Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
October 28, 2024
Die Filmserie »Shifting Landscapes«
Die Filmserie »Shifting Landscapes«
Shifting Landscapes« ist eine vierteilige Doku-Serie von den Machern des »Emergence Magazine«, Adam Loften und Emmanuel Vaughan-Lee, die sich mit diesem Filmvorhaben daran wagen, uns durch Kunst und Geschichtenerzählen ein wenig Orientierung im Dunkel dieser Zeit zu verschaffen.
Sie machen sich mit einem Musiker, einer Dichterin, einem Schriftsteller und einer Filmemacherin auf den Weg, jeder und jede mit ihren eigenen Herangehensweisen, transformative Geschichten zu erzählen. In »Der Gesang der Nachtigall« begleiten sie Sam Lee, einen traditionellen Folk-Sänger, zu den immer weniger werdenden Nachtigallen in Großbritannien. In »Aloha ’Āina« hören wir Jamaica Heolimeleikalani Osorios indigene Perspektive auf Hawaii, Hawaiis Kolonialgeschichte und die indigene Widerstandsbewegung am Mauna Kea erzählen. »Die letzte Eiszeit« begleitet Andri Snær Magnason und seinen Sohn zum Vatnajökull Gletscher in Island und wir erfahren, wie schnell sich die Landschaft verändert. Mit »Der Geschmack des Landes« ist ein Film über die kambodschanische Filmemacherin Kalyanee Mam enstanden, der ihr Nach-Hause-Kommen in die von Zerstörung bedrohten Wälder Kambodschas erzählt.
Alle vier Filme verbinden Geschichte mit Geschichten, wandeln auf Ahnenpfaden in die Tiefenzeit. Wenn Sam Lee tatsächlich mit den Nachtigallen singt, (und sie mit ihm) und sich die Frage stellt, ob wir darauf vorbereitet sind, dem Lied der letzten Nachtigall beizuwohnen, hören wir durch sein Lied die Lieder der Älteren. »Es ist ein Akt des Widerstands, des Nachts am Feuer zu sitzen und den Nachtigallen zuzuhören«, sagt er. Er hütet die alten Gesänge und singt mit den Vögeln um unser Leben.
»Wir brauchen eine neue Kosmologie.«
Jamaica spricht hawaiianisch. »Aloha ’Āina« heißt »Liebe zum Land«, ein Land, dessen Schönheit und Traditionen mit Gewalt für den Tourismus verraten und verkauft wurden. Wer spricht noch die alte Sprache, kennt die Tänze und die Traditionen? Mit ihren Sprechgedichten räumt sie auf Poetry Slams Preise ab und verbindet sich wieder und wieder mit ihren Wurzeln. Sie erzählt die Geschichte, wie Sprache als bewahrendes und lehrendes Element verbindet. Und die Geschichte, wie gemeinsamer Widerstand am Mauna Kea die Sprache, die Tänze und Traditionen wiederbelebt und gemeinsame Kultur und Identität schafft.
Den Klimawandel können wir nicht verstehen. Er ist wie ein schwarzes Loch, größer als Sprache, wir können ihn nicht anschauen, wir müssen an den Rändern schauen, sagt Andri Snær Magnason. Wir brauchen eine neue Kosmologie, hier entstehen neue Mythen. Niemand hat je erlebt, was wir gerade erleben. Als er die Geschichte des Gletschers und die seiner Großmutter erzählt, die bereits den Gletscher erforscht hat, beginne ich zu verstehen, was er meint. Die Zeit der großen Wasserverschiebung ist eine fundamentale Veränderung dieses Planeten. Wen lieben wir, der dies erleben wird?
Kalyanee Mam sucht ihre Wurzeln und findet sie, während sie von ihrer Familie, den Khmer Rouge, Kambodschas Geschichte und Gegenwart erzählt. Ihre Geschichte verzweigt sich und windet sich tiefer, wie die Wurzeln der Bäume in Angkor Wat. Es ist eine Geschichte der Vertreibung über Jahrzehnte und es ist eine Geschichte der Industrialisierung und der Zerstörung von Lebensgrundlagen. Sie endet in diesem Film mit dem Satz: »Es ist möglich, dass wir zum Land zurückfinden und uns wieder damit verbinden, für uns alle.«
Ich wurde reich beschenkt durch diese vier Filme. Sie alle zeigen Wege, gangbar und bereits gegangen, die durch unser Dilemma führen. Leise, gesellig, familiär, alt, lecker, zu Tränen rührend, trommelnd, tanzend, kochend, forschend, erinnernd. Ich weiß jetzt mehr über diese Welt und was an den Rändern des schwarzen Lochs passiert, im ermutigenden wie im beängstigenden Sinn. Wir schreiben nie dagewesene Geschichte. Andri Snær Magnason fragt: Wird es ein Schöpfungs- oder ein Zerstörungsmythos werden?