Das Heilige des Anderen

Our Emotional Participation in the World
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Essay
Published On:

July 15, 2024

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Ausgabe 43 / 2024
|
July 2024
Spirituelle Resilienz
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Vertrauen als Quelle spiritueller Resilienz

Das Vertrauen in die Politik und ihre Institutionen bröckelt. Dabei ist doch Vertrauen die Kraft, die eine Gesellschaft von innen zusammenhält. Wo finden wir in der Krise der Demokratie neue Lebensräume des Vertrauens?

Etwas Bedeutendes verändert sich – in Deutschland, Österreich, Europa, den USA, Israel, Indien und anderswo wächst ein tiefes Misstrauen gegenüber den demokratischen Prozessen, auf die wir früher so stolz waren. Das Versprechen der Demokratie, durch freie Wahlen und begleitet von einer freien und fairen Presse Stabilität und Wohlstand zu bringen, wird von vielen nicht mehr geglaubt. Voreingenommenheit, Klüngelei und Reichtum hinter den Kulissen haben die Politik so verzerrt, dass wir guten Grund haben, ihre Integrität zu bezweifeln. Wir sehen uns immer wieder damit konfrontiert, dass Bürgerinnen und Bürger in immer mehr Ländern mit ihrer demokratischen Stimme autoritäre Führer wählen, die versprechen, die Institutionen zu zerstören, die ihnen die Macht verliehen haben.

Institutionen ohne Vertrauen

Die Wut über das Versagen unserer Institutionen kocht hoch – eine blinde Wut auf blinde Institutionen, auf die Schulen, das Gesundheitswesen, die staatlichen Vorschriften, die Politik und all ihre anerkannten Experten. Und warum? Wir haben im Gegensatz zu den meisten menschlichen Gesellschaften, die auf engen Verwandtschaftsnetzwerken basierten und basieren, in den modernen Gesellschaften »unser Vertrauen in Institutionen ausgelagert«, erklärt Alexander Beiner in seinem Essay »The Mythic Rebellion: Why the Far-Right Keeps Winning«. »Westliche Institutionen sind seit Hunderten von Jahren Gegenstand mächtiger psychologischer Projektionen«, schreibt er. »Sie übernehmen die Rolle von Eltern, Vormündern, Schiedsrichtern und Freunden. Sie bieten uns Heimat, Sicherheit, Entwicklungsmöglichkeiten und Chancen.« Und wenn diese bedroht sind, gibt es keinen Menschen – keine Großmutter, keinen Gemeindevorsteher – mit dem man reden kann, um den Bruch zu flicken oder um Möglichkeiten zu eröffnen. Es gibt nur die Mailbox in einem Büro, in dem die Telefone ständig klingeln.

In modernen Gesellschaften haben wir unser Vertrauen in Institutionen ausgelagert. Das gibt diesen Institutionen ihre Kraft, doch können sie letztlich kein existenzielles Vertrauen bieten. Sie bieten Effizienz und in guten Zeiten die Verlässlichkeit einer verlässlichen Maschinerie. Der moderne Staat bietet technokratische Lösungen. Als Mensch lässt er uns allein.

Unsere demokratische Krise braucht eine Antwort des Vertrauens. Das ist vielleicht eine der Aufgaben, zu denen Menschen mit einem spirituellen Bewusstsein beitragen können. Die Aggression, die Wut und die Selbstgerechtigkeit, die heute den politischen Raum füllen, rufen nach einer Kultur der Vertrauensfähigkeit. Können wir in einer Zeit, in der das Misstrauen so groß ist, überhaupt berechtigterweise von Vertrauen sprechen? Woher sollten wir es nehmen? Aber vielleicht ist genau das der Beitrag spirituellen Bewusstseins, einen Beitrag der sozialen Deeskalation leisten zu können. Die Basis dessen ist spirituelle Resilienz.

Was ist die spirituelle Resilienz?

Die meisten von uns haben eine Vorstellung davon, was Resilienz ist. Wenn Sie Enttäuschungen und Schwierigkeiten aushalten und überwinden können, dann können Sie den Widrigkeiten mit Ruhe und Kreativität begegnen. Die Unwägbarkeiten unseres Lebens – Gesundheitsprobleme, Beziehungsprobleme, aber auch Inflation – verunsichern und verkrampfen uns. Dasselbe gilt auch für die Gesellschaft als Ganzes. Der Krieg in der Ukraine und seine Gräuel sind kaum zu ertragen. Die Inflation trifft uns ganz persönlich, weil wir nicht wissen, ob unsere Mittel, die wir zu unserem Überleben brauchen, einfach davonschmelzen. Wir alle entwickeln unsere Strategien, in diesen schwer erträglichen Zeiten nicht zu verzweifeln. Kann hier spirituelle Resilienz ein Beitrag sein?

Vielleicht haben Sie Erfahrung mit Meditationspraxis und vielleicht auch mit Gebet, dann kennen Sie wahrscheinlich diese Erfahrung: Etwas in Ihrem Alltag hat Sie aufgebracht, hat Ihnen das Gleichgewicht genommen. Eine kleine, vielleicht auch größere Katastrophe hat Sie tief verunsichert. Sie setzen sich zu Ihrer Meditation hin und es ist fast unmöglich, sich wirklich auf die Meditation einzulassen, und trotzdem verblasst langsam die Wucht dieses Erlebnisses, das Sie so vereinnahmt hat. Nichts hat sich geändert, aber die Proportionen haben sich verschoben. Was ganz im Vordergrund stand, hat anderem Platz gemacht. Oder es ist so, als hätte sich ein Vorhang gehoben – wo Enge herrschte, zeigt sich eine neue Weite.

Es gibt in dieser Erfahrung eine Fülle von Fallstricken. Die Versuchung ist groß, sich von der Welt zu isolieren, sich von ihr nicht berühren zu lassen, eine Form von Spiritual Bypassing zu praktizieren. Aber wenn es einem gelingt, mit der Welt in Beziehung zu bleiben und sich gleichzeitig auf einen Raum einzulassen, der zutiefst vertrauenswürdig ist, kann dieser Raum mich und meine Beziehung zu meinem Alltag verändern. Dieser innere Frieden, diese Offenheit, diese Weite hat die Kraft, unser aller Drama in ein neues Licht zu rücken, in dem es viel von seiner überwältigenden Bedrohlichkeit verliert. In dieser Erfahrung entstehen neue, kreative Sichtweisen, die vorher nicht erkennbar waren.

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Vertrauen als Quelle spiritueller Resilienz

Das Vertrauen in die Politik und ihre Institutionen bröckelt. Dabei ist doch Vertrauen die Kraft, die eine Gesellschaft von innen zusammenhält. Wo finden wir in der Krise der Demokratie neue Lebensräume des Vertrauens?

Etwas Bedeutendes verändert sich – in Deutschland, Österreich, Europa, den USA, Israel, Indien und anderswo wächst ein tiefes Misstrauen gegenüber den demokratischen Prozessen, auf die wir früher so stolz waren. Das Versprechen der Demokratie, durch freie Wahlen und begleitet von einer freien und fairen Presse Stabilität und Wohlstand zu bringen, wird von vielen nicht mehr geglaubt. Voreingenommenheit, Klüngelei und Reichtum hinter den Kulissen haben die Politik so verzerrt, dass wir guten Grund haben, ihre Integrität zu bezweifeln. Wir sehen uns immer wieder damit konfrontiert, dass Bürgerinnen und Bürger in immer mehr Ländern mit ihrer demokratischen Stimme autoritäre Führer wählen, die versprechen, die Institutionen zu zerstören, die ihnen die Macht verliehen haben.

Institutionen ohne Vertrauen

Die Wut über das Versagen unserer Institutionen kocht hoch – eine blinde Wut auf blinde Institutionen, auf die Schulen, das Gesundheitswesen, die staatlichen Vorschriften, die Politik und all ihre anerkannten Experten. Und warum? Wir haben im Gegensatz zu den meisten menschlichen Gesellschaften, die auf engen Verwandtschaftsnetzwerken basierten und basieren, in den modernen Gesellschaften »unser Vertrauen in Institutionen ausgelagert«, erklärt Alexander Beiner in seinem Essay »The Mythic Rebellion: Why the Far-Right Keeps Winning«. »Westliche Institutionen sind seit hunderten von Jahren Gegenstand mächtiger psychologischer Projektionen«, schreibt er. »Sie übernehmen die Rolle von Eltern, Vormündern, Schiedsrichtern und Freunden. Sie bieten uns Heimat, Sicherheit, Entwicklungsmöglichkeiten und Chancen.« Und wenn diese bedroht sind, gibt es keinen Menschen – keine Großmutter, keinen Gemeindevorsteher – mit dem man reden kann, um den Bruch zu flicken oder um Möglichkeiten zu eröffnen. Es gibt nur die Mailbox in einem Büro, in dem die Telefone ständig klingeln.

»In einem Netzwerk gesichtsloser Institutionen sind wir auf schmerzliche Weise allein.«

In modernen Gesellschaften haben wir unser Vertrauen in Institutionen ausgelagert. Das gibt diesen Institutionen ihre Kraft, doch können sie letztlich kein existenzielles Vertrauen bieten. Sie bieten Effizienz und in guten Zeiten die Verlässlichkeit einer verlässlichen Maschinerie. Der moderne Staat bietet technokratische Lösungen. Als Mensch lässt er uns allein.

Unsere demokratische Krise braucht eine Antwort des Vertrauens. Das ist vielleicht eine der Aufgaben, zu denen Menschen mit einem spirituellen Bewusstsein beitragen können. Die Aggression, die Wut und die Selbstgerechtigkeit, die heute den politischen Raum füllen, rufen nach einer Kultur der Vertrauensfähigkeit. Können wir in einer Zeit, in der das Misstrauen so groß ist, überhaupt berechtigterweise von Vertrauen sprechen? Woher sollten wir es nehmen? Aber vielleicht ist genau das der Beitrag spirituellen Bewusstseins, einen Beitrag der sozialen Deeskalation leisten zu können. Die Basis dessen ist spirituelle Resilienz.

Was ist die spirituelle Resilienz?

Die meisten von uns haben eine Vorstellung davon, was Resilienz ist. Wenn Sie Enttäuschungen und Schwierigkeiten aushalten und überwinden können, dann können Sie den Widrigkeiten mit Ruhe und Kreativität begegnen. Die Unwägbarkeiten unseres Lebens – Gesundheitsprobleme, Beziehungsprobleme, aber auch Inflation – verunsichern und verkrampfen uns. Dasselbe gilt auch für die Gesellschaft als Ganzes. Der Krieg in der Ukraine und seine Gräuel sind kaum zu ertragen. Die Inflation trifft uns ganz persönlich, weil wir nicht wissen, ob unsere Mittel, die wir zu unserem Überleben brauchen, einfach davonschmelzen. Wir alle entwickeln unsere Strategien, in diesen schwer erträglichen Zeiten nicht zu verzweifeln. Kann hier spirituelle Resilienz ein Beitrag sein?

Vielleicht haben Sie Erfahrung mit Meditationspraxis und vielleicht auch mit Gebet, dann kennen Sie wahrscheinlich diese Erfahrung: Etwas in Ihrem Alltag hat Sie aufgebracht, hat Ihnen das Gleichgewicht genommen. Eine kleine, vielleicht auch größere Katastrophe hat Sie tief verunsichert. Sie setzen sich zu Ihrer Meditation hin und es ist fast unmöglich, sich wirklich auf die Meditation einzulassen, und trotzdem verblasst langsam die Wucht dieses Erlebnisses, das Sie so vereinnahmt hat. Nichts hat sich geändert, aber die Proportionen haben sich verschoben. Was ganz im Vordergrund stand, hat anderem Platz gemacht. Oder es ist so, als hätte sich ein Vorhang gehoben – wo Enge herrschte, zeigt sich eine neue Weite.

Es gibt in dieser Erfahrung eine Fülle von Fallstricken. Die Versuchung ist groß, sich von der Welt zu isolieren, sich von ihr nicht berühren zu lassen, eine Form von Spiritual Bypassing zu praktizieren. Aber wenn es einem gelingt, mit der Welt in Beziehung zu bleiben und sich gleichzeitig auf einen Raum einzulassen, der zutiefst vertrauenswürdig ist, kann dieser Raum mich und meine Beziehung zu meinem Alltag verändern. Dieser innere Frieden, diese Offenheit, diese Weite hat die Kraft, unser aller Drama in ein neues Licht zu rücken, in dem es viel von seiner überwältigenden Bedrohlichkeit verliert. In dieser Erfahrung entstehen neue, kreative Sichtweisen, die vorher nicht erkennbar waren.

Die Öffnung des Heiligen

Wie ernst nehmen wir diese Öffnung? In dem Moment, in dem sie geschieht, wissen Sie, dass sie real ist, dass es etwas gibt, das Sie trägt. Dass Sie sich darauf verlassen können. Sie können darauf vertrauen, dass Sie mehr sind als Ihr aufgewühlter Verstand und Ihr verängstigtes Herz. Wenn Sie tief loslassen, entdecken Sie, dass diese Quelle das Heilige ist. Aber was ist das eigentlich? Wir alle besitzen ein Vorverständnis des Heiligen, selbst wenn wir es nicht definieren können. Genauso wie wir ein intuitives Verständnis davon haben, was Licht ist, auch wenn wir keine Definition von Licht besitzen. Wir können uns darüber verständigen, ob wir uns in einem hellen oder in einem dunklen Raum befinden. Ähnlich wie unsere Wahrnehmung von Licht haben wir auch eine Wahrnehmung von etwas, das wir als heilig empfinden. Selbst wenn wir sagen, dass uns »nichts heilig ist«, besitzen wir ja eine Vorstellung davon, was wir damit meinen. Und gleichzeitig ist das Heilige etwas Endgültiges, Ultimatives, es ist durch und durch wahr, tief erlösend und schlicht gut. In dieser Erfahrung wissen Sie, dass es etwas gibt, das Sie trägt. Und dass Sie darauf vertrauen können. Sie können darauf vertrauen, dass Sie mehr als Ihr besorgter Verstand und Ihr geplagtes Herz sind.

»Viele der Gewissheiten unserer Kultur sind ins Rutschen gekommen.«

In unseren modernen demokratischen Gesellschaften haben wir unser Vertrauen in Institutionen ausgelagert, und sie sind dadurch auch ein Ort der Verlassenheit geworden. Als Einzelne in einem Netzwerk gesichtsloser Institutionen sind wir auf schmerzliche Weise allein. Wir schaffen unsere eigenen Quasi-Verwandtschaftsnetzwerke aus Intimpartnern, Freunden und einigen Familienmitgliedern. Hier haben wir ein gewisses Vertrauen – aber dieses Vertrauen ist oft an Voraussetzungen geknüpft.

Das spirituelle Vertrauen ist voraussetzungslos. Ein Vertrauen um des Vertrauens willen. Was bedeutet das? Dass Ihr Vertrauen in das Leben nicht von einem bestimmten Ergebnis abhängig ist. Es braucht kein Happy End für Ihr Leben oder für eine politische Situation zu geben. Unabhängig davon vertrauen Sie darauf, dass die Welt gut ist, dass die Ganzheit, von der wir ein Teil sind, von Natur aus gut, wahr und schön ist. Auch wenn es uns Menschen schwerfällt, auf diese Weise zu leben. Vielleicht ist es die Aufgabe, die uns die spirituelle Erfahrung stellt, diese transzendente Erfahrung auf der Erde, in der Welt zu verkörpern.

Individualismus und der Verlust des Vertrauens

Es gab eine Zeit – und es gibt sie mancherorts immer noch – in der die Menschen in der Natur oder »in der Liebe des Gottes, der alles geschaffen hat«, eingebettet lebten. Dies waren natürliche Vertrauensfelder. Ja, das Ringen um Ressourcen oder das Übergreifen auf Territorien führte auch zu dauernden Konflikten und zu Gewalt. Das Vertrauen erstreckte sich vielleicht nur auf den eigenen Clan oder Stamm oder die Religionsgemeinschaft, aber es lebte in menschlichen Beziehungen, nicht in institutionellen Strukturen. Es lebte zwischen uns. Ironischerweise ist die katholische Kirche eine Quelle dafür, dass wir den Grund des Vertrauens, nämlich die Gegenwart und Liebe Gottes, verloren haben. Für eine kurze Zeit in der frühen Kirchengeschichte war Gott allgegenwärtig. Jedes Lebewesen, ob groß oder klein, war ein Abbild des Göttlichen. Die Menschen lebten in einer Welt, die durch Gottes erstaunliche Kreativität gesegnet war – sichtbar und unsichtbar, in allem spürbar. Es gab einen allwissenden Schöpfer, der das Ganze zusammenhielt.

Doch als das Christentum zum offiziellen Glaubensbekenntnis des Römischen Reiches wurde, veranlasste der Konflikt zwischen weltlicher und religiöser Macht den heiligen Augustinus dazu, eine salomonische Bewegung zu unternehmen und eine Trennung zwischen dem Heiligen und dem Profanen bzw. dem Weltlichen und dem Religiösen vorzunehmen. Kirche und Papst hatten die Herrschaft über die geistlichen Bereiche, aber es oblag dem Kaiser und den weltlichen Institutionen, die weltliche Herrschaft zu führen. Diese Trennung zwischen weltlicher Autorität und heiliger Autorität schuf den kulturellen Boden für eine spätere säkulare Welt. Der Protestantismus und die Aufklärung mussten die Spaltung zwischen dem Säkularen und dem Heiligen nur zur Vollendung bringen. Wir leben heute in einer entheiligten Welt.

»Das Heilige ist durch und durch wahr, tief erlösend und schlicht gut.«

Das ging so lange gut, wie das Versprechen der säkularen Welt eines ewigen, weltlichen Fortschritts glaubwürdig erschien. Dieses Versprechen war immer schon brüchig. Die sozialen Krisen des 19. und 20. Jahrhunderts waren Verteilungskämpfe darüber, wie dieser Fortschritt zwischen uns allen verteilt werden muss. Auch dieser Verteilungskampf hat sich in einer Zeit, in der eine Handvoll Individuen den Reichtum unserer Gesellschaft kontrollieren, weiter verschärft. Aber der Fortschritt selbst ist in Verruf geraten, seitdem er die Lebensgrundlagen unserer Erde so offensichtlich untergräbt.

Es gibt eine neue Sehnsucht nach dem Heiligen. Aber sie ist verkettet mit einer Sehnsucht nach einer vermeintlich heiligen alten Welt. Es sind die Fundamentalisten, wie die radikalen Islamisten, die Hindu-Nationalisten in Indien, die christlichen »Make America Great Again«-Fundamentalisten, die sich vom großen Blender Donald Trump vor den Karren spannen lassen. Putins Neoimperialismus träumt vom Heiligen Russland und selbst im säkularen Europa träumen Rechtspopulisten wie Le Pen und die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni von einem Heiligen Europa.

Ist das Heilige eine Sackgasse? Oder erleben wir die Geburtswehen einer neuen Verbindung der Erfahrung des Heiligen mit einer globalen, offenen Gesellschaft?

Vertrauen im Augenblick der Erschütterung

Es hat uns eine Spirale der Polarisierung ergriffen. Die Politik spaltet uns immer weiter. Viele der Gewissheiten unserer modernen, liberalen westlichen Kultur sind ins Rutschen gekommen. Und in Zeiten der Ungewissheit ist die Versuchung groß, sich an vermeintliche Gewissheiten emphatisch zu klammern und sie fanatisch zu verteidigen. Und diese Gewissheiten, an die wir uns klammern, zeigen sich auf allen Seiten. Politische Überzeugungen werden zu religiösen Überzeugungen, die mit Identität und Zugehörigkeit verbunden werden. Man vertraut nur noch seinem Clan und die Politik wird zu einem Nullsummenspiel. Es ist die Dämonisierung des Anderen, die unsere Vertrauenskrise befeuert.

Vielleicht ist es notwendig, das Heilige neu zu finden und zwar in der Begegnung mit dem Anderen, dem wirklich Anderen, dem bedrohlich Anderen, um zu sehen, was uns verbindet. Der große Philosoph der Hermeneutik, Hans-Georg Gadamer, sprach davon, dass unsere Welt durch Horizontverschmelzung wächst und gedeiht. Vielleicht ist das der Beitrag der spirituellen Resilienz, sich von der Bedrohlichkeit des Anderen nicht erschüttern zu lassen, weil selbst in der Erschütterung die Welt letztlich vertrauenswürdig ist. Das ist das Geschenk der spirituellen Erfahrung und sie bewährt sich besonders im Augenblick der Erschütterung selbst.

Haben wir die Kraft, das bedrohlich Andere auf uns wirken zu lassen? Es kann sein, dass es wirklich wichtig ist, ihm entgegenzutreten. Es kann sein, dass es wichtig ist, sich ihm zu öffnen. Und es ist möglich, dass beides gleichzeitig der Fall ist. Demokratie lebt davon, dass wir in der Lage sind, miteinander ein Gemeinwesen zu bilden, das entscheidungsfähig, gut informiert, aber auch in der Lage ist, ein gemeinsames Herz zu bilden. Das klingt romantisch, aber es ist einfach die Anerkennung einer Herzensintelligenz, die in der Lage ist, einander im Herzen zu begegnen. Und sich gemeinsam auf eine Wahrnehmung dessen zu verständigen, was nicht nur pragmatisch notwendig ist, sondern auch was uns am Herzen liegt, was uns heilig ist.

Spirituelle Resilienz ist also jene Fähigkeit, in Offenheit und herzlicher Verbundenheit sich selbst, der Welt und einander zu begegnen und gerade dann, wenn es als unmöglich erscheint, andauernd voneinander zu lernen. Das Vertrauen in diese Offenheit und in die Tatsache, dass sie nicht nur etwas Persönliches ist, sondern auch ein Raum, der mit allen anderen geteilt wird, macht spirituelle Resilienz möglich. Sie wird zu einer Basis des Vertrauens, von der aus wir uns in der wirklichen Arbeit der Demokratie engagieren können.

Vertrauen schenken

Der Kognitionswissenschaftler und Philosoph John Vervaeke sagt, dass wir Menschen ohne eine neue Wertschätzung und Anerkennung des Heiligen nicht über diese Krisen hinauskommen werden. Für spirituell empfindsame und bewusste Menschen bietet die Krise der Demokratie, die Krise des Vertrauens in eine der wichtigsten Institutionen, eine Chance, die gerade jetzt so dringend benötigt wird. Können wir durch die Fähigkeit zur Offenheit und einem neuen Vertrauen in das Heilige dazu beitragen, lebendige menschliche Netzwerke zu schaffen, die nicht in starren ideologischen Gräben stecken bleiben? Können wir den Grundstein für das Vertrauen in unsere gemeinsame Menschlichkeit legen, anstatt unser Vertrauen – und unsere Wut – auf Institutionen zu projizieren?

Das bedeutet nicht, dass wir unsere politischen Ansichten aufgeben müssen, sondern dass wir ihnen einen gewissen Raum geben müssen, damit wir uns gegenseitig berühren und voneinander lernen können. Sind wir bereit, zuzuhören und zu lernen, auch von denen, deren Ansichten uns erzürnen? Dies ist keine Politik der fadenscheinigen Nettigkeit, sondern eine Erweiterung des Vertrauens in die Menschlichkeit des anderen. Durch die kreative Reibung konträrer Ansichten, die von diesem Vertrauen getragen werden, können sich neue demokratische Prozesse entwickeln. Es wären Prozesse des Engagements und der Begegnung und nicht nur eine Abstimmung alle paar Jahre, um die Maschine am Laufen zu halten. Es würde von uns allen ein neues Maß an Souveränität und Verbundenheit verlangen. Das beginnt mit unserer spirituellen Resilienz. Vertrauen zu schenken, indem man Vertrauen lebt, ist ein heiliger Akt. Es ist an uns, dies zum Leben zu erwecken.

Author:
Dr. Thomas Steininger
Author:
Dr. Elizabeth Debold
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