Die Themenfindung für jede evolve Ausgabe ist ein ko-kreativer, überraschender Prozess. In unseren Dialogen in der Redaktion, mit unserem redaktionellen Beirat oder redaktionellen Mitarbeiterinnen loten wir aus, welche Themen im Bewusstseinsfeld der Gegenwart, im Zeitgeist relevant sind. Es ist ein gemeinsames Forschen, in dem manchmal ein nebenbei geäußerter Gedanke, ein aktuelles Erlebnis, eine neu entstehende Idee die Spur setzt, von der wir den Eindruck haben, dass sie in wichtiges Neuland führt.
Natürlich spielt auch der Kontext der globalen Ereignisse eine wichtige Rolle. Unsere Redaktionsgespräche fielen in die Zeit der Wahl Donald Trumps, dem Scheitern der deutschen Regierung, dem Wahlerfolg der FPÖ in Österreich. Wir überlegten, was wir als Magazin für Bewusstsein und Kultur in dieser Zeit als wertvollen, zukunftsweisenden Impuls einbringen können.
Das Thema der lebendigen Praxis erschien uns da zunächst etwas harmlos, aber die weitere Beschäftigung damit öffnete für uns einen Horizont von Sinnhaftigkeit und Dringlichkeit, gerade heute. Das hing sicher auch mit Begegnungen zusammen, die wir während eines Treffens im Europakloster Gut Aich mit jungen Menschen erlebten, die an neuen Formen spiritueller Praxis unter dem Stichwort »Metamodern Monastery« arbeiten. Hier wurde spürbar, wie aus dem Gespräch zwischen gewachsener Weisheitspraxis, in diesem Fall der christlichen Tradition, und dem frischen Interesse an verbindlicher und verbindender Spiritualität etwas Bedeutsames entstand. Eine weitere Erfahrung war unsere Teilnahme am Pioneers of Change Summit in Alpbach in Tirol, bei dem sich viele Mitgestaltende eines ökologisch-sozialen Wandels trafen. Dort zeigte sich, wie wichtig die innere Transformation ist, um sich in solch herausfordernden Zeiten langfristig zu engagieren. Und was trägt mehr zu einem inneren Wandel bei als erprobte und neu entworfene Praxiswege?
Denn natürlich gibt es einen Schatz an Praxisformen, die wir für die Gegenwart neu erschließen können. Hier ist uns der Gedanke einer Ökologie von Praktiken des Kognitionswissenschaftlers John Vervaeke eine Inspiration, der davon ausgeht, dass wir verschiedene Bereiche unseres Seins in eine solche Übung einbeziehen müssen. So kann sich ein lebendiges Gefüge und Gewebe des inneren Wachsens ausbilden, das auch unser Sein in der Welt verwandelt.
In diesem Sinne bringen wir in dieser Ausgabe verschiedene Menschen zusammen, die in Praxisformen üben und diese im Kontext unserer Zeit reflektieren. In ihrem Leitartikel zeigen Thomas Steininger und Elizabeth Debold auf, warum solche lebendigen Praktiken für die Transformation einer Kultur so wichtig sind. Und vor allem, warum die Absicht, mit der wir sie üben, entscheidend ist.
Diese Fragen bewegen ebenso die Impulsgeberin für den kulturellen Wandel Vivian Dittmar. Ihr ist es ein Anliegen, im Umgang mit spiritueller Praxis nicht in einem »Bypassing« zu landen, in dem wir uns von der Welt abwenden. Ganz anders und doch verwandt plädiert der Philosoph Thomas Metzinger für eine spirituelle Redlichkeit, die sich keinen falschen Hoffnungen hingibt. Für ihn ist in Zeiten der Krise und des möglichen Zusammenbruchs eine Bewusstseinskultur besonders wichtig. Eine neue Bewusstseinskultur sieht der Theologe Brendan Graham Dempsey mit der Idee der Metamoderne angesprochen. Er gibt Hinweise für eine metamoderne religiöse Praxis, die er in seinen Schriften, Podcasts und seinem Retreat-Zentrum erforscht und weitergibt.
Sarah Tulivu war seit früher Jugend als Aktivistin in der Welt unterwegs. Durch die Entdeckung der Praxis von Meditation und Qigong fand sie einen ganz neuen Blick auf ihr Engagement in der Welt. Auch für Rafe Kelley, der eine naturnahe Form der Parkour-Praxis übt und lehrt, kann eine verkörperte Praxis eine eigene Form der Erkenntnis und der Beziehung zur Welt eröffnen. Aber auch das Denken als tiefe Reflektion über das Leben kann uns zutiefst verändern. Das ist die Einsicht des Stoizismus, der heute wieder populär wird. Michael Tremblay, selbst Philosoph und Praktiker der Stoa, untersucht mit uns die Relevanz dieser philosophischen Tradition.
Die künstlerische Praxis ist ein weiterer Weg zu solch einer Verbundenheit mit dem Lebendigen. Die Künstlerin Karen Müller schöpfte daraus für ihre Arbeiten mit Keramik. Sie fand einen Umgang mit dem Material, der es im Prozess des Brennens zu einer starken Ausdruckskraft bringt. Deshalb sehen wir in ihren Arbeiten eine gelungene Resonanz zum Thema. Leider ist Karen Müller vor drei Jahren überraschend verstorben. Wir haben das Glück, dass die Kunsthistorikerin Ingrid Gardill, die uns künstlerisch berät, sie kurz vor ihrem Tod besuchen konnte. Somit ist dieses Magazin auch eine Würdigung ihres Schaffens.
Dieser Ausgabe liegt im Abonnement ein evolve Spezial zur gesellschaftlichen Relevanz von Meditation bei, das wir in Zusammenarbeit mit dem Kongress „Meditation und Wissenschaft“ gestaltet haben. (Die PDF finden Sie hier: https://t1p.de/ooupu)
Diese Ausgabe ist also eine Einladung zur Praxis. Natürlich gern auch in die dialogische Praxis unserer evolve Salons, der evolve Live Events oder die zahlreichen Praxisangebote von evolve World. Zudem arbeiten wir an einem Online-Raum für die gemeinsame Praxis, den wir das Interbeing Monastery nennen (s. S. 5). Hier möchten wir nach und nach all unsere Angebote zu Praktiken wie Meditation und verschiedenen Dialogformen auf einer Plattform anbieten, in Verbindung mit weiteren Praxisformen von befreundeten Lehrenden. So möchten wir einen Begegnungsraum der spirituellen Stärkung, der gemeinsamen Gegenwärtigkeit, des inneren Wachsens und der kulturellen Visionskraft gestalten. Wir freuen uns, wenn Sie uns auf diesem Weg begleiten und uns vielleicht sogar mit einer Spende unterstützen.
Zu Beginn des Jahres kann der Impuls zur Praxis eine besondere Form des Aufbruchs ins Neue sein. Und die Quelle eines Lebensvertrauens, das uns durch die Krisen trägt.
Herzlichst
Mike Kauschke
Die Themenfindung für jede evolve Ausgabe ist ein ko-kreativer, überraschender Prozess. In unseren Dialogen in der Redaktion, mit unserem redaktionellen Beirat oder redaktionellen Mitarbeiterinnen loten wir aus, welche Themen im Bewusstseinsfeld der Gegenwart, im Zeitgeist relevant sind. Es ist ein gemeinsames Forschen, in dem manchmal ein nebenbei geäußerter Gedanke, ein aktuelles Erlebnis, eine neu entstehende Idee die Spur setzt, von der wir den Eindruck haben, dass sie in wichtiges Neuland führt.
Natürlich spielt auch der Kontext der globalen Ereignisse eine wichtige Rolle. Unsere Redaktionsgespräche fielen in die Zeit der Wahl Donald Trumps, dem Scheitern der deutschen Regierung, dem Wahlerfolg der FPÖ in Österreich. Wir überlegten, was wir als Magazin für Bewusstsein und Kultur in dieser Zeit als wertvollen, zukunftsweisenden Impuls einbringen können.
Das Thema der lebendigen Praxis erschien uns da zunächst etwas harmlos, aber die weitere Beschäftigung damit öffnete für uns einen Horizont von Sinnhaftigkeit und Dringlichkeit, gerade heute. Das hing sicher auch mit Begegnungen zusammen, die wir während eines Treffens im Europakloster Gut Aich mit jungen Menschen erlebten, die an neuen Formen spiritueller Praxis unter dem Stichwort »Metamodern Monastery« arbeiten. Hier wurde spürbar, wie aus dem Gespräch zwischen gewachsener Weisheitspraxis, in diesem Fall der christlichen Tradition, und dem frischen Interesse an verbindlicher und verbindender Spiritualität etwas Bedeutsames entstand. Eine weitere Erfahrung war unsere Teilnahme am Pioneers of Change Summit in Alpbach in Tirol, bei dem sich viele Mitgestaltende eines ökologisch-sozialen Wandels trafen. Dort zeigte sich, wie wichtig die innere Transformation ist, um sich in solch herausfordernden Zeiten langfristig zu engagieren. Und was trägt mehr zu einem inneren Wandel bei als erprobte und neu entworfene Praxiswege?
Denn natürlich gibt es einen Schatz an Praxisformen, die wir für die Gegenwart neu erschließen können. Hier ist uns der Gedanke einer Ökologie von Praktiken des Kognitionswissenschaftlers John Vervaeke eine Inspiration, der davon ausgeht, dass wir verschiedene Bereiche unseres Seins in eine solche Übung einbeziehen müssen. So kann sich ein lebendiges Gefüge und Gewebe des inneren Wachsens ausbilden, das auch unser Sein in der Welt verwandelt.
In diesem Sinne bringen wir in dieser Ausgabe verschiedene Menschen zusammen, die in Praxisformen üben und diese im Kontext unserer Zeit reflektieren. In ihrem Leitartikel zeigen Thomas Steininger und Elizabeth Debold auf, warum solche lebendigen Praktiken für die Transformation einer Kultur so wichtig sind. Und vor allem, warum die Absicht, mit der wir sie üben, entscheidend ist.
Diese Fragen bewegen ebenso die Impulsgeberin für den kulturellen Wandel Vivian Dittmar. Ihr ist es ein Anliegen, im Umgang mit spiritueller Praxis nicht in einem »Bypassing« zu landen, in dem wir uns von der Welt abwenden. Ganz anders und doch verwandt plädiert der Philosoph Thomas Metzinger für eine spirituelle Redlichkeit, die sich keinen falschen Hoffnungen hingibt. Für ihn ist in Zeiten der Krise und des möglichen Zusammenbruchs eine Bewusstseinskultur besonders wichtig. Eine neue Bewusstseinskultur sieht der Theologe Brendan Graham Dempsey mit der Idee der Metamoderne angesprochen. Er gibt Hinweise für eine metamoderne religiöse Praxis, die er in seinen Schriften, Podcasts und seinem Retreat-Zentrum erforscht und weitergibt.
Sarah Tulivu war seit früher Jugend als Aktivistin in der Welt unterwegs. Durch die Entdeckung der Praxis von Meditation und Qigong fand sie einen ganz neuen Blick auf ihr Engagement in der Welt. Auch für Rafe Kelley, der eine naturnahe Form der Parkour-Praxis übt und lehrt, kann eine verkörperte Praxis eine eigene Form der Erkenntnis und der Beziehung zur Welt eröffnen. Aber auch das Denken als tiefe Reflektion über das Leben kann uns zutiefst verändern. Das ist die Einsicht des Stoizismus, der heute wieder populär wird. Michael Tremblay, selbst Philosoph und Praktiker der Stoa, untersucht mit uns die Relevanz dieser philosophischen Tradition.
Die künstlerische Praxis ist ein weiterer Weg zu solch einer Verbundenheit mit dem Lebendigen. Die Künstlerin Karen Müller schöpfte daraus für ihre Arbeiten mit Keramik. Sie fand einen Umgang mit dem Material, der es im Prozess des Brennens zu einer starken Ausdruckskraft bringt. Deshalb sehen wir in ihren Arbeiten eine gelungene Resonanz zum Thema. Leider ist Karen Müller vor drei Jahren überraschend verstorben. Wir haben das Glück, dass die Kunsthistorikerin Ingrid Gardill, die uns künstlerisch berät, sie kurz vor ihrem Tod besuchen konnte. Somit ist dieses Magazin auch eine Würdigung ihres Schaffens.
Dieser Ausgabe liegt im Abonnement ein evolve Spezial zur gesellschaftlichen Relevanz von Meditation bei, das wir in Zusammenarbeit mit dem Kongress „Meditation und Wissenschaft“ gestaltet haben. (Die PDF finden Sie hier: https://t1p.de/ooupu)
Diese Ausgabe ist also eine Einladung zur Praxis. Natürlich gern auch in die dialogische Praxis unserer evolve Salons, der evolve Live Events oder die zahlreichen Praxisangebote von evolve World. Zudem arbeiten wir an einem Online-Raum für die gemeinsame Praxis, den wir das Interbeing Monastery nennen (s. S. 5). Hier möchten wir nach und nach all unsere Angebote zu Praktiken wie Meditation und verschiedenen Dialogformen auf einer Plattform anbieten, in Verbindung mit weiteren Praxisformen von befreundeten Lehrenden. So möchten wir einen Begegnungsraum der spirituellen Stärkung, der gemeinsamen Gegenwärtigkeit, des inneren Wachsens und der kulturellen Visionskraft gestalten. Wir freuen uns, wenn Sie uns auf diesem Weg begleiten und uns vielleicht sogar mit einer Spende unterstützen.
Zu Beginn des Jahres kann der Impuls zur Praxis eine besondere Form des Aufbruchs ins Neue sein. Und die Quelle eines Lebensvertrauens, das uns durch die Krisen trägt.
Herzlichst
Mike Kauschke