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Es wird immer klarer, dass wir nur gemeinsam auf die Herausforderungen der Gegenwart antworten können. Nötig ist eine Weisheit, die aus der Verbundenheit entsteht. Aber wie finden wir Zugang dazu? In Experimenten mit intersubjektiven Feldern, in denen Menschen zusammenkommen, um Fragestellungen miteinander zu bewegen und Entscheidungen zu treffen, wird diese Möglichkeit erforscht. Wir haben sechs Menschen, die sich mit intersubjektiven Feldern beschäftigen, gefragt:
In sozialen Feldern scheint sich ein Raum jenseits des Individualismus zu öffnen. Was ist dieser Raum und warum ist er heute relevant?
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Es wird immer klarer, dass wir nur gemeinsam auf die Herausforderungen der Gegenwart antworten können. Nötig ist eine Weisheit, die aus der Verbundenheit entsteht. Aber wie finden wir Zugang dazu? In Experimenten mit intersubjektiven Feldern, in denen Menschen zusammenkommen, um Fragestellungen miteinander zu bewegen und Entscheidungen zu treffen, wird diese Möglichkeit erforscht. Wir haben sechs Menschen, die sich mit intersubjektiven Feldern beschäftigen, gefragt:
In sozialen Feldern scheint sich ein Raum jenseits des Individualismus zu öffnen. Was ist dieser Raum und warum ist er heute relevant?
Lukas Herrmann
Der Individualismus verhieß Selbstverwirklichung, konnte sie aber nicht erfüllen. Stattdessen führte er in eine Kultur, die beispielsweise Peter Senge zutreffend als »sozial verarmt« bezeichnet hat, und die von einer isoliert-defensiven oder extraktiven Grundhaltung geprägt ist. Die Verheißung des Individualismus konnte sich nicht erfüllen, denn unser Selbst verwirklicht sich tatsächlich nur durch unsere persönliche und existenzielle Bezogenheit – zu anderen Menschen, Umwelt, Sinn und Sein. Diese Bezogenheit findet in Feldern statt. In einem schöpferischen, generativen sozialen Feld vertieft sich unsere Bezogenheit, und dadurch wachsen Einzigartigkeit und persönliche Integrität ebenso wie Verbundenheit. Diese Felder bringen zum Vorschein, wofür der Individualismus nur Stellvertreter war. Einige neurobiologische Wirkweisen dieses Prozesses sind tatsächlich gut erforscht. Wir wissen zum Beispiel schon lange aus der Bindungsforschung und der Entwicklungspsychologie, dass sich »gefühlt zu fühlen« Bedingung für eine gesunde, integrierte Selbstbildung ist, welche wiederum erst zu kreativer Kooperation befähigt.
Die Zeit des long dark (F. Weller), in der Strukturen und Systeme wanken und fallen, während die KI sich aufspannt, überfordert das fragile und gemachte Selbst des Individualismus. Die Zeit wirft uns, wenn wir sie und uns lassen, zurück auf unsere Menschlichkeit. Deren Essenz wird in generativen Feldern bewahrt, um, wie Buber es ausdrückt, »mit bereiter Seele zu beharren, bis der Morgen dämmert und ein Weg sichtbar wird, wo niemand ihn ahnte.«
Anne Caspari
Der Raum jenseits des Individuums war immer schon da, auch wenn wir so sehr mit unserer eigenen Entwicklung beschäftigt sind. Zusammen mit integralen Kolleg*innen verschiedener Ausrichtungen haben wir seit 2013 begonnen, diesen Raum zu erforschen. Wir haben ihn, nach wiederholten Versuchsvarianten, »sensory clarity« genannt – ein Raum der Klarheit, der entsteht, wenn alle Projektionen – sensorisch, emotional, kulturell, ideell oder konzeptionell – in der gemeinsamen Gruppe ausgedrückt, ausgehandelt oder »ausgebrannt« und erschöpft sind.
Sensory clarity ist keineswegs außergewöhnlich oder nur ab einer bestimmten Bewusstseinsstufe zugänglich. Im Gegenteil: Der Raum ist so gewöhnlich, wie es nur geht, weil alles, was da ist, so erlebt werden kann, wie es ist – ohne Filter, ohne Projektion, ohne Urteile. Wir sind diese interpersonelle Klarheit nur nicht mehr gewöhnt, und alle Versuche, sie mit Vokabeln zu beschwören oder herbei zu moderieren, entfernen uns weiter davon.
In diesem Raum ändert sich die Grammatik des Erlebens: Das Ich tritt zurück, und das »Es« – »the always ever have been« tritt hervor, der Raum wird zum gelebten Wir, mit dem, was ist.
Jetzt (erst) können völlig neue Ideen entstehen, jenseits von Lösungen, die vorgebracht werden, wenn die Teilnehmenden nicht spüren, was im Wir präsent ist. Man stelle sich vor, wie wir arbeiten und zusammenleben könnten, wenn wir mit sensory clarity hinspürten und zuhörten, was die Menschen wirklich bewegt. Dann kann der Weg frei sein für Emergenz und nächste Schritte in eine Richtung: Was wollen wir zusammen erschaffen?
Mike Sandbothe
Auf die Frage »Was ist dieser Raum?« antworte ich: »Nicht leicht wahrzunehmen«. Und weiter: »Um den Raum eines sozialen Feldes spüren und verstehen zu können, braucht es a) eine Schulung der Wahrnehmungsfähigkeit und b) eine Schulung der Versprachlichungskompetenz.«
Das innere Bewusstsein eines sozialen Feldes (wie zum Beispiel der Spirit eines Teams) wird von uns zumeist einfach mit-wahrgenommen und unbewusst gespürt. Wir machen den Teamgeist eines sozialen Feldes nur selten zum Gegenstand gezielter Aufmerksamkeit. Aus diesem Grund fehlen uns die Worte zur Beschreibung der kollektiven Bewusstseins-Räume »jenseits des Individualismus«.
Warum sind soziale Felder heute so wichtig? Weil in Zeiten der ökosystemischen und planetaren Krisen eine Transformation des menschlichen Bewusstseins allein über den Weg des Individuums zu lange dauern würde. Durch eine gezielte Bildungsarbeit mit und an kollektiven Bewusstseinsräumen kann es schnell und wirksam gelingen, die Art und Weise zu verändern, wie wir Vertrauen aufbauen, Bindung gestalten, Gewohnheiten und Lebenswelten transformieren.
Achtsamkeitsbasierte Social Awareness Trainingsprogramme schulen ko-kreative Grundhaltungen auf nachhaltige Art und Weise. Die internationalen Standards dafür sind von Jon Kabat-Zinn, Otto Scharmer, Arawana Hayashi und Tania Singer gesetzt worden. Jetzt geht es darum, diese kulturellen Praktiken miteinander zu verbinden und ins Bildungssystem zu bringen.
Jascha Rohr
In meiner Arbeit als Prozessbegleiter nehme ich immer zuerst das kollektive Feld wahr. Dies ist das »Wesen«, mit dem ich arbeite. Individuen betrachte ich als Kräfte oder Aspekte in diesem Feld. Sie sind im Grunde ein Sonderfall: eine kollabierte Wellenfunktion des Feldes. Durch sie kann sich ein Feld zum Ausdruck bringen, durch sie wird ein Feld für uns spür- und wahrnehmbar.
Ich spreche dabei nicht vom sozialen Feld, weil auch nichtmenschliche Entitäten zu diesem Feld gehören: Räume, Konzepte, Pflanzen etc. Ich spreche lieber von kollektiven, geteilten, ökologischen oder einfach von Feldern.
Mit diesen Feldern zu arbeiten ist relevant, weil es in unserer Zeit darum geht, große Transformationen zu bewirken und zu begleiten. Und diese Transformationen bilden sich zwar in Individuen ab, aber sie finden tatsächlich immer nur im Prozess eines Feldes statt. Nehmen wir den Wandel hin zu einem ökologischen Bewusstsein oder einer tiefen demokratischen Haltung. Als Individuen spiegeln, prozessieren und erleben wir diese Dynamik. Aber am Ende ist es das Feld, das ein ökologisches Bewusstsein oder eine demokratische Haltung konstituiert oder verliert.
Ich lade ein, das Konzept auf den Kopf zu stellen: Das Wunder ist nicht, dass sich ein kollektiver Raum jenseits des Individualismus öffnet. Das Wunder sind die Individuen, aus denen das Feld spricht. Felder konstituieren unsere Wirklichkeit. Individuen sind Spiegel, Aspekte, Resonanzlinien dieses Feldes.
Luea Ritter
Ich sehe Felder als Wirkungsräume, komponiert durch eine Vielzahl von Lebensformen, einschliesslich der unsichtbaren und subtil wahrnehmbaren.
Sie sind für mich wie Bilderbände vielschichtiger und komplexer Geschichten, die sich gegenseitig bedingen und in denen die Strahlkraft der Gemeinsamkeit erahnt werden kann. Felder vibrieren in Zwischenräumen. Felder sind voller Dialog und Metaphern – weit über das gesprochene Wort hinaus.
Das Lauschen auf »innere« Bewegungen und Wahrnehmungen ruft genauso wie das Lauschen auf Signale und Verbindungen im »Außen«. Durch die scheinbar getrennten individuellen Teile schimmert das verkörperte Wissen darüber, in Beziehung zu sein, hindurch. Demut, Wunder und Respekt entflammen. Ein Raum, der meine ureigene Präsenz bedingt und durch ein buntes Bouquet von anderen ureigenen Präsenzen erweitert wird. Ein Zusammenspiel von unzähligen Handlungen und Interaktionen, welche Lebendigkeit mehren.
Und nun, wenn ich mir Krisen (aller Arten) als Hilferuf aus den Tiefenschichten vorstelle, aus Höhlengewölben, welche uns aufrufen, Beziehungen, die außer Acht gelassen, verletzt oder sogar verdrängt wurden, wieder bewusst wahrzunehmen, dann werden diese sozialen Felder zu Echoräumen. Sie ermöglichen mir, diese sehnsüchtigen Klänge nach Integration, Wiederverbindung, Ganz-Werdung zu empfangen.
Beim Präsentwerden dessen, was war und was ist, kultivieren soziale Felder Respekt, Fürsorge und Achtsamkeit – ein kraftvolles Gefäß für das Einzelne als Teil des größeren Ganzen, erfahrbar im Hier und Jetzt, durch und um uns.
Olen Gunnlaugson
Hinsichtlich dieses Raums jenseits von Individualismus haben kollektive transpersonale Prozesse, die aus den – von Individuen verkörperten –immanenten, subtilen, ontologischen Tiefen des Bewusstseins schöpfen, einen paradoxen Charakter. Da das Engagement in diesem neu entstehenden Raum zum Teil aus unserem inneren individuellen Raum genährt wird, müssen die inneren individuellen Dimensionen des Bewusstseins besser in die kollektive Praxis integriert werden.
In einigen Praxislinien haben die Neuartigkeit und der Enthusiasmus für die kollektive Praxis dazu geführt, dass diese individuelle Dimension der Praxis übersehen oder geringgeschätzt wurde. Das Interesse an der »transzendenten« Dimension des gemeinsamen Sinns, der Gemeinschaft und der Weisheit in kollektiven Kontexten von zwei oder mehr Personen nimmt weiter zu. Dennoch wird der Begriff »soziales Feld« zu einem problematischen Bezugsrahmen und einer Fehlbezeichnung für den Raum, wenn die tieferen inneren Dimensionen kollektiv transzendiert oder umgangen werden.
Anstatt diesen Raum als soziales Feld zu beschreiben, bevorzuge ich es in meiner Führungs- und Coachingarbeit mit Dynamic Presencing, die kollektive soziale Dimension als einen von vier wesentlichen Orten oder Schnittstellen innerhalb des umfassenderen Presencing-Feldes zu betrachten.
Author:
evolve
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