Transformative Geschichten
Die Filmserie »Shifting Landscapes«
October 28, 2024
Über das Buch »Nach der Ausbeutung – Wie unser Verhältnis zur Erde gelingen kann« von Kocku von Stuckrad
Immer deutlicher wird, dass die ökologische Krise andere Antworten braucht als nur technische, so wichtig Maßnahmen wie etwa die CO2-Reduzierung auch sind. Vielmehr geht es darum, so Stuckrad, Religionswissenschaftler an der Universität Groningen, das Verhältnis des Menschen zur Natur neu zu denken, weg von der distanzierten Beobachtung hin zur Teilhabe, weg von der Herrschaft über die Natur hin zum Bewusstsein, Teil von ihr zu sein, weg von der Beschäftigung mit einzelnen isolierten Objekten hin zur Wahrnehmung von Beziehungsgeflechten. Dabei zeichnet sich eine grundsätzliche Neuorientierung der Wissenschaft ab, die Stuckrad als »relational turn« oder »relationale Wende« bezeichnet.
Über das Buch »Nach der Ausbeutung – Wie unser Verhältnis zur Erde gelingen kann« von Kocku von Stuckrad
Immer deutlicher wird, dass die ökologische Krise andere Antworten braucht als nur technische, so wichtig Maßnahmen wie etwa die CO2-Reduzierung auch sind. Vielmehr geht es darum, so Stuckrad, Religionswissenschaftler an der Universität Groningen, das Verhältnis des Menschen zur Natur neu zu denken, weg von der distanzierten Beobachtung hin zur Teilhabe, weg von der Herrschaft über die Natur hin zum Bewusstsein, Teil von ihr zu sein, weg von der Beschäftigung mit einzelnen isolierten Objekten hin zur Wahrnehmung von Beziehungsgeflechten. Dabei zeichnet sich eine grundsätzliche Neuorientierung der Wissenschaft ab, die Stuckrad als »relational turn« oder »relationale Wende« bezeichnet.
Er zeichnet zunächst die Geschichte der Trennung von Natur und Kultur sowie der des Menschen von allen anderen Lebewesen nach, eine Geschichte vom alttestamentarischen Gebot, der Mensch mache sich die Erde untertan, über die antike Philosophie (Aristoteles stellte den Menschen als Handelnden der Natur gegenüber), über das Mittelalter bis zur radikalen Trennung zu Beginn der Moderne bei René Descartes, der ausschließlich dem Menschen Seele und Verstand zusprach: die »Große Trennung«, von der schon Bruno Latour gesprochen hatte. Diese Trennung erweist sich als Voraussetzung für das Patriarchat mit seiner Unterdrückung des Weiblichen, für den Kapitalismus, der alle nichtmenschlichen Lebensformen ausbeutet, sowie für den Kolonialismus mit seiner Entwertung der naturverbundenen oder, wie man glaubte, unkultivierten und unzivilisierten indigenen Völker.
Die neuesten Forschungen der Biologie bestätigen, was indigene Kulturen immer schon wussten: Tiere und Pflanzen sind Subjekte mit Handlungskompetenz, sie besitzen Intelligenz und Bewusstsein. Dafür finden sich in dem Buch erstaunliche Beispiele. Doch auch die Quantenphysik lässt die Trennung von beobachtendem Subjekt und beobachtetem Objekt hinter sich und betont die Bedeutung von Relationen. »Was bisweilen als ›relationale Wende‹ bezeichnet wird, ist (…) ein Paradigmenwechsel in der Wissenschaft, der nichts weniger als ein Ende der Großen Trennung bedeutet.« (S. 53/54)
Stuckrad bezieht sich auf die Wissenschaft, zugleich aber macht er aufmerksam auf ihre Grenzen, auf die Bedingtheit ihrer Fragestellungen durch die Gesellschaft und deren kaum reflektierte Denkstrukturen. So kann das Buch auch zu einer Versachlichung der Diskussion über die Wissenschaft und andere Arten von Wissen beitragen. »Indem man der nichtmenschlichen Welt die volle Aufmerksamkeit widmet (…), formt sich ein Wissen, das weit über rationale Denkstrukturen hinausgeht. Dieses Wissen ist empathisch und relational, d. h. verbindend« (S. 179), aber eben auch situationsgebunden. Bereits die Romantiker hatten so gedacht, was ihre Naturphilosophie (Schelling, Novalis) wieder hochaktuell erscheinen lässt. Stuckrad betont aber: »Beide Wissensformen haben ihren eigenen Wert, doch wie sie miteinander zusammenhängen, ist eine spannende Frage (…).« (S. 192) Der Kosmos ist lebendig und beseelt, und der Mensch ist nur eines der unzähligen Lebewesen, mit denen er sich die Erde teilt. So steht auch die menschliche Perspektive gleichberechtigt neben den Perspektiven aller anderen Lebewesen, der Mensch darf sich nicht als Zentrum sehen – es gibt kein Zentrum mehr, und deshalb sollte man besser von »Mitwelt« sprechen als von »Umwelt«, weil der Begriff »Umwelt« bereits den Menschen als Zentrum voraussetzt.
Das Buch ist persönlich geschrieben insofern, als der Autor keine »objektive« Position von außerhalb beansprucht, sondern bewusst als Teil der großen Netzwerke spricht und dabei persönliche Erfahrungen nicht ausklammert. Am Ende stehen praktische Fragen wie die rechtliche Anerkennung nichtmenschlicher Subjekte (wie etwa von Flüssen) sowie die Vorstellung ermutigender Projekte und neuer Ansätze in Wirtschaft, Politik und in den Künsten.
Was den philosophischen Hintergrund betrifft, gibt es Aspekte, die noch weitergedacht werden könnten. Begriffspaare wie Natur – Kultur, Materie – Geist und so weiter werden in der westlichen Kultur in der Tat als sich ausschließende Gegensätze verstanden. Man wird allerdings diese Begriffe nicht los, denn Relationen kann man nur beschreiben als Beziehung zwischen Komponenten, die als einzelne erkennbar und verstehbar sein müssen. Man kann solche Begriffspaare aber auch als Pole eines gemeinsamen Feldes betrachten, in dem jeder Begriff mit seinem Gegenbegriff in jeweils unterschiedlicher Konstellation verbunden bleibt. »Toxisch« im Sinne von Stuckrad wäre dann nur die Abstraktion, die Trennung, die beide Pole auseinanderreißt.
»Der Kosmos ist lebendig und beseelt.«
Natur und Kultur als Einheit zu sehen, ist im Grunde ein Postulat, denn der Mensch hat die Freiheit, aus ihnen unversöhnliche Gegensätze zu machen, sich der Natur gegenüber zu stellen ohne sich als ihr Teil zu sehen, in zerstörerischen Technologien oder in der Kunst, wie in den Texten des italienischen und russischen Futurismus’, die den Krieg gegen die Natur feiern.
Hat der Mensch aufgrund dieser Freiheit nicht doch eine besondere Stellung im Kosmos? »In der indigenen Kosmologie ist der Mensch eine Schlüsselspezies«, schreibt Andreas Weber. Lässt sich seine besondere Stellung denken, ohne dass aus ihr ein Herrschaftsanspruch abgeleitet wird? Etwa im Sinne einer besonderen Verantwortung? Auch wenn die Perspektiven aller Wesen gleichberechtigt sind: Genau dies zu denken und daraus Folgerungen zu ziehen, ist das Potenzial des Menschen. Er hat – vielleicht doch als einziges Wesen – die Fähigkeit, sich gleichsam zu teilen, das eigene Denken und Handeln anzuschauen, zu reflektieren und zu bewerten. Von ihm muss der notwendige Transformationsschritt ausgehen und getragen werden.
Erstaunlich selten ist in dem Buch von Religion die Rede, denn »die Religionen haben (…) zur Rechtfertigung von Ausbeutung beigetragen.« (S. 35) Das gilt zwar im Bereich des Christentums für die offizielle Position der Kirchen, aber gilt es gleichermaßen für alle Religionen? Da sollte differenziert werden, denn auch im Christentum gibt es Strömungen, die nicht zwischen Schöpfergott und Schöpfung trennen, sondern die auch die Natur als eine der Manifestationen Gottes ansehen, wie das keltische Christentum, in dem Naturverehrung und Christentum sich harmonisch verbinden, wie in der Mystik (Hildegard von Bingen, Jakob Böhme) und im christlichen Neuplatonismus. Religionen können durchaus Partner des Transformationsprozesses sein, und vielleicht setzt sich die Einsicht durch, dass das indigene naturreligiöse Erbe und das Christentum beide Teile einer europäischen Spiritualität sind und nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten.
Stuckrads Buch öffnet die Türen für wichtige, weitreichende Diskussionen, weil es die entscheidenden Fragen behandelt, die die notwendige gesellschaftliche Transformation betreffen, gut auf den Punkt gebracht und verständlich dargestellt. Dieses wirklich wichtige Buch gehört in die Hände all derer, die die Zukunft mitgestalten möchten.