Menschsein lernen

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Interview
Published On:

April 17, 2025

Featuring:
Prowpannarai Mallikamarl (Praew)
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Issue:
Ausgabe 46 / 2025
|
April 2025
Die Wiederentdeckung des Lebens
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Weisheit in der Bildung

Die Arbeit von Praew ist durch ihre lebenslange buddhistische Praxis und ihre Lernerfahrungen geprägt. Heute konzentriert sie sich in Thailand auf das Thema Bildung.

evolve: Du hast 2016 ein Unternehmen namens Artipania gegründet. Was hat dich zu diesem Schritt inspiriert?

Praew: Der Name hat seinen Ursprung in den thailändischen Worten Ati-­Panya, was so viel wie »Große Weisheit« bedeutet. Ich wollte meine Fähigkeiten und Erfahrungen nutzen, um Menschen durch die gezielte Gestaltung von Lernerfahrungen zu unterstützen. Zunächst habe ich in Bangkok Architektur studiert und begann mich für Bildung zu interessieren. Meine Diplomarbeit befasste sich mit einem internationalen Schuldesign, wobei ich berücksichtigte, wie die Umgebung dieses Lernen fördert. Mein Professor ermutigte mich, zu den Themenfeldern Schuldesign, Lerntheorien und Lehrplangestaltung zu forschen.

Dabei wurde mir bewusst, dass Menschen nicht nur Umgebungen gestalten können, sondern auch die Bedingungen, unter denen Menschen lernen. Ich war weiterhin im Bereich der Architektur tätig, studierte in London und entdeckte schließlich ein Programm an der Stanford University mit dem Titel »Learning, Design, and Technology«. Ein Drittel des Studienprogramms befasst sich mit dem Lernen (Kognition, Verhalten), ein weiteres Drittel mit Design (menschenorientiertes Design, Design Thinking), und das letzte Drittel konzentriert sich auf Computerwissenschaften, Nutzererfahrungen, Anwendungs- und Interaktionsdesign. Das war das perfekte Spektrum für mich.

Das Programm richtete sich an eine bunt gemischte Gruppe – Designer, Lehrerinnen, Programmierer und Entscheidungsträger –, die die verschiedenen Arten des Lernens untersuchten. Wir arbeiteten in Teams, und ich erkannte, dass die visuelle Darstellung im Graphic Recording die Lernerfahrungen verbessern kann. Vor dem Hintergrund meines Architekturstudiums half ich meinen Studienkollegen, Lernerfahrungen zu visualisieren. Für das Programm war auch praktische Erfahrung erforderlich, und so absolvierte ich ein Praktikum im Persuasive Technology Lab in Stanford, das inzwischen Behavioral Design Lab heißt. Ich beschäftigte mich mit der Theorie der Verhaltensänderung und wie Technologie dabei helfen kann, Verhalten zu ändern. Lernen hat mit Motivation zu tun, aber letztendlich entscheidet das Verhalten darüber, ob Menschen tatsächlich handeln.

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Weisheit in der Bildung

Die Arbeit von Praew ist durch ihre lebenslange buddhistische Praxis und ihre Lernerfahrungen geprägt. Heute konzentriert sie sich in Thailand auf das Thema Bildung.

evolve: Du hast 2016 ein Unternehmen namens Artipania gegründet. Was hat dich zu diesem Schritt inspiriert?

Praew: Der Name hat seinen Ursprung in den thailändischen Worten Ati-­Panya, was so viel wie »Große Weisheit« bedeutet. Ich wollte meine Fähigkeiten und Erfahrungen nutzen, um Menschen durch die gezielte Gestaltung von Lernerfahrungen zu unterstützen. Zunächst habe ich in Bangkok Architektur studiert und begann mich für Bildung zu interessieren. Meine Diplomarbeit befasste sich mit einem internationalen Schuldesign, wobei ich berücksichtigte, wie die Umgebung dieses Lernen fördert. Mein Professor ermutigte mich, zu den Themenfeldern Schuldesign, Lerntheorien und Lehrplangestaltung zu forschen.

Dabei wurde mir bewusst, dass Menschen nicht nur Umgebungen gestalten können, sondern auch die Bedingungen, unter denen Menschen lernen. Ich war weiterhin im Bereich der Architektur tätig, studierte in London und entdeckte schließlich ein Programm an der Stanford University mit dem Titel »Learning, Design, and Technology«. Ein Drittel des Studienprogramms befasst sich mit dem Lernen (Kognition, Verhalten), ein weiteres Drittel mit Design (menschenorientiertes Design, Design Thinking), und das letzte Drittel konzentriert sich auf Computerwissenschaften, Nutzererfahrungen, Anwendungs- und Interaktionsdesign. Das war das perfekte Spektrum für mich.

Das Programm richtete sich an eine bunt gemischte Gruppe – Designer, Lehrerinnen, Programmierer und Entscheidungsträger –, die die verschiedenen Arten des Lernens untersuchten. Wir arbeiteten in Teams, und ich erkannte, dass die visuelle Darstellung im Graphic Recording die Lernerfahrungen verbessern kann. Vor dem Hintergrund meines Architekturstudiums half ich meinen Studienkollegen, Lernerfahrungen zu visualisieren. Für das Programm war auch praktische Erfahrung erforderlich, und so absolvierte ich ein Praktikum im Persuasive Technology Lab in Stanford, das inzwischen Behavioral Design Lab heißt. Ich beschäftigte mich mit der Theorie der Verhaltensänderung und wie Technologie dabei helfen kann, Verhalten zu ändern. Lernen hat mit Motivation zu tun, aber letztendlich entscheidet das Verhalten darüber, ob Menschen tatsächlich handeln.

e: Wie kam es dann zu deiner Entscheidung, Stanford zu verlassen und nach Thailand zurückzukehren?

Praew: In der asiatischen Kultur ist es für uns selbstverständlich, dass wir uns um unsere Eltern kümmern. Ich bin Einzelkind, und meiner Mutter ging es zu der Zeit nicht gut. Also fragten mich meine Eltern, ob ich zurückkommen könnte. Aber zu der Zeit, als ich nach Thailand zurückkehrte, gab es keine Arbeit in meinem Bereich, keine Start-ups und auch keine innovativen Labors für Verhaltensdesign.

e: Das muss frustrierend gewesen sein. Wie hast du dich darauf eingestellt?

Praew: Ich wurde Dozentin und entwarf Lehrpläne für die Fakultät für Architektur. Diese Tätigkeit war sehr flexibel und ich lernte meinen Mentor kennen, einen Amerikaner, der jahrelang in Thailand gearbeitet hatte. Er hatte das Lab in Stanford besucht, als ich dort ein Praktikum absolvierte. Als ich dann wieder in Thailand war, nahm ich Kontakt zu ihm auf. Er unterstützte Forscher der NSTDA (National Science and Technology Development Agency) in Thailand bei der Anwendung von Design Thinking, um Forschungsergebnisse aus der Theorie in die Praxis umzusetzen. Ich schloss mich seinem Bootcamp an, wo wir von der Zielsetzung geprägt waren, Menschen darin zu schulen, menschenorientiert statt technologieorientiert zu denken. Ich arbeitete einige Jahre mit ihm zusammen, und als 2013 in Thailand auch Start-ups möglich wurden, wollte ich etwas Eigenes gründen.

»Lernen führt zu Weisheit, die Lebens­entscheidungen lenkt.«

Als ein ehemaliger thailändischer Studienkollege aus Stanford nach Thailand zurückkehrte, begannen wir gemeinsam, Problemfelder zu sondieren, zu deren Lösung wir beitragen könnten. So befassten wir uns mit der Frage, warum die Thailänder nicht gerne lesen. Statistisch gesehen liest der durchschnittliche Thailänder nur acht Zeilen pro Jahr. In Gesprächen mit Pädagogen, Verlegern und Lehrerinnen auf dem Land beschäftigten wir uns intensiv mit der Problematik der Lesekompetenz. Das Problem war komplex und erforderte Lösungen auf verschiedenen Ebenen. Wir beschlossen, uns auf einen Aspekt zu konzentrieren: Eine Kinderpsychiaterin hatte uns gesagt, dass es Kindern mit Legasthenie an Büchern fehle, die ihre Schwierigkeiten wirklich verstehen und ihr Selbstwertgefühl stärken. Sie hatte bereits mit Verlagen darüber gesprochen, doch diese lehnten solche Buchprojekte mit der Begründung ab, sie würden sich nicht verkaufen.

Wir wollten Abhilfe schaffen und gründeten eine Crowdfunding-Plattform namens Afterword für Bücher, die kommerziell nicht rentabel sind. Wir starteten 14 Projekte, hatten mit 12 oder 13 Erfolg und konnten tatsächlich eine Bewegung in Gang setzen. Unser Buch über Legasthenie wurde in Kinderkliniken eingesetzt, wo die Ärzte es den kleinen Patienten gaben, um ihnen dabei zu helfen, zu erkennen, dass sie neben dem Lesen und Schreiben noch andere Talente haben. Wir haben dann auch drei Bücher auf der Grundlage der Kognitiven Verhaltenstherapie für Kinder veröffentlicht, die von Therapeuten, Ärzten und Eltern rege genutzt wurden: Momo (Wutmanagement), Lily (Angst) und Joi (Depression).

e: Ist das weiterhin der Schwerpunkt deiner Arbeit mit Artipania?

Praew: Artipania begann als Start-up für Buchprojekte, die wir weiter vertreiben. Inzwischen biete ich auch Schulungen in Design Thinking und Facilitation für Unternehmen, gemeinnützige Organisationen und Universitäten an. Außerdem leite ich Design Thinking Workshops, in denen ich Teams beim Brainstorming und der Produktentwicklung helfe. Die Philosophie hinter Artipania ist es, Menschen beim Lernen zu unterstützen.

e: Was reizt dich daran, Menschen beim Lernen zu unterstützen?

Praew: Dabei haben mich meine Eltern beeinflusst. Meine Mutter ist Professorin für öffentliches Recht und arbeitet an Gesetzen, die die Probleme der Menschen lösen können. Mein Vater, ein Anwalt, spezialisierte sich auf juristische Übersetzungen und half Menschen, Gesetze zu verstehen. Beide unterrichteten Studierende und berieten sie in Lebensfragen. Zudem praktiziere ich seit meiner Kindheit Theravada-Buddhismus. Als Teenager nahm ich an einem Vipassana-Meditationscamp teil, zunächst um meine Konzentration im Studium zu verbessern. Aber die Vipassana-Meditation verhalf mir auch zu innerem Frieden, Mitgefühl und Selbsterkenntnis. Sie lehrte mich, mir meiner Gefühle bewusst zu sein und meinen Geist ins Gleichgewicht zu bringen. Lernen führt zu Weisheit, die Lebensentscheidungen lenkt, Schaden verhindert und Freude begünstigt. Das kommt in dem Namen Artipania – Große Weisheit – zum Ausdruck.

e: Was hast du über das Lernen gelernt?

Praew: Lernen ist individuell. Ich nutze Theorien, aber großartige Lehrer orientieren sich an ihren Schülern. Ein Mentor sagte einmal zu mir: »Wenn eine Theorie einem Lernenden nicht weiterhilft, dann experimentiere!« Eine meiner Studentinnen kämpfte mit Selbstzweifeln und ihrem Zeitmanagement. Anstatt ihr lediglich Ratschläge zu erteilen, motivierte ich sie, jeden Abend mit mir spazieren zu gehen. Mit der Zeit bemerkte sie, dass sie auf diese Weise Zeit fand, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren.

e: Du stellst die Bedürfnisse von Lernenden in den Mittelpunkt und experimentierst, um herauszufinden, was funktioniert.

Praew: Ja. Meine Motivation, zu helfen, kommt aus meinen Lebenserfahrungen. Als Teenager habe ich als Freiwillige in einem Meditationscamp die Toiletten geputzt – eine Aufgabe, die ich nicht mochte, die mich aber später erfüllte. Die kognitive Verhaltenstherapie lehrt: »Folge deinem Plan, nicht deinen Gefühlen.« Manchmal muss man das tun, was nötig ist, nicht nur das, was sich gut anfühlt. Der Buddhismus und die Freiwilligenarbeit haben mich Resilienz und Disziplin gelehrt, die ich jetzt mit anderen teile.

Author:
Kaa Faensen
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