Kraft für eine lebendige Welt

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Kolumne
Published On:

January 27, 2025

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Ausgabe 45 / 2025
|
January 2025
Lebendige Praxis
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Wir haben nur noch wenige Jahre, um das Ruder herumzureißen!« Diese Geschichte erzählen wir uns schon so lange – doch viele von uns fühlen, dass sie ihre Kraft verloren hat. Auch bei uns im Team von »Pioneers of Change« ist in den letzten Jahren die Erkenntnis gereift, dass wir unser bisheriges Verständnis von »Change« hinter uns lassen müssen: die Vorstellung, dass wir – wenn wir uns nur genug anstrengen – eines Tages (bald!) gemeinsam den großen Wandel geschafft und die bessere Welt für alle geschaffen haben werden.

Denn statt eines sozial-ökologischen Durchbruchs erleben wir gerade jetzt, nach dem heißesten Jahr der Temperaturaufzeichnung, einen gewaltigen Backlash – sei es durch den erneuten Aufstieg von Trump oder das Erstarken nationalpopulistischer Ideologien. Dies ist mehr als eine Krise: Die Grundfeste unserer Zivilisation scheinen zu erodieren. Hanno ­Burmester beschrieb es im evolve Live-Webinar vom November so: »Wir erleben eine Rutschbewegung, die wir nicht kontrollieren können und die weit über unsere eigene Lebensspanne hinausgeht.«

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Wir haben nur noch wenige Jahre, um das Ruder herumzureißen!« Diese Geschichte erzählen wir uns schon so lange – doch viele von uns fühlen, dass sie ihre Kraft verloren hat. Auch bei uns im Team von »Pioneers of Change« ist in den letzten Jahren die Erkenntnis gereift, dass wir unser bisheriges Verständnis von »Change« hinter uns lassen müssen: die Vorstellung, dass wir – wenn wir uns nur genug anstrengen – eines Tages (bald!) gemeinsam den großen Wandel geschafft und die bessere Welt für alle geschaffen haben werden.

Denn statt eines sozial-ökologischen Durchbruchs erleben wir gerade jetzt, nach dem heißesten Jahr der Temperaturaufzeichnung, einen gewaltigen Backlash – sei es durch den erneuten Aufstieg von Trump oder das Erstarken nationalpopulistischer Ideologien. Dies ist mehr als eine Krise: Die Grundfeste unserer Zivilisation scheinen zu erodieren. Hanno ­Burmester beschrieb es im evolve Live-Webinar vom November so: »Wir erleben eine Rutschbewegung, die wir nicht kontrollieren können und die weit über unsere eigene Lebensspanne hinausgeht.«

Die bisherigen Ansätze, die Systeme von gestern zu reparieren, greifen meist zu kurz und setzen nicht tief genug an. Schon die Idee, die Welt ­»retten« zu können, ist Ausdruck einer überheblichen Weltbeziehung – als ob die Erde unsere Rettung bräuchte und wir höchstpersönlich die Macht dazu hätten. Wenn wir aufhören, nach schnellen, »technisch skalierbaren« Lösungen zu suchen oder uns mit oberflächlicher Hoffnung (»Hopium«, wie Meg Wheatley es nennt) zu beschäftigen, dann kann dies – jenseits von Ernüchterung und Depression – der Beginn eines tieferen Engagements sein, getragen von einer Hoffnung jenseits der Hoffnung.

Während wir unweigerlich Zeug:innen von Zerstörung und Zerfall werden, können wir uns zugleich auf eine Essenz des Lebens rückbesinnen: die unbändige, immerwährende Kraft der Regeneration. Sie öffnet uns die Augen dafür, dass das Leben sich stets erneuert – widerstandsfähiger und kreativer, als wir es uns vorstellen können.

»Wir wissen nicht immer, wann oder wie die Früchte unserer Taten reifen.«

Wenn globale Systeme zerfallen, fallen wir zurück auf das, was uns wirklich trägt: den Boden, die Landschaft und die Menschen um uns herum. Daniel Christian Wahl betont die Bedeutung der lokalen Verwurzelung in den eigenen »Bioregionen« und fragt: Wie können wir uns in den Ort, an dem wir leben, und die Menschen um uns herum verlieben? Wie können wir zuhören, was hier wachsen will, und dazu beitragen, Lebendigkeit zu fördern?

Im Lokalen und Regionalen können wir konkrete Veränderungen bewirken und Verantwortung übernehmen. Otto Scharmer spricht in diesem Zusammenhang von »Inseln der Kohärenz« – Gemeinschaften, die durch ihre gemeinsame Ausrichtung und innere Stärke handlungsfähig werden. Der Nobelpreisträger Ilya Prigogine beschreibt, dass in komplexen Systemen, die weit vom Gleichgewicht entfernt sind, kleine Inseln der Kohärenz in einem Meer von Chaos das Potenzial haben, das gesamte System in eine höhere Ordnung zu bringen. Solche Gemeinschaften können so zu Keimzellen der Regeneration werden.

Regeneration kann also im Kleinen und mit uns beginnen. Wenn wir uns als Gärtner:innen des Lebens verstehen, liegt unsere Aufgabe darin, die Keime der Erneuerung zu nähren und zu unterstützen. Nicht durch Kontrolle, sondern durch Hingabe an die Kreisläufe des Lebens können wir sowohl das Wachsen als auch das Vergehen bewusst begleiten.

Eine zentrale Aufgabe ist dabei, unsere »sozialen Felder« mit Hingabe zu pflegen. Indem wir uns für eine liebevolle Kultur des Miteinanders einsetzen und Brücken zu den »ganz Anderen« bauen, legen wir die Grundlage für gemeinsames Wirken und Frieden in unserem Umfeld. Und natürlich beginnt all das mit der Fürsorge für uns selbst – mit der Zärtlichkeit, die wir unserem eigenen inneren Garten entgegenbringen.

Gerade im rauen Wind des Alltags gibt uns das Gefühl von Verbundenheit mit einem größeren Netz des Engagements Halt und Orientierung.

Wir wissen nicht immer, wann oder wie die Früchte unserer Taten reifen. Doch indem wir bewusst Samen des Neuen säen und gemeinsam mit anderen das Leben nähren, können selbst kleine Impulse weitreichende Wellen der Veränderung auslösen. Entscheidend ist, wie wir uns ausrichten – mit Klarheit, Hingabe und dem Vertrauen, dass das Leben uns trägt und überraschende Wege öffnet, die jenseits unserer Vorstellungskraft liegen. Das ist unsere Hoffnung jenseits der Hoffnung.

Author:
Martin Kirchner
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