Sie zeigen einige der bahnbrechenden Forschungen auf, die die Verbindung zwischen Geist und Materie in ein neues Licht setzen. Hier ist der Biologe Michael Levin in besonderem Maße an den Grenzen unseres Wissens unterwegs. Seine Erkenntnisse über die Kognition von Zellen und anderen einfachen Lebensformen sind wirklich atemberaubend. Wir sind froh, dass wir ihn für diese Ausgabe interviewen konnten. Nehmen Sie sich Zeit für dieses Gespräch, das Grenzen sprengt.

Einen Überblick über die Kernelemente des neuen Verständnisses des Lebens gibt der Wissenschaftsjournalist Philip Ball. Er ist Autor des Buches »How Life Works« und hat sich eingehend mit den aktuellen Forschungen befasst. Eine Zusammenschau bietet auch unser Gespräch mit Florianne Koechlin, die mehrere Bücher zur Intelligenz der Pflanzen und zuletzt des Mikrobioms geschrieben hat. Mit ihr tauchen wir ein in die faszinierende Welt der neuen Erkenntnisse über Pflanzen, ihre Kommunikation und ihr Verhalten. Der Anthropologe Jeremy Narby verbindet die verschiedenen Ebenen des Lebens in einer umfassenden Reflexion über die geistige Dimension, die wir bei Zellen, Pflanzen und Tieren finden. Wir danken dem tiefenökologischen Vordenker und Autor ­Geseko von Lüpke, dass er uns dieses Interview zur Verfügung gestellt hat. Als jahrelang Forschender in der inneren Dimension des Lebendigen geht er in seinem Artikel auf eine Spurensuche nach dem Geistigen in der Natur und in uns.

Einen umfassenden Blick auf die Entfaltung der Evolution wirft der Evolutionsbiologe Bernd Rosslenbroich. Durch seine Perspektive eröffnet sich ein ganz neues Verständnis unserer biologischen Entwicklung und was sie heute für uns bedeutet. Auch die Biologin Ursula ­Goodenough forscht über die Dynamiken der Evolution und erkennt in dem Phänomen der Emergenz – der Entstehung von neuen Fähigkeiten des Lebens, die man sich nicht aus den Bestandteilen erklären kann – ein grundlegendes Muster der Evolution. Diese Forschungen haben sie zu einem Gefühl des Staunens und der Dankbarkeit geführt über »die heiligen Tiefen der Natur«, wie sie es nennt. Dieses Staunen schwingt in all unseren Beiträgen mit, und wir hoffen, dass es auch Sie als Leserinnen und Leser erfasst.

Zum Staunen sind auch die künstlerischen Arbeiten von Bianca Bondi. Sie geht darin der transformatorischen Kraft des Lebens nach. Dabei verwendet sie häufig Salz und andere Stoffe, um Prozesse auszulösen und chemische Reaktionen zu erzeugen, die ihre Eigendynamik haben. Dadurch werden die Kunstwerke selbst lebendig. Wir sind sehr froh, dass wir diese Ausgabe mit Fotos ihrer Arbeiten gestalten dürfen.

Wir hoffen, mit dieser Ausgabe dazu beitragen zu können, Ihr Verständnis und Empfinden der lebendigen Welt zu bereichern, so wie wir es bei uns selbst während der Arbeit an diesem Thema erlebt haben. Gleichzeitig werfen wir schon den Blick in die Zukunft, denn für die nächste Ausgabe haben wir etwas ganz Besonderes vor. Seit geraumer Zeit schreiben Elizabeth Debold und Thomas Steininger an mehreren Büchern, in denen die Erfahrungen und Einsichten unserer Bewusstseinsarbeit des Emergent Interbeing zum Ausdruck kommen. Eines dieser Bücher ist gerade erschienen, darin nimmt Thomas Steininger Anregungen des Philosophen Martin Heidegger auch kritisch auf und erschließt sie ganz neu für eine intersubjektive Bewusstseinspraxis. (s. S. 70). Um die Fertigstellung der weiteren Bücher zu ermöglichen, werden wir den Schwerpunkt der nächsten Ausgabe mit Texten gestalten, die in dieser Arbeit entstehen. Das eröffnet einen lebendigen Einblick in eine Spiritualität der gemeinsamen Gegenwärtigkeit, die uns in evolve bewegt und begeistert.

Bis dahin wünschen wir Ihnen eine anregende Lektüre dieser Ausgabe zur Wiederentdeckung des Lebens und freuen uns auf Ihre Reaktionen darauf.

Herzlichst

Mike Kauschke

Redaktionsleiter

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Wir leben in ungewissen Zeiten. Die Weltereignisse scheinen sich zu überstürzen und in vielerlei Hinsicht eine besorgniserregende Wendung zu nehmen. Wir in der Redaktion fragten uns, wie wir darauf mit einer evolve Ausgabe antworten können. Unsere Themen möchten wir immer als einen Impuls wählen, der auf den Geist der Gegenwart reagiert. Aber auf eine Weise, die tiefere Fragen der Transformation unseres Bewusstseins, unserer Sicht der Welt und unseres Handelns mit einbezieht.

Schon seit Längerem beobachten wir in der Biologie und den Lebenswissenschaften eine stille Revolution. Neue Erkenntnisse erweitern und vertiefen unseren Blick auf das Leben und die Lebewesen radikal. Im Grund geht es dabei um ein Verständnis der lebenden Wesen, das sie nicht zu Automaten oder Maschinen degradiert, sondern als Wesen mit Intelligenz und Handlungsfähigkeit würdigt. Auf allen Ebenen der Biologie, von Zellen und ihren Bestandteilen, Pflanzen, Pilzen, dem Mikrobiom aus Mikroben, Einzellern und einfachen Lebensformen bis hin zu Säugetieren und dem Menschen, erkennen wir Prozesse der Kommunikation und kognitive Muster der Entscheidungsfindung,

Diese Forschungen und ihre Implikationen fanden wir so spannend, dass wir ihnen diese Ausgabe widmen. Gerade auch in einer Zeit, wo die äußeren Ereignisse uns innerlich und als Gesellschaft so sehr herausfordern. Denn was die neuen Erkenntnisse der Biologie uns vermitteln, ist eine lebendige Welt, in die wir zutiefst eingewoben sind. Wir als lebendige Wesen können in dieser Sichtweise eine Quelle von Lebensvertrauen und Inspiration zum inneren und gesellschaftlichen Wandel finden.

Dass die Natur ein Gewebe ist, in das wir eingebettet sind, ist eine Erkenntnis, die viele indigene Menschen bewahren. Aber wir haben uns vor allem auf den wissenschaftlichen Zugang konzentriert, um zu zeigen, wie unsere westliche Weltsicht durch ihre eigenen Erkenntnisse erweitert wird.

In ihrem Leitartikel beschreiben ­Thomas Steininger und Elizabeth Debold, wie uns die neuen Einsichten der Biologie ein tiefes Vertrauen ins Leben und unsere Fähigkeit und Aufgabe, es bewusst mitzugestalten, eröffnen können. Sie zeigen einige der bahnbrechenden Forschungen auf, die die Verbindung zwischen Geist und Materie in ein neues Licht setzen. Hier ist der Biologe Michael Levin in besonderem Maße an den Grenzen unseres Wissens unterwegs. Seine Erkenntnisse über die Kognition von Zellen und anderen einfachen Lebensformen sind wirklich atemberaubend. Wir sind froh, dass wir ihn für diese Ausgabe interviewen konnten. Nehmen Sie sich Zeit für dieses Gespräch, das Grenzen sprengt.

Einen Überblick über die Kernelemente des neuen Verständnisses des Lebens gibt der Wissenschaftsjournalist Philip Ball. Er ist Autor des Buches »How Life Works« und hat sich eingehend mit den aktuellen Forschungen befasst. Eine Zusammenschau bietet auch unser Gespräch mit Florianne Koechlin, die mehrere Bücher zur Intelligenz der Pflanzen und zuletzt des Mikrobioms geschrieben hat. Mit ihr tauchen wir ein in die faszinierende Welt der neuen Erkenntnisse über Pflanzen, ihre Kommunikation und ihr Verhalten. Der Anthropologe Jeremy Narby verbindet die verschiedenen Ebenen des Lebens in einer umfassenden Reflexion über die geistige Dimension, die wir bei Zellen, Pflanzen und Tieren finden. Wir danken dem tiefenökologischen Vordenker und Autor ­Geseko von Lüpke, dass er uns dieses Interview zur Verfügung gestellt hat. Als jahrelang Forschender in der inneren Dimension des Lebendigen geht er in seinem Artikel auf eine Spurensuche nach dem Geistigen in der Natur und in uns.

Einen umfassenden Blick auf die Entfaltung der Evolution wirft der Evolutionsbiologe Bernd Rosslenbroich. Durch seine Perspektive eröffnet sich ein ganz neues Verständnis unserer biologischen Entwicklung und was sie heute für uns bedeutet. Auch die Biologin Ursula ­Goodenough forscht über die Dynamiken der Evolution und erkennt in dem Phänomen der Emergenz – der Entstehung von neuen Fähigkeiten des Lebens, die man sich nicht aus den Bestandteilen erklären kann – ein grundlegendes Muster der Evolution. Diese Forschungen haben sie zu einem Gefühl des Staunens und der Dankbarkeit geführt über »die heiligen Tiefen der Natur«, wie sie es nennt. Dieses Staunen schwingt in all unseren Beiträgen mit, und wir hoffen, dass es auch Sie als Leserinnen und Leser erfasst.

Zum Staunen sind auch die künstlerischen Arbeiten von Bianca Bondi. Sie geht darin der transformatorischen Kraft des Lebens nach. Dabei verwendet sie häufig Salz und andere Stoffe, um Prozesse auszulösen und chemische Reaktionen zu erzeugen, die ihre Eigendynamik haben. Dadurch werden die Kunstwerke selbst lebendig. Wir sind sehr froh, dass wir diese Ausgabe mit Fotos ihrer Arbeiten gestalten dürfen.

Wir hoffen, mit dieser Ausgabe dazu beitragen zu können, Ihr Verständnis und Empfinden der lebendigen Welt zu bereichern, so wie wir es bei uns selbst während der Arbeit an diesem Thema erlebt haben. Gleichzeitig werfen wir schon den Blick in die Zukunft, denn für die nächste Ausgabe haben wir etwas ganz Besonderes vor. Seit geraumer Zeit schreiben Elizabeth Debold und Thomas Steininger an mehreren Büchern, in denen die Erfahrungen und Einsichten unserer Bewusstseinsarbeit des Emergent Interbeing zum Ausdruck kommen. Eines dieser Bücher ist gerade erschienen, darin nimmt Thomas Steininger Anregungen des Philosophen Martin Heidegger auch kritisch auf und erschließt sie ganz neu für eine intersubjektive Bewusstseinspraxis. (s. S. 70). Um die Fertigstellung der weiteren Bücher zu ermöglichen, werden wir den Schwerpunkt der nächsten Ausgabe mit Texten gestalten, die in dieser Arbeit entstehen. Das eröffnet einen lebendigen Einblick in eine Spiritualität der gemeinsamen Gegenwärtigkeit, die uns in evolve bewegt und begeistert.

Bis dahin wünschen wir Ihnen eine anregende Lektüre dieser Ausgabe zur Wiederentdeckung des Lebens und freuen uns auf Ihre Reaktionen darauf.

Herzlichst

Mike Kauschke

Redaktionsleiter

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Mike Kauschke
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