Selbstorganisiert wandeln

Our Emotional Participation in the World
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Interview
Publiziert am:

October 28, 2024

Mit:
Dorli Flämig
Kategorien von Anfragen:
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AUSGABE:
Ausgabe 44 / 2024
|
October 2024
Gemeinsame Gegenwärtigkeit
Diese Ausgabe erkunden

Erfahrungen im Reallabor

Selbstorganisierte Projekte wie Wohnprojekte, offene Werkstätten und solidarische Landwirtschaften stehen oft vor ähnlichen Herausforderungen: eine gemeinsame Vision, Entscheidungsprozesse und eine Kultur, damit Menschen Lust haben sich einzubringen. Dorli Flämig gibt Einblicke ins Forschungsprojekt ReallaborGutAlaune.

evolve: Was ist GutAlaune?

Dorli Flämig: GutAlaune ist ein Lebens- und Projektort bei Halle an der Saale mit Bauwagen, Jurten und Hütten im Grünen. Vor acht Jahren haben wir das Gelände als Verein gekauft. Seitdem leben hier zehn Menschen und entwickeln den Ort gemeinsam. Außerdem gehören noch einige dazu, die nicht hier wohnen, aber mit uns Projekte zu Natur, Kunst und Gemeinschaft organisieren.

e: Was hat dich an GutAlaune angezogen und was macht den Ort besonders?

DF: Ich wollte schon immer in Gemeinschaft leben und mich mit anderen zusammen organisieren. Besonders schätze ich hier die Kombination aus Gemeinschaftlichkeit und Raum für individuelle Eigenheiten. Es gibt Platz für Unterschiedlichkeit und für Rückzug, was ich als essenziell empfinde für die Freude am Zusammenleben.

e: Wie bringst du dich ein?

DF: Zurzeit mache ich viel Orga-Arbeit und die Finanzen. Außerdem glaube ich, dass vor allem gelungene emotionale Arbeit Menschen zusammenhält, und halte für andere und in mir dafür Raum. In den letzten zwei Jahren habe ich mit Gerriet Schwen das ReallaborGutAlaune geleitet.

Es entstand, weil wir immer wieder auf ähnliche Herausforderungen gestoßen sind, zum Beispiel, wie wir gute Entscheidungen treffen oder wie wir Konflikte lösen. Unser Eindruck war, dass die meisten Projekte, in denen Menschen versuchen, sich auf Augenhöhe selbst zu organisieren, ähnliche Probleme haben – egal ob das jetzt eine feministische Politgruppe, ein Kunstkollektiv oder ein anderes Wohnprojekt ist. Dann war unsere Idee: Wir gucken uns diese Themen direkt mit anderen Gruppen an, und indem wir Geschichten sowie Erfahrungswissen teilen, lernen wir zusammen mehr über Herausforderungen sowie praktische Lösungsansätze. Teilgenommen haben dann Menschen, die gemeinsam Dinge reparieren, die sich Autos, Werkzeuge oder ein Haus teilen, zusammen Gemüse anbauen und sich für politische Veränderung engagieren.

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Erfahrungen im Reallabor

Selbstorganisierte Projekte wie Wohnprojekte, offene Werkstätten und solidarische Landwirtschaften stehen oft vor ähnlichen Herausforderungen: eine gemeinsame Vision, Entscheidungsprozesse und eine Kultur, damit Menschen Lust haben sich einzubringen. Dorli Flämig gibt Einblicke ins Forschungsprojekt ReallaborGutAlaune.

evolve: Was ist GutAlaune?

Dorli Flämig: GutAlaune ist ein Lebens- und Projektort bei Halle an der Saale mit Bauwagen, Jurten und Hütten im Grünen. Vor acht Jahren haben wir das Gelände als Verein gekauft. Seitdem leben hier zehn Menschen und entwickeln den Ort gemeinsam. Außerdem gehören noch einige dazu, die nicht hier wohnen, aber mit uns Projekte zu Natur, Kunst und Gemeinschaft organisieren.

e: Was hat dich an GutAlaune angezogen und was macht den Ort besonders?

DF: Ich wollte schon immer in Gemeinschaft leben und mich mit anderen zusammen organisieren. Besonders schätze ich hier die Kombination aus Gemeinschaftlichkeit und Raum für individuelle Eigenheiten. Es gibt Platz für Unterschiedlichkeit und für Rückzug, was ich als essenziell empfinde für die Freude am Zusammenleben.

e: Wie bringst du dich ein?

DF: Zurzeit mache ich viel Orga-Arbeit und die Finanzen. Außerdem glaube ich, dass vor allem gelungene emotionale Arbeit Menschen zusammenhält, und halte für andere und in mir dafür Raum. In den letzten zwei Jahren habe ich mit Gerriet Schwen das ReallaborGutAlaune geleitet.

Es entstand, weil wir immer wieder auf ähnliche Herausforderungen gestoßen sind, zum Beispiel, wie wir gute Entscheidungen treffen oder wie wir Konflikte lösen. Unser Eindruck war, dass die meisten Projekte, in denen Menschen versuchen, sich auf Augenhöhe selbst zu organisieren, ähnliche Probleme haben – egal ob das jetzt eine feministische Politgruppe, ein Kunstkollektiv oder ein anderes Wohnprojekt ist. Dann war unsere Idee: Wir gucken uns diese Themen direkt mit anderen Gruppen an, und indem wir Geschichten sowie Erfahrungswissen teilen, lernen wir zusammen mehr über Herausforderungen sowie praktische Lösungsansätze. Teilgenommen haben dann Menschen, die gemeinsam Dinge reparieren, die sich Autos, Werkzeuge oder ein Haus teilen, zusammen Gemüse anbauen und sich für politische Veränderung engagieren.

e: Was sind typische Herausforderungen selbstorganisierter Projekte?

DF: Da gibt es viele, zum Beispiel: Wie treffen wir Entscheidungen, bei denen sich alle beteiligt fühlen und gehört werden, egal wie laut oder leise sie sind – und ohne ewig im Plenum zu sitzen?

Ein weiteres Thema ist der Umgang mit Wandel. Wir haben uns in einem begleiteten Gemeinschaftsprozess gefragt: Was muss sterben, damit unser Projekt weiterleben kann? Für mich waren das zum Beispiel Hoffnungen und Erwartungen, die ich an das Projekt geknüpft hatte, die sich aber so nicht mehr realisieren lassen. Oder um Menschen, die gegangen sind, wirklich zu trauern und von ihnen Abschied zu nehmen. Das habe ich als sehr heilsam empfunden, um Altes abzuschließen und für Neues offen zu sein, auch für neue Mitglieder.

Auch ein großes Thema war Resilienz. Also, wie kann man sich dauerhaft in einem selbstorganisierten Projekt engagieren, ohne auszubrennen? Mega wichtig, weil viele hochmotiviert in Gemeinschaftsprojekte starten, aber dann schnell ausbrennen. Zentral dabei ist, dass wir eigene Grenzen spüren, respektieren und setzen. Das ist einfacher in einer Gruppe, wo die Kapazitäten von jeder Einzelnen wertgeschätzt werden und es eine wohlwollende Haltung gibt, wenn Menschen sich abgrenzen, Aufgaben nicht übernehmen oder Aufgaben abgeben, die sie überfordern. Bei der Arbeit an der Podcastfolge durfte ich selbst von meinen Interviewpartnern lernen: Aktivismus ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Es geht darum, so für sich und einander zu sorgen, dass mensch langfristig durchhält. Also genügend Pausen, Freude und Nährendes muss auch dabei sein, um wohltuend aktiv zu sein – für sich und die Welt.

»Wie treffen wir Entscheidungen, bei denen sich alle beteiligt fühlen?«

e: Selbstorganisierte Projekte leben davon, dass Menschen Lust haben sich einzubringen. Wie kann eine Kultur entwickelt werden, bei der Menschen mitmachen wollen?

DF: Für mich beginnt es mit der Lust am Austausch, dem Wunsch, andere zu hören und sich mitzuteilen. Dann ist Offenheit entscheidend – für andere Menschen, für Neues, für Veränderungen. Und es ist auch wichtig, die eigenen Grenzen zu kennen. Manchmal kann ich einfach nichts mehr aufnehmen und muss genau das klar kommunizieren.

Dann ist die Arbeit an sich selbst wichtig. Es braucht genug Raum, damit alle ihre Emotionen wie Trauer, Wut, Freude und Angst ganz fühlen und ausdrücken können. Damit ich mich selbst ganz wahrnehme, brauche ich dafür vor allem eine regelmäßige Routine, um in den Körper zu kommen und mich ganz zu spüren. Das finde ich im Moment in Tantra Yoga und Meditation, wo es viel um Dehnungen und Energieflüsse geht. Verbindung und Sicherheit finde ich zusätzlich oft in Umarmungen oder im »Gehaltenwerden«. Und es ist wichtig zu reflektieren und zu verarbeiten, was mich triggert und was ich aus meiner Vergangenheit mitbringe. Wenn weniger auf den Gruppenprozess projiziert wird, kann sich die Gruppe besser entwickeln. Um uns in der Gruppe emotional auszutauschen, haben wir regelmäßige Treffen und mediierte Zeiten. Aber ehrlich gesagt könnten wir im wirklichen gemeinsamen Leben den Emotionen noch mehr Raum geben. Wichtig ist da vor allem, die Emotionen der anderen erstmal stehen zu lassen und nicht persönlich zu nehmen oder als Schuldzuweisung zu verstehen. Wenn man es schafft, aus der Dynamik von »Opfern« und »Tätern« auszusteigen, kann man den anderen lassen, wie mensch ist, mitfühlen und darin Verbindung finden.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Auseinandersetzung mit Macht. Auch in Gruppen, die hierarchiefrei sein wollen, wirken soziale Hierarchien und gesellschaftliche Privilegien. Daher braucht es Bewusstsein dafür, wer welche Privilegien mitbringt, um wirklich auf Augenhöhe zusammenwirken zu können. Oft werden in Gruppen, die Hierarchien ablehnen, soziale Hierarchien verdrängt. Dabei ist es einfacher, formale Hierarchien wie die eines Chefs anzusprechen, schwieriger ist es aber, implizite und oft unsichtbare Hierarchien anzusprechen, die durch Wissen, Erfahrung oder Zugehörigkeit zur Gruppe entstehen.

Und nicht zuletzt: Wie kann ich mich anderen Perspektiven wirklich öffnen? Wenn ich jemanden nicht verstehe, versuche ich die Ängste, die Trauer oder die Wut hinter einer Haltung zu erkennen. Das finde ich schon in unserer kleinen Gruppe herausfordernd und frage mich manchmal: Wie kann das dann in den großen Konflikten der Welt klappen? In Zeiten von Populismus und neuen Kriegen ist es umso wichtiger, aufeinander zuzugehen. Offenheit, Selbstreflexion und Zeit helfen – aber es bleibt ein riesiges Übungsfeld.

e: Siehst du das Üben von Gemeinschaftlichkeit als eine demokratische Praxis? Quasi im Kleinen üben für die große Gemeinschaft?

DF: Absolut. Mein Anspruch ist, nicht nur in meiner kleinen Gruppe, sondern auch in unserer Demokratie Verständnis für Meinungen zu haben, die ich nicht verstehe. Hätten manche Menschen in ihrem Leben mehr Raum für Persönlichkeitsentwicklung gehabt, dann hätten wohl einige Kriege nicht stattgefunden.

e: Wo geht die Forschung weiter?

DF: Nach dem Reallabor suchen wir Finanzierung, um unter dem Namen collaboratorium.cc weiter Aktive aus selbstorganisierten Projekten zusammenzubringen, um zu konkreten Herausforderungen zu forschen. Besonders wichtig finde ich dabei das Erfahrungswissen nicht-weißer Menschen. BIPoC’s (Schwarze, Indigene und People of Color) sowie feministische Bewegungen haben sich lange in marginalisierten Positionen organisiert, in harten Zeiten zusammengestanden und trotz aller Gegenmacht Emanzipation vorangebracht. Von diesen Menschen will ich mehr lernen!

Author:
Gerriet Schwen
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