Im Angesicht der Metakrisen unserer Gegenwart verfallen viele Menschen in Resignation und Erstarrung. Oder sie versuchen bisweilen verzweifelt, Andersdenkenden die Schuld an den bestehenden Verhältnissen zu geben. Auch die Erfahrungen der Pandemie wirken im gesellschaftlichen Gewebe noch immer nach. Die Studienergebnisse des CovSocial-Projekts der Neurowissenschaftlerin Tania Singer zeigen, wie negative politische Ereignisse und die polarisierende Medienberichterstattung den Menschen zusetzen. In der Pandemie haben die soziale und politische Beteiligung am öffentlichen Leben abgenommen. Und das Zugehörigkeitsgefühl zu Deutschland, Europa und der Welt im Ganzen ist in der Bevölkerung deutlich zurückgegangen. Wir leben also in einer Zeit umfassender Fragmentierungen, und die große gesellschaftliche Frage ist, ob und wie sich wieder mehr soziales Miteinander entfalten kann.
Kann Meditation Fragmentierungen heilen?
Seit Achtsamkeit zum gesellschaftlichen Trend geworden ist, wird Meditation gerne als Heilmittel für viele Zerrissenheiten unserer Zeit gepriesen. Die Neurowissenschaftlerin Tania Singer hat mit dem CovSocial-Projekt untersucht, wie Meditation im Verbund mit sozialem Training zwischen einander Fremden Beziehungen der Verbundenheit stiften kann.
Im Angesicht der Metakrisen unserer Gegenwart verfallen viele Menschen in Resignation und Erstarrung. Oder sie versuchen bisweilen verzweifelt, Andersdenkenden die Schuld an den bestehenden Verhältnissen zu geben. Auch die Erfahrungen der Pandemie wirken im gesellschaftlichen Gewebe noch immer nach. Die Studienergebnisse des CovSocial-Projekts der Neurowissenschaftlerin Tania Singer zeigen, wie negative politische Ereignisse und die polarisierende Medienberichterstattung den Menschen zusetzen. In der Pandemie haben die soziale und politische Beteiligung am öffentlichen Leben abgenommen. Und das Zugehörigkeitsgefühl zu Deutschland, Europa und der Welt im Ganzen ist in der Bevölkerung deutlich zurückgegangen. Wir leben also in einer Zeit umfassender Fragmentierungen, und die große gesellschaftliche Frage ist, ob und wie sich wieder mehr soziales Miteinander entfalten kann.
Singer untersucht mit ihrer Studie, ob es möglich ist, spirituelle Resilienz jenseits des rein Persönlichen zu entwickeln – eine Resilienz, die nicht nur individuell die Widerstandskräfte in herausfordernden Zeiten stärkt, sondern insbesondere soziale Verbundenheit fördert. Dabei verglich sie die Wirkung verschiedener Meditationsmethoden, wobei die Probanden jeweils mit einer App übten. Eine Untersuchungsgruppe praktizierte Achtsamkeitsmeditation und erhielt begleitend ein Coaching zu klassischen Achtsamkeitsthemen wie sensorischer Wahrnehmung, der Achtsamkeit im Augenblick sowie zu Selbst- und Körperwahrnehmung. Die Vergleichsgruppe übte Dyaden-Meditation und beschäftigte sich im Coaching mit Themen wie soziale Verbundenheit, empathisches und nicht-bewertendes Zuhören sowie die Entfaltung von Fürsorge. Dyaden sind ein meditativer, strukturierter Austausch zwischen zwei Personen. Eine Person erzählt zunächst von einem Erlebnis, das sie herausgefordert hat, und danach von einer Erfahrung, für die sie Dankbarkeit empfindet. Die andere Person hört ihr schweigend zu und hält so einen offenen Raum, in dem diese persönlichen Eindrücke aufgehoben sind. Anschließend teilen die Beteiligten eine Zeit der Stille und wechseln danach die Rollen.
In beiden Gruppen stellten die Wissenschaftlerinnen nach dem zehnwöchigen Programm deutliche Verbesserungen der Resilienz fest. Die Teilnehmenden der Achtsamkeitsgruppe konnten sich persönlich schneller von stressenden Impulsen erholen. Bei den Übenden der Dyaden-Gruppe waren die Effekte vor allem sozialer Natur. Sie verbesserten ihre Toleranz bei negativen Erfahrungen und entwickelten eine stärkere Akzeptanz in Situationen der Veränderung. »Nur die sozio-emotionale Dyaden-Praxis verringerte eine negative Verarbeitung von unsicheren Kontexten, so dass beispielsweise mehrdeutige Situationen nicht automatisch als negativ bewertet wurden. Die Schlüsselelemente der Dyaden-Praxis wie die Akzeptanz schwieriger Gefühle, die Toleranz von Veränderungen und die Kultivierung von Dankbarkeit reduzierten negative Deutungen und ließen die Teilnehmenden die Welt mit einem positiveren und weniger bewertenden Blick betrachten«, so Studien-Erstautorin Malvika Godara.
»Es ist wesentlich, gesellschaftliche Räume des Miteinanders zu schaffen.«
In den Dyaden konnten die Teilnehmenden eine Erfahrung des Miteinanders machen, die im öffentlichen Leben heute eher selten ist. Über mehrere Wochen hinweg immer wieder zu spüren, dass sich im Zusammensein mit Fremden Geborgenheit einstellt, stärkt das Vertrauen in das Leben und die Welt. Menschen öffnen sich füreinander, anstatt sich abzuschotten oder sogar aufeinander loszugehen. Die Teilnehmenden der Achtsamkeitsgruppe hingegen waren im Übungsprozess mit der App auf sich alleine gestellt und reflektierten in den Coachings vor allem Aspekte ihrer persönlichen Wahrnehmung. Auch das macht, die Studie zeigt es, widerstandsfähiger gegenüber äußeren Herausforderungen. Aber es verbessert nicht automatisch auch die Beziehungsfähigkeit.
Der Achtsamkeits-Trend hat dazu geführt, dass Meditation heute gerne als Heilmittel für die verschiedensten emotionalen und sozialen Probleme angesehen wird. Die Wirklichkeit scheint komplexer zu sein. Inzwischen gibt es Studien, die illustrieren, dass Achtsamkeitsübungen sogar wie ein Booster für das Ego wirken können oder dass sich bei Meditierenden im Loslassen eine ethisch-moralische Gleichgültigkeit einstellt. Das CovSocial-Projekt legt nahe, dass der inhaltliche Fokus einer Meditationsform wesentlichen Einfluss darauf hat, wie das Meditieren wirkt. Und es zeigt, dass soziale Verbundenheit sich nur dort einstellt, wo sie durch das Meditations-Setting im Ganzen gefördert wird.
Eine Frage ist, welchen Einfluss in der Studie die sehr unterschiedliche Coaching-Begleitung der Teilnehmenden auf das Ergebnis hatte. Die eigene Selbstwahrnehmung zu vertiefen, eröffnet Menschen nicht automatisch auch eine bessere Wahrnehmung anderer. Und wer alleine mit einer App übt, erlebt die eigenen Erfahrungen dabei nicht im Rahmen einer sozialen Beziehung. In der Studie wurde der Achtsamkeitsgruppe gezielt ein stark individueller Übungsrahmen angeboten, so dass die Wirkung des Programms im eher Persönlichen wenig verwundert. Die Dyaden-Gruppe hingegen beschäftigte sich im Coaching gezielt mit Fragen des sozialen Miteinanders und der Verbundenheit. Womöglich hätte das Coaching ohne Meditation schon ausgereicht, um jene prosozialen Effekte zu erzielen, die die Wissenschaftlerinnen der Dyaden-Praxis zuschreiben.
Tania Singer hofft, dass ihre Forschungsergebnisse gesellschaftliche Wirkung entfalten: »In einer Zeit, in der die politischen Entscheidungsträger mit einer zunehmenden sozialen Spaltung konfrontiert sind, zeigt unsere Studie, dass es möglich ist, positive, gesunde menschliche Interaktionen zu fördern. Das ist es, was unsere Gesellschaft dringend braucht.« Das CovSocial-Projekt verdeutlicht jedenfalls, wie wesentlich es ist, gesellschaftliche Räume des Miteinanders zu schaffen und Menschen die Fähigkeiten zu vermitteln, einander offen und unvoreingenommen zu begegnen.