Diese Idee ist größer als wir

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October 28, 2024

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Ausgabe 44 / 2024
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October 2024
Gemeinsame Gegenwärtigkeit
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Zur Bewegung für Rechte der Natur in Deutschland

Wie können wir wirksam auf die ökologische Krise antworten? Eine wachsende Zahl von Menschen und Initiativen erklärt, dass dies erst möglich sein wird, wenn wir der Natur eine juristische Stimme geben.

Eine Paneldiskussion zur Frage »Hat die Natur Rechte?«. Auf dem Panel mit dabei – eine Elbinsel. Zu erleben war dies unlängst im Kuppelsaal von Schloss Pillnitz in Dresden, auf Einladung herausragender Institutionen aus Kunst, Kultur und Wissenschaft in Sachsen sowie des bundesweiten Netzwerks Rechte der Natur e. V. Der Avatar »Themis Elbinsel«, entwickelt vom Wiener Designstudio mischer´traxler, verlieh sowohl den Rechten der Natur als Idee wie auch der vor Schloss Pillnitz gelegenen Elbinsel eine Gestalt, eine Stimme, ein Antlitz, ließ dieses Ökosystem zu einem kommunizierenden Gegenüber werden. Aus dem Off und digital unterstützt taten eine Künstlerin und ein Naturwissenschaftler, Katharina Mischer und Arne Cierjacks, etwas, wozu die Menschheit seit ihren Anfängen in der Lage war, bevor dieses Wissen sich in der Moderne verlor: Sie artikulierten die Bedürfnisse und Fähigkeiten, die Wahrnehmungen und Seinsweisen eines Ökosystems, mit dem sie sich eingehend beschäftigt, dem sie sich verwandt gemacht hatten. Das Subjekt Elbinsel sprach, da in sich ein Wir-Wesen, ein verkörpertes In-Beziehung-Sein, nur in der Wir-Form: »Wir ziehen keine Grenzen. Das macht ihr.« Nach Sätzen wie diesem trat eine dichte Stille im Saal ein. Wie überhaupt die Präsenz dieser kommunizierenden Insel in ihrem ungewohnten Erscheinen, ihrer nicht-konfrontativen, immer wieder poetischen und dabei sehr klaren Ausdrucksweise eine unerwartet starke Wirkung auf das gesamte soziale Feld ausübte. Sie schien eine Art mentales Abrüsten auszulösen. Als spürten alle Anwesenden, wie uninteressant unsere menschlichen Eitelkeiten für diesen Akteur sind. Anstatt polarisierender, konfrontativer Diskussionen, mit denen die Veranstalter in der aufgeheizten politischen Stimmung in Sachsen hatten rechnen müssen, entfaltete sich ein eher zuhörender, fragender, reflexiver Austausch.

Am Ende taten etliche Anwesende sich schwer damit, den Saal zu verlassen, weil quasi mit Händen zu greifen war: Hier hat sich gerade etwas tief Bedeutsames zugetragen. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem allerorts einseitigen Vorherrschen machtförmigen, konfrontativen Diskutierens und Debattierens, das inzwischen geradezu krank macht, und der systemischen Gewalt, die einst existierende – von indigenen Kulturen nach wie vor praktizierte – Formen eines echten Austauschs mit der mehr-als-menschlichen Welt vernichtet hat? Und sind wir vielleicht jetzt an einem Punkt, wo es möglich wird, diesen so destruktiven Weltbezug zu überwinden? Ist die Bewegung für Rechte der Natur ein Schlüssel hierfür?

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Zur Bewegung für Rechte der Natur in Deutschland

Wie können wir wirksam auf die ökologische Krise antworten? Eine wachsende Zahl von Menschen und Initiativen erklärt, dass dies erst möglich sein wird, wenn wir der Natur eine juristische Stimme geben.

Eine Paneldiskussion zur Frage »Hat die Natur Rechte?«. Auf dem Panel mit dabei – eine Elbinsel. Zu erleben war dies unlängst im Kuppelsaal von Schloss Pillnitz in Dresden, auf Einladung herausragender Institutionen aus Kunst, Kultur und Wissenschaft in Sachsen sowie des bundesweiten Netzwerks Rechte der Natur e. V. Der Avatar »Themis Elbinsel«, entwickelt vom Wiener Designstudio mischer´traxler, verlieh sowohl den Rechten der Natur als Idee wie auch der vor Schloss Pillnitz gelegenen Elbinsel eine Gestalt, eine Stimme, ein Antlitz, ließ dieses Ökosystem zu einem kommunizierenden Gegenüber werden. Aus dem Off und digital unterstützt taten eine Künstlerin und ein Naturwissenschaftler, Katharina Mischer und Arne Cierjacks, etwas, wozu die Menschheit seit ihren Anfängen in der Lage war, bevor dieses Wissen sich in der Moderne verlor: Sie artikulierten die Bedürfnisse und Fähigkeiten, die Wahrnehmungen und Seinsweisen eines Ökosystems, mit dem sie sich eingehend beschäftigt, dem sie sich verwandt gemacht hatten. Das Subjekt Elbinsel sprach, da in sich ein Wir-Wesen, ein verkörpertes In-Beziehung-Sein, nur in der Wir-Form: »Wir ziehen keine Grenzen. Das macht ihr.« Nach Sätzen wie diesem trat eine dichte Stille im Saal ein. Wie überhaupt die Präsenz dieser kommunizierenden Insel in ihrem ungewohnten Erscheinen, ihrer nicht-konfrontativen, immer wieder poetischen und dabei sehr klaren Ausdrucksweise eine unerwartet starke Wirkung auf das gesamte soziale Feld ausübte. Sie schien eine Art mentales Abrüsten auszulösen. Als spürten alle Anwesenden, wie uninteressant unsere menschlichen Eitelkeiten für diesen Akteur sind. Anstatt polarisierender, konfrontativer Diskussionen, mit denen die Veranstalter in der aufgeheizten politischen Stimmung in Sachsen hatten rechnen müssen, entfaltete sich ein eher zuhörender, fragender, reflexiver Austausch.

Am Ende taten etliche Anwesende sich schwer damit, den Saal zu verlassen, weil quasi mit Händen zu greifen war: Hier hat sich gerade etwas tief Bedeutsames zugetragen. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem allerorts einseitigen Vorherrschen machtförmigen, konfrontativen Diskutierens und Debattierens, das inzwischen geradezu krank macht, und der systemischen Gewalt, die einst existierende – von indigenen Kulturen nach wie vor praktizierte – Formen eines echten Austauschs mit der mehr-als-menschlichen Welt vernichtet hat? Und sind wir vielleicht jetzt an einem Punkt, wo es möglich wird, diesen so destruktiven Weltbezug zu überwinden? Ist die Bewegung für Rechte der Natur ein Schlüssel hierfür?

Die Dresdener Zusammenkunft reiht sich ein in immer mehr wissenschaftliche, zivilgesellschaftliche und künstlerische Aktivitäten, die zeigen, wie sehr die Idee, der Natur einklagbare Rechte zu verleihen, hierzulande an Fahrt aufgenommen hat. Wobei kraftvolle Impulse dafür aus der globalen »Rights of Nature«-Bewegung kommen. Nun, da die biophysischen Belastungsgrenzen unseres Planeten erreicht sind und praktisch alle ­lebenserhaltenden Systeme, so die Wissenschaft, vor Kipppunkten mit unabsehbaren Folgen stehen, verbreitet sich die Erkenntnis: In bestehenden Rechtssystemen herrscht, wenn es hart auf hart kommt – Nutzungsinteressen hier, der Erhalt eines Ökosystems dort – das Recht des Stärkeren, des Menschen. Umweltschutz allein reicht nicht. Um dem Vernutzen, Vernichten von Lebendigem wirksam entgegenzutreten, braucht die Natur Rechte. Tatsächlich anerkennen, beginnend mit Ecuador, das 2008 die Rechte von Mutter Erde (Pacha Mama) in seiner Verfassung verankerte, inzwischen über 200 Länder Rechte der Natur. Vorreiter in Europa war Spanien, wo 2022 die größte Salzwasserlagune im westlichen Mittelmeer, das Mar Menor, ökologisch am Rande des Kollapses, den Status einer Rechtsperson erhielt. Fortan ist das Recht der Lagune, »als Ökosystem zu existieren und sich auf natürliche Weise zu entwickeln«, gesetzlich verbürgt. Sie kann, vertreten durch Treuhänder, selbst als Klägerin auftreten, wenn ihre Rechte verletzt sind.

In Deutschland war 2008 eine »Initiative Rechte der Natur« entstanden, vorangebracht namentlich durch den Unternehmer Georg Winter, der auch das Hamburger Haus der Zukunft, ein Kompetenzzentrum für umweltorientiertes und nachhaltiges Wirtschaften, gegründet hatte. Orientierung bot dieser Initiative ein ökologischer Verfassungsentwurf, den die erste gesamtdeutsche Bürgerinitiative bereits 1991 vorgelegt hatte. Im Haus der Zukunft wurde ab 2012 der »Biokratie-Preis« für Leistungen verliehen, die zu einer stärkeren Ausrichtung der Rechtsordnung an der Verantwortung gegenüber allem Leben beitragen. »Biokratie« steht für einen ökologischen Rechtsstaat.

»Wir ziehen keine Grenzen. Das macht ihr.«

Auf Initiative von Georg Winter, der Ökonomin und Philosophin Christine Ax und dem World Future Council erarbeitete ein Netzwerk von Akteuren aus Wissenschaft und Gesellschaft ab 2020 einen Vorschlag für eine zeitgemäße Grundgesetzreform. Die ökologische Dimension ist darin kein Inhalt neben anderen, sondern, ausgehend von der Würde der Natur, Strukturprinzip der Verfassung und des auf sie gründenden Staates: »Die Würde der Natur gebietet, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen, zu pflegen und zu wahren und den Eigenwert der natürlichen Mitwelt im Ganzen der Natur zu achten.« Dieser Satz soll gleich in Artikel 1, Absatz 2, direkt nach der Würde des Menschen verankert werden. Am 22. April 2022, dem Mother Earth Day, stellte das Netzwerk Rechte der Natur, inzwischen als Verein, seinen Vorschlag für eine Grundgesetzreform zur Diskussion. Alle geforderten Änderungen können auf www.rechte-der-natur.de eingesehen werden.

Unabhängig vom gesamtdeutschen Netzwerk entwickelte sich ab Ende 2017 in Bayern eine Bürgerinitiative für ein Volksbegehren, das die Rechte der natürlichen Mitwelt, beginnend in Bayern, in den Landesverfassungen verankern will. Ihr Schirmherr ist ­Alberto Acosta, ehemaliger Präsident der verfassungsgebenden Versammlung in Ecuador. ­Acosta war bereits seit Jahren, unterstützt von der Musikgruppe »grupo sal«, mit einem Programm durch Deutschland getourt, das Aktivismus, emanzipatorische Diskurse und Forschungsansätze künstlerisch-musikalisch vermittelt. Unter dem Namen »Pluriversum – Stimmen aus aller Welt – Diskurse für eine gerechte Zukunft« arbeitet inzwischen auch die bayerische Bürgerinitiative mit diesem Programm des »guten Lebens für alle«, während das Berliner Theater des Anthropozän mit seinem Stück »Anwälte der Natur« versucht, immer mehr Köpfe und Herzen zu gewinnen. Gefragt, woher die wachsende Zugkraft rühre, braucht Christine Ax, Vorsitzende des Netzwerks Rechte der Natur e. V., nicht lange nachzudenken: »Diese Idee ist größer als wir. Sie beinhaltet eine Vision mit transformativer Kraft. Denn sie zeigt, dass es möglich ist, als Gesellschaft einen völlig anderen Bezug zur Natur zu verwirklichen. Der Natur Würde und Eigenrechte zuzuerkennen, öffnet Zugänge zur Innenseite der Welt. Es erlaubt, dem eigenen Fühlen neu zu vertrauen. Darin liegt eine tiefe Erleichterung.«

Author:
Dr. Hildegard Kurt
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