Der Glanz des Kommenden

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Buch/Filmbesprechung
Publiziert am:

April 30, 2024

Mit:
Byung-Chul Han
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AUSGABE:
Ausgabe 42 / 2024
|
April 2024
Die Kraft der Rituale
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Über das Buch »Der Geist der Hoffnung« von Byung-Chul Han

Byung-Chul Han gilt mittlerweile auch international als einer der klügsten Kritiker unserer spätmodernen Lebensform. Seine Analysen sind stets pointiert, scharf, streitbar, gut belegt und treffen immer wieder sensible Punkte unserer gesellschaftlichen Verfasstheit. Aber seine Ausführungen waren häufig auch recht düster, fast hoffnungslos.

Da ist es interessant zu bemerken, dass Han schon in seinem letzten Buch zu einer »Vita Contemplativa« auch hoffnungsfrohe Töne anschlug, als er eine Gesellschaft der Freundlichkeit entwarf, die Verbundenheit in einem Wir ermöglicht. In seinem neuen Buch geht er noch einen Schritt weiter und widmet sich dem »Geist der Hoffnung«. Wieder beginnt sein Buch mit einer scharfen Analyse unserer gesellschaftlichen Atmosphäre als einer Stimmung der Angst. Die Angst geht um: vor den Folgen der Klimakrise, den Kriegen, möglicher Armut oder Überfremdung. Oder ganz grundlegend, die Angst vor dem Unbekannten, in einer Zeit, in der so viele Gewissheiten wegbrechen. Aber in der Angst, so Han, machen wir all das nur noch schlimmer, wir verengen uns, schneiden uns ab vom Ruf des Möglichen.

Han sieht tatsächlich den Geist der Hoffnung als einen Ausweg aus dieser kollektiven Angststörung. Aber nicht im Sinne einer konkreten Hoffnung, dass bestimmte Ereignisse eintreten werden. Auch nicht im Sinne eines Optimismus, dem, genauso wie dem Pessimismus, jede Transzendenz, Negativität und damit Tiefe fehlt. Mit Negativität meint Han, dass echte Hoffnung keinen Gegensatz zur Verzweiflung bildet, sondern daraus erwächst. Je tiefer die Verzweiflung, umso größer die Hoffnung. Hoffen nicht, weil man etwas Bestimmtes erhofft, sondern weil sich im Hoffen selbst der tiefere Sinn und die umfassende Verbundenheit des Daseins eröffnet. Hoffnung ist für Han eine »Suchbewegung«, »ein Versuch, Halt und Richtung zu gewinnen. Dabei stößt sie auch ins Unbekannte, ins Unbegangene, ins Offene, ins Noch-Nicht-Seiende vor, indem sie über das Gewesene, über das bereits Seiende hinausgreift. Sie hält auf das Ungeborene zu. Sie macht sich auf zum Neuen, zum ganz Anderen, zum nie Dagewesenen.«

»Je tiefer die Verzweiflung, umso größer die Hoffnung.«

Im Verständnis einer unbedingten Hoffnung greift Han auf ­Václav Havel zurück. Im Verlauf des Buches bringt er weitere Denker und Dichterinnen ins Gespräch, die über die Hoffnung reflektieren – Marcel Gabriel, Ernst Bloch, Hannah Arendt, Walter Benjamin, Jürgen Moltmann, Max Scheler, Terry Eagleton, Ingeborg Bachmann, Paul Celan, Martin Heidegger. Viele dieser Bezüge werden für ihn zu Dialogpartnern, mit denen er das Verständnis der Hoffnung vertieft, oft auch durch Abgrenzung gegen die Ideen einer praktischen oder konkreten Hoffnung. So erforscht Han das Hoffen als einen Impuls zum Handeln aus der Inspiration des Möglichen, als eine Erkenntnisform der »liebesgeleiteten Aufmerksamkeit« und eine Lebensform der Hingabe an das Kommende.

Das letzte Kapitel des Buches ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem Gedanken Heideggers, dessen Denken sich für Han auf das Wesen, das Gewesene richtet und die Angst und den Tod als die bestimmenden existenziellen Erfahrungen des Menschen anspricht. Dem setzt Han die Hoffnung als Stimmung entgegen, die uns für den Horizont des Kommenden empfänglich machen kann. Denn, so Han, »Das Denken der Hoffnung orientiert sich nicht am Tod, sondern an der Geburt, nicht am ›In-der-Welt-Sein‹, sondern am In-die-Welt-Kommen. … Nicht das ›Vorlaufen zum Tod‹, sondern das Vorlaufen zur neuen Geburt ist die Gangart des hoffenden Denkens«.

Hans Buch ist ein Plädoyer für die Hoffnung und den Glanz des Zukünftigen. Es ist illustriert mit Arbeiten von Anselm Kiefer, mit dem Han wohl der Raum des schöpferisch Möglichen verbindet, wie ihn die Kunst eröffnet. In kurzen präzisen Gedanken, manchmal schneidend in ihrer Eindringlichkeit, die man länger auf sich wirken lassen kann, mit ausführlichen Zitaten anderer Hoffnungsdenker und -dichterinnen, macht das Buch vor allem Mut zum Möglichen. Die Frage, wie diese Gedanken im eigenen Leben umzusetzen sind, muss jeder selbst beantworten. Oder besser, durch Erlauschen erschließen, denn, so Han, der Geist der Hoffnung »beugt sich vor, um zu horchen und zu lauschen«.

Der Geist der Hoffnung
Wider die Gesellschaft der Angst
Byung-Chul Han
Erschienen im Ullstein Verlag.
128 Seiten, 22,99 €

Author:
Mike Kauschke
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