Das Wunder der Entfaltung
Rolf Verres’ Weg in die Welten des Bewusstseins
Rolf Verres’ Weg in die Welten des Bewusstseins
Als ich Rolf Verres zum ersten Mal begegnete, beeindruckte mich seine Lebendigkeit, der funkelnde Blick aus seinen wachen Augen. Ein Mann um die 70, der sich seine Neugier, ein kindliches Staunen erhalten hatte. Erst nach und nach erfuhr ich bei wiederholten Begegnungen in einem Netzwerkkreis, wie weit ihn diese Entdeckerlust geführt hatte. Er ist ein Forschender in den Welten unseres Bewusstseins und hat dabei Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, die unser Verständnis des Bewusstseins erweitert haben, mitgestaltet: eine integrative Medizin, die Körper und Seele berücksichtigt, eine Psychologie, die den Menschen mit tieferen Kraftquellen im eigenen Selbst verbindet, in der Erforschung der heilsamen Wirkung von Musik und der bewusstseinserweiternden Möglichkeiten psychedelischer Substanzen.
Als ich Rolf Verres nach seinen frühesten prägenden Erfahrungen frage, die ihn veranlassten, diesen forschenden Weg einzuschlagen, erinnert er sich an Unfälle in seiner wohlbehüteten Kindheit und Jugend. Ein Sturz im Sportunterricht eine Woche vor dem Konzert verhinderte seinen Auftritt, den er als langjährigster Klavierschüler mit anspruchsvollen Werken Beethovens bestreiten sollte. Ein ähnliches Erlebnis hatte er vor Beginn seines Medizinstudiums, als er sich als Beifahrer bei einem Autounfall eine komplizierte Trümmerfraktur im rechten Oberarm zuzog, die mit starken Schmerzen und einer fast ein Jahr dauernden Lähmung der rechten Hand einherging. »Diese Verletzungen haben mir gezeigt, dass das Leben nicht so berechenbar ist, wie ich bisher dachte. Ich habe gelernt, dass es eine Art von Sehnsucht gibt, die kaum auszuhalten ist.«
Als er die Hand wieder bewegen konnte, war sein Klavierspiel besser als zuvor, obwohl er gar nicht geübt hatte. Er hatte sich in der Zeit der Genesung weiter mit Musik beschäftigt, viel Musik gehört und sich mental vorgestellt, Klavier zu spielen. »Durch diese Erfahrung der Kraft des Geistes erlebte ich eine Bewusstseinserweiterung, die das Schlimme schließlich weit überstrahlte«, sagt er.
Rolf Verres’ Weg in die Welten des Bewusstseins
Als ich Rolf Verres zum ersten Mal begegnete, beeindruckte mich seine Lebendigkeit, der funkelnde Blick aus seinen wachen Augen. Ein Mann um die 70, der sich seine Neugier, ein kindliches Staunen erhalten hatte. Erst nach und nach erfuhr ich bei wiederholten Begegnungen in einem Netzwerkkreis, wie weit ihn diese Entdeckerlust geführt hatte. Er ist ein Forschender in den Welten unseres Bewusstseins und hat dabei Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, die unser Verständnis des Bewusstseins erweitert haben, mitgestaltet: eine integrative Medizin, die Körper und Seele berücksichtigt, eine Psychologie, die den Menschen mit tieferen Kraftquellen im eigenen Selbst verbindet, in der Erforschung der heilsamen Wirkung von Musik und der bewusstseinserweiternden Möglichkeiten psychedelischer Substanzen.
Als ich Rolf Verres nach seinen frühesten prägenden Erfahrungen frage, die ihn veranlassten, diesen forschenden Weg einzuschlagen, erinnert er sich an Unfälle in seiner wohlbehüteten Kindheit und Jugend. Ein Sturz im Sportunterricht eine Woche vor dem Konzert verhinderte seinen Auftritt, den er als langjährigster Klavierschüler mit anspruchsvollen Werken Beethovens bestreiten sollte. Ein ähnliches Erlebnis hatte er vor Beginn seines Medizinstudiums, als er sich als Beifahrer bei einem Autounfall eine komplizierte Trümmerfraktur im rechten Oberarm zuzog, die mit starken Schmerzen und einer fast ein Jahr dauernden Lähmung der rechten Hand einherging. »Diese Verletzungen haben mir gezeigt, dass das Leben nicht so berechenbar ist, wie ich bisher dachte. Ich habe gelernt, dass es eine Art von Sehnsucht gibt, die kaum auszuhalten ist.«
Als er die Hand wieder bewegen konnte, war sein Klavierspiel besser als zuvor, obwohl er gar nicht geübt hatte. Er hatte sich in der Zeit der Genesung weiter mit Musik beschäftigt, viel Musik gehört und sich mental vorgestellt, Klavier zu spielen. »Durch diese Erfahrung der Kraft des Geistes erlebte ich eine Bewusstseinserweiterung, die das Schlimme schließlich weit überstrahlte«, sagt er.
Trotz der engen Verbindung zur Musik schlug Rolf Verres einen anderen Berufsweg ein. Inspiriert durch zwei Onkel, die beide Ärzte waren und ihn durch ihre geistige Offenheit beeindruckten, studierte er Medizin. Wegen der Zulassungsbeschränkungen musste er sechs Semester warten, bis er zum Medizinstudium zugelassen wurde. In der Wartezeit begann er, Psychologie zu studieren.
1975 schloss Verres sein Medizinstudium ab und nach einem Stipendium an der kalifornischen Stanford University auch sein Psychologiestudium. Von Beginn an verband er beide Fachbereiche. »Als junger Arzt in der Heidelberger Uniklinik wusste ich schon, dass ich nur dort tätig sein kann, wo ganzheitlich gearbeitet wird, wo die seelische Seite genauso wichtig genommen wird wie die körperliche Seite des Menschen.« In Heidelberg war die Psychosomatik besonders weit entwickelt. Dort lernte er systemorientiertes Denken in großen Zusammenhängen.
Auf diesem Weg kam Rolf Verres auch zur Psychoonkologie. Von der Deutschen Krebshilfe wurde in Heidelberg die erste Psychosoziale Beratungsstelle für Krebsbetroffene gegründet. Dort arbeitete er als junger Arzt in der Psychoonkologie und Psychosomatik und schrieb seine Doktorarbeit über die mangelnde Motivation von Männern zur Krebsfrüherkennungsuntersuchung. Dabei merkte er, dass man in der Psychologie mit Zählen und Messen nicht sehr weit kommt. Wertvoller war das am einzelnen Menschen orientierte Nachfragen.
Hier schulte er seinen Blick auf die subjektiven Theorien der Menschen. Er sagt: »Jemand kann noch so krank sein, er hat fast immer noch irgendwo Hoffnung, er hat etwas in sich, das leben will. Mich damit zu verbinden und zu verbünden hat oft zu guten Ergebnissen geführt. Ein Mensch kann noch so bedauernswert aussehen; wenn ich ihm in die Augen schaue und eine wirkliche Beziehung aufnehme, kann ich über das Wunder der zwischenmenschlichen Resonanz staunen.«
Nachdem er zahlreiche Einladungen zu Veranstaltungen über Krebs und Angst angenommen hatte, widmete er sich immer konsequenter der umfassenderen Frage, wie man eine »Kunst zu leben« fördern kann.
Den systemischen, ganzheitlichen Blick wandte er auch auf die Psychologie selbst an und konzentrierte sich auf die Überschneidungen von tiefenpsychologischen, verhaltenstherapeutischen und systemischen Theorien. Als Dozent für Psychologie bewahrte er sich diesen übergreifenden Blick, der auch die heilsamen Potenziale von Musik umfasste.
Während er von 1987 bis 1991 Professor für Medizinische Psychologie am Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf war, wurde er oft als Experte für Psychologie und Psychosomatik an die dortige Hochschule für Musik und Theater gerufen. Dabei entstanden jahrelange Forschungsprojekte mit Musiktherapeuten und Curricula für deren Ausbildung. »So bin ich beruflich immer mit der Musik in Verbindung geblieben, und ich fragte mich: Kann Musik in der Heilkunde nützlich sein? Die Beschäftigung mit Kunst und Musik hat mich zu der Erkenntnis gebracht, dass die Persönlichkeitsentwicklung in der Heilkunde mindestens so wichtig ist wie das Fachwissen«, erklärt er.
Neben der potenziell bewusstseinsverändernden Kraft von Musik erhielt eine weitere Methode zur Bewusstseinserweiterung zunehmend Gewicht in seinem Wirken. In der Weiterbildung lernte er die Katathym-Imaginative Psychotherapie von Hanscarl Leuner kennen. »Das ist eine Imaginationsmethode, wo man Tagträume produziert und mit dem Therapeuten darüber spricht, während man sie gerade hat«, erklärt Rolf Verres. Leuner arbeitete auch mit psychoaktiven Substanzen, vor allem mit LSD. Bei einem Seminar auf Gran Canaria lernten sich die beiden näher kennen und freundeten sich an. Leuner wollte gerade eine Fachgesellschaft für die Psychotherapie mit psychoaktiven Substanzen gründen, das Europäische Collegium für Bewusstseinsstudien. Rolf Verres wurde Mitbegründer und Vorstandsmitglied und lernte viele andere wegweisende Experten kennen, insbesondere Albert Hofmann, den Entdecker des LSD, mit dem ihn später eine intensive Freundschaft verband. Es folgten Forschungsreisen nach Lateinamerika und große Kongresse zum Thema, die er mitgestaltete.
Zudem entstand an der Heidelberger Universität, wo Rolf Verres von 1991 bis 2013 Ärztlicher Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie war, ein interdisziplinärer Sonderforschungsbereich Ritualdynamik mit 140 akademischen Mitarbeitern. In diesem Rahmen leitete er zwölf Jahre lang eine Arbeitsgruppe zur Wirkung von Ritualen im Gebrauch psychoaktiver Substanzen. »Eine unserer Forschungsfragen war: Kann man mit Ritualen, also mit kontrollierten Bedingungen, den Gebrauch bestimmter psychoaktiver Substanzen sicherer gestalten? Wir fanden heraus, dass es möglich ist.« Zu den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen zählte auch die Brasilianerin Bia Labate, eine weltweit anerkannte Expertin der Ayahuascaforschung. Mit ihr erlebte Rolf Verres in Brasilien die Verwendung von Ayahuasca in religiösen Zeremonien.
Diese interkulturellen Erfahrungen veränderten sein Verständnis des Bewusstseins. »Wenn wir eine psychoaktive Substanz einnehmen, die unser Bewusstsein verändert und Halluzinationen produziert, ist unser Gehirn einerseits Empfänger dieser chemischen Substanzen, aber andererseits auch Sender in die Welt hinein. In den brasilianischen Ayahuasca-Zeremonien spricht man übrigens nicht von Halluzinationen, sondern von Visionen.«
Solche Orientierungshilfen sind für Rolf Verres wichtig, wenn man psychoaktive Substanzen nutzt. Und er rät dazu, sich unbedingt von erfahrenen Begleitern unterstützen zu lassen, aber auch im täglichen menschlichen Miteinander der Erforschung unseres Bewusstseins mehr Raum zu geben. »Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der jeder Mensch versucht, bei jeder Kommunikation so bewusst wie möglich zu leben.«
Bei seinen eigenen Erfahrungen mit psychoaktiven Substanzen beeindruckte ihn vor allem die Intensivierung der Naturwahrnehmung. »Es ist ein Empfinden des Einsseins, wo die Grenzen zwischen Ich und der Welt immer durchlässiger werden. Diese ozeanische Selbstentgrenzung kann aber auch in eine angstvolle Ichauflösung übergehen und umgekehrt. Ein achtsamer Umgang mit psychedelischen Substanzen führt im Idealfall auch generell zu einer besseren Selbstbeherrschung mit einer insgesamt bewussteren Lebensführung.« Von sich selbst sagt er heute: »Ich bin unendlich dankbar für diese Erfahrungen, aber ich brauche das nicht mehr.«
Ein Forscher des Bewusstseins ist Rolf Verres geblieben und er arbeitet an einem Buch, in dem er seine Erfahrungen reflektiert. Er pflegt seine Liebe zur Musik, zur Fotografie, zur Poesie. Und er genießt mit seiner Frau Michaela ein tiefes existenzielles Vertrauen. Kurz vor der Heirat wurde bei ihm eine Krebserkrankung diagnostiziert. Er sagt: »In unserer liebevollen Beziehung habe ich erlebt, dass Solidarität, Ehrlichkeit und Vertrauen das Wichtigste im Leben werden können.« Diese Werte wurden ihm auch in der Begegnung mit lebensgefährlich kranken Menschen, in der Psychotherapie, im Umgang mit Studierenden und in der Begleitung und Erforschung psychedelischer Erfahrungen immer wichtiger.
Als ich Rolf Verres zum Ende unseres Gesprächs als einen Pionier der Bewusstseinsforschung bezeichne, lächelt er und will von solch großen Worten nichts wissen. Und fügt schmunzelnd hinzu: »Aber mutig bin ich«.