Die Weisheit zwischen uns
evolve: Du bezeichnest deine Arbeit als Collective Presencing. Kannst du uns eine Vorstellung davon geben, was das ist?
Ria Baeck: Für mich geht es seit Langem um die Frage, was zwischen Menschen möglich wird, wenn wir gemeinsam in der Gegenwart anwesend sind und spüren, was als Nächstes auf uns zukommen will. Das Wort presencing hat Otto Scharmer geprägt, es verbindet die Worte presence und sensing. Wir sind präsent und nehmen die subtilen Signale in einem kollektiven Dialogprozess wahr. Ich habe es Collective Presencing genannt, weil wir das in einer Gruppe, in einem Team, in einem Kreis gemeinsam zur gleichen Frage oder zum gleichen Thema praktizieren. Was wird dann möglich?
e: Und was wird dann nach deiner Erfahrung möglich?
RB: Wenn wir alle wirklich anwesend sind und es keine Projektionen oder Konfliktauslöser gibt, verwebt sich die Kombination aus den Einsichten, Geschichten und Erfahrungen aller Anwesenden zu etwas Neuem. Das kann etwas sehr Subtiles sein: »Oh, jetzt haben wir uns alle gemeinsam eine Schicht tiefer bewegt, wir kommen einer tieferen Ganzheit näher.« Das ist für mich ein Weg, die enorme Komplexität all der Probleme und Fragen, in denen wir uns befinden, zu bewältigen. Und das brauchen wir als eine neue Art des kollektiven Wissens.
Die Weisheit zwischen uns
evolve: Du bezeichnest deine Arbeit als Collective Presencing. Kannst du uns eine Vorstellung davon geben, was das ist?
Ria Baeck: Für mich geht es seit Langem um die Frage, was zwischen Menschen möglich wird, wenn wir gemeinsam in der Gegenwart anwesend sind und spüren, was als Nächstes auf uns zukommen will. Das Wort presencing hat Otto Scharmer geprägt, es verbindet die Worte presence und sensing. Wir sind präsent und nehmen die subtilen Signale in einem kollektiven Dialogprozess wahr. Ich habe es Collective Presencing genannt, weil wir das in einer Gruppe, in einem Team, in einem Kreis gemeinsam zur gleichen Frage oder zum gleichen Thema praktizieren. Was wird dann möglich?
e: Und was wird dann nach deiner Erfahrung möglich?
RB: Wenn wir alle wirklich anwesend sind und es keine Projektionen oder Konfliktauslöser gibt, verwebt sich die Kombination aus den Einsichten, Geschichten und Erfahrungen aller Anwesenden zu etwas Neuem. Das kann etwas sehr Subtiles sein: »Oh, jetzt haben wir uns alle gemeinsam eine Schicht tiefer bewegt, wir kommen einer tieferen Ganzheit näher.« Das ist für mich ein Weg, die enorme Komplexität all der Probleme und Fragen, in denen wir uns befinden, zu bewältigen. Und das brauchen wir als eine neue Art des kollektiven Wissens.
e: Um Antworten auf die Komplexität der Krise zu finden, mit der wir konfrontiert sind, geht es nicht mehr darum, nach einem Genie oder einem Anführer zu suchen, der uns da hindurchführen kann, sondern es gibt ein Kollektiv, das in diesem Moment gegenwärtig ist, und wir als Menschen können uns in unserer Verletzlichkeit zeigen.
RB: Ja, wir nehmen die subtilen Signale wahr, die wir in unserem hektischen Leben oft übersehen. Wenn wir in einem Kreis zusammensitzen, werden wir langsamer, so dass wir tatsächlich spüren, was auftaucht, welche neuen Einsichten entstehen oder welche neuen Verbindungen zwischen verschiedenen Aspekten sichtbar werden. Ich glaube, das ist heute besonders notwendig, denn die Dinge sind wesentlich komplexer, als wir es uns jemals vorgestellt haben. Man denke nur daran, was wir in den jüngsten wissenschaftlichen Entdeckungen über Pflanzen und Tiere, über unsere Lebensräume lernen. Es ist unmöglich für einen Einzelnen, das zu begreifen.
e: Wenn Menschen zusammenkommen und ihre Wurzeln und ihre Verankerung in ihrer eigenen Kultur, ihrem Kontext und ihrer Lebensgeschichte mit anderen teilen, entsteht bei dieser Art von Praxis etwas Gemeinsames, das diese Zusammengehörigkeit zu einer anderen Art von Bedeutung, einem neuen Empfinden und einer neuen Sinngebung verwebt. Wenn Menschen in diesem Raum zusammenkommen, wenn sie präsent und verletzlich sind, ermöglicht das eine kollektive Sinnfindung, die viel komplexer ist, weil sie aus vielen verschiedenen Quellen aus dem gesamten Kreis genährt wird.
»Wir sind in einer evolutionären Entfaltung, die oft an Krisenpunkten stattfindet.«
RB: Und es ist nicht so, dass man eins und zwei und drei addiert, es geht nicht um Addition. Es entwickelt sich in alle Richtungen. Es ist nicht so, dass ich einer Sache eine andere hinzufüge und dann des Rätsels Lösung finde. Stattdessen leistet jede ihren Beitrag, und daraus entsteht ein innerer Sinn für die Lösung oder zumindest ein Sinn für den nächsten Schritt, der tatsächlich aus einer umfassenderen Ebene oder einem tieferen Feld kommt. Das tun wir, wenn wir wirklich präsent sind und uns nicht in all den Oberflächenreaktionen oder emotionalen Triggern verlieren. Wir haben Zugang zu etwas, das näher an dem ist, worum es im Leben im Allgemeinen wirklich geht.
e: Das ist eine schöne Aussage. Kannst du mehr dazu sagen?
RB: Im Westen haben wir eine so lineare, materialistische Vorstellung davon, wie die Welt funktioniert. Wenn ich einen Ball schieße, gibt es physikalische Gesetze, die das, was da passiert, erklären können. Und wir neigen dazu zu denken, dass es zwischen den Menschen und in der Natur genauso funktioniert. Aber wir wissen inzwischen, dass in Ökosystemen in der Natur Millionen von Dingen gleichzeitig ablaufen. Das Leben hat eine Vielzahl von Wesen hervorgebracht. Aber wir versuchen es auf etwas zu reduzieren, das man in eine Schublade stecken kann. Es gibt eine tiefere Ebene des Lebens, und anstatt sich in Konzepte zu vertiefen, lohnt es sich eher, tiefer in das einzutauchen, woraus das Leben besteht. Diese lange Zeit der Evolution hat eine erstaunliche Komplexität hervorgebracht. Zuerst gab es nur Zellen und Einzeller, dann entstanden mehrere Zellen, die sich zu mehrzelligen Strukturen kombinierten. Und es scheint, dass diese Eigenschaft des Lebens immer noch wirksam ist. Wenn wir die Äste eines Baumes abschneiden und analysieren, verstehen wir nicht, welche Bedeutung der Baum im Ökosystem hat.
e: Um deine Analogie aufzugreifen: Das Leben zwischen uns arbeitet als Zellen einer anderen Art von Organismus. Jeder einzelne Mensch im Kreis ist eine neue Art von Zelle, die in diesem Moment mit anderen zusammenkommt, um etwas Neues aus dem von dir erwähnten Muster zu erschaffen.
RB: Wir könnten diese multizelluläre Struktur miterschaffen. Jedes einzelne Individuum mit seinem einzigartigen Beitrag wird benötigt, um dies zu tun und zu einem nächsten Schritt zu gelangen, der für alle Beteiligten sinnvoll und bedeutsam erscheint. Es ist eine evolutionäre Entfaltung, die oft an Krisenpunkten stattfindet. Der Kosmologe Brian Swimme beschreibt, dass es irgendwann einmal zu viel Sauerstoff in der Erdatmosphäre gab und dieser sich für die bis dahin entstandenen Zellen toxisch auswirkte. In diesem Krisenmoment lernten einige Zellen dann, den Sauerstoff zu nutzen. Und daraus entstand eine ganze neue Welt von Pflanzen und Bäumen. Diese Spannung ermöglichte die Entstehung von etwas Neuem. In ähnlicher Weise befinden wir uns heute in einer Krise, und wir wissen, dass sich etwas ändern muss, dass etwas weichen muss, damit etwas Neues entstehen kann.