Eine Krise der Autoritäten

Our Emotional Participation in the World
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Essay
Published On:

February 2, 2021

Featuring:
Adorno
Markus Söder
Angela Merkel
Christian Drosten
Clara Schließler
Frenkel-Brunswik
Oliver ­Nachtwey
Nadine Frei
Robert Schäfer
Ken Jebsen
Florian Kirner
William Ury
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Issue:
Ausgabe 29 / 2021:
|
February 2021
Wissenschaft
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Wie kommen wir in ein konstruktives Gespräch?

Im Zuge der Corona-Pandemie scheinen sich die Risse in unserem sozialen Gefüge zu vertiefen. Befürworter und Kritiker der Maßnahmen stehen sich häufig unversöhnlich gegenüber. Wie können wir diese Polarisierung verstehen und was hat sie mit unserem Bezug zu Autoritäten zu tun?

Die Corona-Pandemie ist auch eine Krise der Autoritäten. Wer hat das Recht über wen zu bestimmen? Die Regierenden stehen in der Verantwortung, zum Wohle der Bürger wirksam zu handeln, um die Folgen der Pandemie zu begrenzen. Das ist eine Autorität, die ihnen durch demokratische Wahlen gegeben wurde. Politiker wie Markus Söder inszenieren sich als starke Autorität oder beanspruchen wie Jens Spahn eine umfassende Autorität, um Beschlüsse umzusetzen. Die Regierung greift mit ihren Beschlüssen in die Freiheit der Menschen ein, das zu tun, was sie wollen. Darüber, wie verhältnismäßig dies ist, entzündet sich eine aufgeheizte Debatte. Skeptiker der Corona-Maßnahmen mahnen diese Angemessenheit an und befürchten eine autoritäre Regierung. Und im Milieu der Querdenker werden staatliche, wirtschaftliche, wissenschaftliche und mediale Autoritäten – von Bill Gates über Christian Drosten bis zu Angela Merkel – auch zu Feindbildern, wenn auf Demos Plakate mit solchen Autoritäten in Sträflingskleidung herumgetragen oder Verschwörungserzählungen um sie gesponnen werden. Auf diesen Demos und in den entsprechenden Gruppen in den sozialen Medien mischen sich auch rechte Kräfte unter die Autoritätskritiker und geben sich als Verfechter der Freiheit aus – politische Akteure, die selbst eine autoritäre, national-konservative, undemokratische Gesellschaft anstreben. Wie ist es möglich, dass antiautoritär oder autoritätskritisch eingestellte Menschen, oft auch aus alternativen Milieus, sich mit rechtspopulistischen Aktivisten verbünden, die eigentlich viel stärkere autoritäre Strukturen etablieren wollen?

Die AfD, die sich jetzt zur Hüterin der Freiheitsrechte aufspielt, würde diese selbst, sollte sie Macht erhalten, wohl massiv einschränken. Jede neue Maßnahme wird als Maulkorb, Gängelung oder »an die Leine nehmen« der Bevölkerung kommentiert. Dass dies nicht in der Sache begründet liegt, wird klar, wenn man bedenkt, dass die AfD zu Beginn der Pandemie einen drastischen Shutdown forderte und der Regierung Zögern vorwarf. Hier geht es also darum, Unfrieden zu säen, um sich als Anwältin der Freiheit zu inszenieren und gleichzeitig mit der eigenen freiheitsfeindlichen, aggressiven Ideologie mehr Einfluss zu gewinnen. Das führt nun auch dazu, dass die Regionen, in denen die AfD viele Wähler hat, zu denen gehören, in denen die Folgen der Pandemie am heftigsten sind.

Die Sozialpsychologin Clara Schließler erforscht durch Befragungen das Milieu der Corona-Skeptiker und kommt zu dem Schluss, dass sich häufig eine »autoritäre Aggression« zeige. Sie nimmt Bezug auf Studien von Adorno, Frenkel-Brunswik und Kollegen zum »autoritären Charakter«, der sich Autoritäten unterwirft, aber weil er eigene Bedürfnisse unterdrücken muss, gleichzeitig eine Aggression entwickelt, die selbst autoritäre Züge hat und sich z. B. auch in der Bildung von Feindbildern zeigt. Schließler erklärt: »Es ist nicht autoritär, die Regierungspolitik in der Pandemie zu hinterfragen. Es ist autoritär, die Komplexität einer Pandemie, der Gesellschaft und der Politik nicht anzuerkennen, sondern stattdessen einem Drosten oder einer Merkel die Schuld an der Situation zu geben. Problematisch ist auch die Vorstellung, dass die Situation gelöst würde, wenn sie ›weg‹ wären.« Eine Atmosphäre der Missachtung, in der autoritäre Aggression zunimmt, wird aber auch von Menschen gefördert, die den politischen und wissenschaftlichen Autoritäten folgen und Kritiker pauschal als Covidioten verunglimpfen.

EIN VERBUNDENER UMGANG LIEGT SICHER NICHT IM GEGENSEITIGEN BESCHULDIGEN, SONDERN IM VERSTEHEN.

Eine weitere Studie zum Thema der »Politischen Soziologie der Corona-Proteste« verfasste der Basler Soziologe Oliver ­Nachtwey mit seinen Kolleg*innen Nadine Frei und ­Robert Schäfer. Sie beruht auf Befragungen in Querdenker-Telegram-Gruppen. Die Soziologen fanden heraus, dass in der Bewegung zahlreiche Menschen aktiv sind, die aus einem linksliberalen Hintergrund kommen. 18 % wählten Die Linke, 23 % Bündnis90/Die Grünen, die AfD wählten 15 %. Bei der nächsten Wahl würden 27 % die AfD wählen, die Linke nur noch 5 % und die Grünen nur noch 1 %. Hier zeigt sich also eine Bewegung im politischen Spektrum von links nach rechts. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die Bewegung »weder ausgesprochen fremden- oder islamfeindlich, in einigen wenigen Bereichen sogar eher antiautoritär und der Anthroposophie zugeneigt« sei.

Wie geht aber eine antiautoritäre Haltung mit der autoritären Aggression zusammen, die in den Protesten und zudem in alternativen Medien laut wird? Es ist ein Verdienst der Postmoderne, den Einfluss autoritärer Strukturen zu kritisieren und zu dekonstruieren. Zugleich wurden der Wert und die Freiheit des Individuums gestärkt. Es zeigt sich aber auch, dass diese postmoderne Haltung zu einem allgemeinen Misstrauen gegenüber Autoritäten wie Regierenden und Wissenschaftlern führen kann, das selbst autoritäre Züge annehmen kann. In alternativen Medien werden sicherlich vielfach wichtige Fragen gestellt, die manchmal als Korrektiv zu dem wirken, was in den Leitmedien zu Wort kommt. Aber zunehmend werden die Ansichten von einer angeblichen Corona-Diktatur oder eines »Totalfaschismus« (Ken Jebsen) mit einer absoluten Autorität verbreitet, der dann Menschen, die den etablierten Autoritäten misstrauen, vertrauen. Neuen Autoritäten in dieser Weise zu folgen, wird dann als Selbstdenken oder Querdenken bezeichnet. Durch diese Dynamik können sich rechtspopulistische Kräfte als Freiheitskämpfer stilisieren und damit ihre eigene Autorität stärken.

Die Basler Forschungsgruppe konstatiert dann auch, dass die Querdenker eine Bewegung seien, »die nach rechts offen ist und über ein beträchtliches immanentes Radikalisierungspotenzial verfügt«. Diese Radikalisierung zeigt sich manchmal in einer »Bürgerkriegs-Rhetorik«, wie es der Rubikon-Mitbegründer und ehemalige KenFM-Mitarbeiter Florian Kirner bezeichnet, und in Umsturzfantasien, wie sie der Arzt Bodo Schiffmann äußert.

Die Radikalisierung zeigt sich aber auch darin, dass traumatische Erfahrungen mit Autorität an die Oberfläche gelangen. Und davon gibt es in der deutschen Geschichte ja genug. Absurde Vergleiche der jetzigen Situation mit denen in der DDR, die Stilisierung von Protesten als neue »Wende«, die Verbindung der Judenverfolgung mit Kritik an den Coronaprotesten oder die un­sägliche Bezeichnung eines Lockdowns als »KZ Deutschland« deuten auf tiefere Wunden hin.

Die Radikalisierung zeigt sich auch in der Verhärtung, mit der gegenteilige Positionen vertreten werden. Gerade dies wird uns in der nächsten Zeit noch sehr beschäftigen. Es scheint sich eine unversöhnliche Kluft aufzutun zwischen Menschen, die Corona als eine ernst zu nehmende Gefahr mit schwerwiegenden Folgen ansehen, und solchen, die diese Gefahr geringer einschätzen, die Maßnahmen für falsch oder fehlgeleitet halten und/oder dahinter einen geheimen Plan von Eliten oder bösen Mächten sehen. Die Diskussion um die Impfung kann diese Gräben noch vergrößern.

Hier braucht es auf allen Seiten wohl auch Verständnis dafür, dass in dieser herausfordernden Situation biografische und soziale Erfahrungen mit Missbrauch von Autorität aktiviert werden. Ein verbundener Umgang mit solchen Erfahrungen liegt sicher nicht im gegenseitigen Beschuldigen, sondern im Verstehen.

Dazu gehört auch die Reflektion über autoritäre Aggression auf allen Seiten, seien es nun Querdenker oder Drosten-Ultras. Es bedeutet außerdem eine kritische Wachsamkeit gegenüber autoritären Strukturen in der gegenwärtigen Politik oder Bestrebungen hin zu einer digitalen Totalüberwachung. Aber vor allem bedarf es der Weiterentwicklung unseres demokratischen und sozialen Miteinanders. In eine Richtung, die Clara Schließler so beschreibt: »Es würde helfen, die soziale Ungleichheit zu verkleinern. Gesellschaftliche Teilhabe zu verbreitern. Die Grundlage des Gefühls von Ohnmacht, das mit Verschwörungsglauben, Aberglauben und autoritärer Aggression bearbeitet wird, wird durch gesellschaftliche Begebenheiten ausgelöst. Und die müssen bearbeitet werden.«

Dazu wird es aber auch nötig sein, individuelle und kollektive Traumata bewusst zu machen und zu integrieren, die sich in autoritärer Aggression, in Schuldzuweisungen und in Bezügen zu den diktatorischen Erfahrungen der DDR- und NS-Zeit äußern. Die Arbeit an kollektiven Traumata ist neu, die intergenerationale Wirkung traumatischer Erfahrungen wird aber verstärkt erforscht. William Ury, ein Mediator, der in vielen Krisengebieten der Welt vermittelt, erklärt: »In Prozesse der Mediation kommen die Menschen mit ihren unterschiedlichen Positionen. Mein Ansatz ist dann, danach zu fragen, warum sie diese Position vertreten, was ihnen Sorgen macht, was sie wirklich wollen. So kommen wir zu den tieferen zugrunde liegenden Interessen und Bedürfnissen. Und ich merkte mehr und mehr, dass es unter all dem eine noch tiefere Ebene gibt, die des Traumas.« Eine zunehmende Klärung des Bewusstseins von Schatten und Ängsten der Vergangenheit könnte helfen, den Raum zu öffnen, um ko­nstruktiv gemeinsam herauszufinden, wie wir unsere Gesellschaft sozialer, ökologischer, gerechter, gemeinschaftlicher und bewusster gestalten können.

Author:
Mike Kauschke
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