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Porträt
Publiziert am:

July 15, 2024

Mit:
Sheikh Hassan
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AUSGABE:
Ausgabe 43 / 2024
|
July 2024
Spirituelle Resilienz
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Vor Kurzem traf ich eine Freundin, die seit einigen Jahren einen Sufi-Weg geht und sich nun auch dem Islam annähert. In einigen Gesprächen versuchte ich zu verstehen, was sie diesen mir doch kulturell fremden Weg gehen lässt. Und sie erzählte mir von Sheikh Hassan, ihrem deutschstämmigen Sufi-Meister, der in der Eifel die Osmanische Herberge gegründet hat und als Imam eine europaweite Gemeinde betreut. Meine Neugier wurde noch verstärkt: Wie kommt ein junger Mann aus dem West-Berlin der Siebzigerjahre dazu, sich dem traditionellen Sufi-Weg und dem Islam zu widmen?

Diese Frage führte mich zu einem Zoom-Gespräch mit Sheikh Hassan, der »Schreckliche«, wie ihn sein Lehrer Sheikh Nazim humorvoll nannte. Den Humor spürt man auch bei Sheikh Hassan, der sich immer noch auf dem Weg der Vervollkommnung sieht, inklusive des Umgangs mit seinen Wutausbrüchen, wie er mit einem Lächeln hinzufügt. Angesprochen auf seinen spirituellen Weg erwidert er: »Das ist göttliche Führung.« Und immer wieder in unserem Gespräch berührt mich sein tiefes Gottvertrauen, das aus seinen Worten spricht.

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Sheikh Hassan und ein Weg, der nie endet

Vor Kurzem traf ich eine Freundin, die seit einigen Jahren einen Sufi-Weg geht und sich nun auch dem Islam annähert. In einigen Gesprächen versuchte ich zu verstehen, was sie diesen mir doch kulturell fremden Weg gehen lässt. Und sie erzählte mir von Sheikh Hassan, ihrem deutschstämmigen Sufi-Meister, der in der Eifel die Osmanische Herberge gegründet hat und als Imam eine europaweite Gemeinde betreut. Meine Neugier wurde noch verstärkt: Wie kommt ein junger Mann aus dem West-Berlin der Siebzigerjahre dazu, sich dem traditionellen Sufi-Weg und dem Islam zu widmen?

Diese Frage führte mich zu einem Zoom-Gespräch mit Sheikh Hassan, der »Schreckliche«, wie ihn sein Lehrer Sheikh Nazim humorvoll nannte. Den Humor spürt man auch bei Sheikh Hassan, der sich immer noch auf dem Weg der Vervollkommnung sieht, inklusive des Umgangs mit seinen Wutausbrüchen, wie er mit einem Lächeln hinzufügt. Angesprochen auf seinen spirituellen Weg erwidert er: »Das ist göttliche Führung.« Und immer wieder in unserem Gespräch berührt mich sein tiefes Gottvertrauen, das aus seinen Worten spricht.

Geboren wurde er als Peter ­Christian Dyck als Sohn einer holländischen Opernsängerin und eines deutschen Kaufmanns. Er studierte Musik, spielte Cello. Ein großer Einschnitt in seinem Leben war, als er während des Musikstudiums ein halbes Jahr in ­Indien verbrachte. Er erfuhr die spirituelle Bedeutung der klassischen indischen Musik. Bald nach der Rückkehr gab er das Studium auf und begann zu meditieren. Auf seiner Suche, die ihn zum Buddhismus und der transzendentalen Meditation führte, traf er schließlich einen Österreicher, der in Berlin wohnte und ihn mit dem Sufismus in Kontakt brachte. Der Mann war Schüler von Omar Ali Shah, einem Bruder von Idries Shah, der viele Bücher über Sufismus veröffentlicht hat.

Omar Ali Shah vermittelte nicht so sehr den Islam, sondern betonte die spirituelle Charakterentwicklung, Praktiken der Aufmerksamkeit und Übungen wie das Mantra »La ilaha illallah«. Als Sheikh Hassan aber Koranübersetzungen und die Hadithe, die Berichte über den Propheten Mohammed, las, war er besonders von den Augenzeugenberichten der Hadithe angetan. Mit der Zeit geschah eine Annäherung an den Islam, der Sheikh Hassan konsequent folgte. Heute sagt er: »Sufismus ohne Islam ist unvollständig und Islam ohne Sufismus auch. Beides gehört zusammen wie bei der Kokosnuss: Innen ist das Fleisch, der Saft, und außen ist die Schale.«

1975 legte er gemeinsam mit seiner Frau Hadja Karima das Bekenntnis ab, Muslim zu werden, und wurde in den ­Naqschbandiya-Orden aufgenommen. Bald danach wanderte er nach Mekka aus. Dort blieb er ein Jahr und ging dann nach Damaskus. Dort lernte er 1979 seinen Meister Sheikh ­Nazim kennen, mit dem er bis zu dessen Tod 2014 zusammen war.

»Die Beziehung zum Meister ist das Herz des Sufi-Weges.«

Die Beziehung zum Meister ist für Sheikh Hassan das Herz des ­Sufi-Weges: »Im Sufismus geht es um die Auflösung des Egos. Die großen Heiligen, die wir Gottesfreunde nennen, sind in ihrem Meister gestorben.« Für Sheikh Hassan hat der Meister die Fähigkeit, das Schicksal des Schülers zu kennen. »Der Meister gibt dem Gläubigen die Zeichen, dass er auf dem richtigen Weg ist«, so Sheikh Hassan. »Zunächst ist es ein blinder Glaube, du siehst Gott nicht. Der Meister hat mir Zeichen gegeben, kleine Wunder.« Einen besonders beindruckenden Moment schildert er so: »Einmal saß ich vor ihm und er hat die ganze Welt verschwinden lassen, nur sein Gesicht war noch da. Und er sagte: ›Mein Sohn, du musst nur in diese Richtung gehen. Lass dich nicht ablenken.‹«

Und noch eine eindrückliche Geschichte über seinen Meister erzählt er mir: »Der Sheikh ist jedes Jahr nach England gefahren, um Treffen abzuhalten. Dann ist er mit dem Auto zurück durch die Türkei nach Zypern gefahren. In den Anfangsjahren begleitete ich ihn zusammen mit einem amerikanischen Bruder. Wir fuhren schon drei Wochen und kamen nach Griechenland. Da ist langsam die Schlange meines Egos hochgekommen. Drei Wochen im Bus. Du weißt nie, wo man anhält. Du denkst bei jedem Café, jetzt könnten wir doch mal einen Kaffee trinken und in der Sonne sitzen. Aber der Sheikh sagt, wo du anhältst, wo du schläfst, wer fährt. Ich habe gemerkt, dass mein Ego richtig wütend wurde. Am nächsten Tag fuhr der amerikanische Bruder Ibrahim, der Sheikh saß vorne neben ihm. Ich ruhte mich hinten aus. Da fängt der Sheikh plötzlich an, den Ibrahim zu ermahnen: ›Äußerlich machst du alles mit, aber innerlich bist du ein Rebell und dein Ego ist wütend.‹ Beim Ibrahim ist das völlig vorbeigegangen, der sagte einfach: ›Ja, so bin ich nun mal.‹ Dem war das egal. Aber mir war es nicht egal. Ich bin da hinten zusammengeschrumpft. Ich wusste, dass er mich meint. Und um das klar zu machen, sagt mein Meister: ›Sheikh Hassan, not like this.‹ Da wusste ich Bescheid, das war eine eindrückliche Lektion.« In dieser direkten Ansprache zeigte sich für Sheikh Hassan die feine Art seines Meisters, etwas anzusprechen, ohne jemandem die Würde zu nehmen. Daraus spricht die tiefe Liebe des Meisters zum Schüler – und des Schülers zum Meister. Immer wieder betont Sheikh Hassan, dass diese Verbindung von Herz zu Herz der Kern des Sufi-Weges ist.

Aber was sich bei Sheikh Hassan wie ein geradliniger Weg anhört, war alles andere als das. Er sagt: »Es war nicht so sehr meine eigene Entscheidung. Ich wollte diesen Weg überhaupt nicht, weil ich wusste, dass das Ego keine Überlebenschance hat. Ich sage immer zu meinen Brüdern: ›Ich wurde an den Ohren gezogen und von hinten geschoben‹, so bin ich auf den Sufi-Weg gekommen.« Die Grundlage war für ihn das Vertrauen in Menschen, die etwas zum Ausdruck brachten, was er vorher noch bei keinem Menschen gesehen hatte: eine spürbare Verbindung mit der Wahrheit. »Daraus erwächst das Vertrauen in den Meister, man folgt ihm und dann kommen Rückschläge und Zweifel. Auf dem Weg zu bleiben, ist eine große Anforderung«, erklärt mir Sheikh Hassan. »Ich bin immer noch auf dem Weg. Ich bin 77 und immer noch öffnen sich ganz neue Türen für mich.« Von sich selbst sagt er, als Schüler »faul« gewesen zu sein und sich Ablenkungen hingegeben zu haben.

Eine dieser »Ablenkungen« war die Musik, die ihn auf seinem Weg begleitet. Schon in Damaskus fand er ein Cello und fing wieder an zu spielen. Er komponierte Lieder mit den Texten seines Meisters. Viele Jahre spielte er mit dem Ensemble »Muhabbat Caravan« Sufi-Konzerte in ganz Europa und in Südamerika. Der Sinn dieser Konzerte war, die Lehre weiterzugeben, verbunden mit Geschichten. Viele Menschen waren berührt: »Man merkt, dass die Herzen weich werden, dass eine Schönheit anwesend ist, dass eine Süße spürbar wird.«

Diese musikalische Praxis und Vermittlung des Sufi-Weges war eingebunden in eine umfangreiche Gemeindearbeit. 1995 wurde in einer alten Dorfgaststätte in der Eifel die Osmanische Herberge eröffnet, die als Moschee und Sufi-Dergah dient. Die Dergah ist ein Ort, der 24 Stunden geöffnet ist. Jeder hat drei Tage lang ein Recht auf Gastfreundschaft. »In unserer Zeit ist es eine Mischung zwischen Obdachlosenheim, Drogenentzug, Psychia­trie und Sufi-Dergah«, erklärt Sheikh Hassan mit einem Lächeln. Aber ihm ist es wichtig, diesen offenen Ort als Zuflucht anzubieten, er sieht es als einen Beitrag zur Gesellschaft und als Dienst an Gott. »Seit 45 Jahren mache ich in Deutschland meinen Dienst. Solange ich mich bewegen kann, werde ich auf diesem Weg bleiben und meine Arbeit tun: dem Meister zu dienen, indem ich den Schülern diene, soweit es geht.«

Für Sheikh Hassan hört der Weg der Selbstvervollkommnung nie auf. »Der Prophet sagt: Du musst jeden Tag ein bisschen besser werden. Und was heißt besser? Deine Beziehung zu Gott finden, eine Süße, eine Liebe spüren. Während deines Tages muss es eine Schönheit, eine Weisheit, ein Licht geben: in einer Begegnung mit einem Menschen oder wenn du betest oder meditierst; eine Erkenntnis, die dir Gott in dein Herz schickt. Es muss jeden Tag irgendetwas geben, was dich auf dem Weg voranschreiten lässt. Die Erkenntnis wird immer weiter, näher, schöner, größer. Das ist der Sinn unseres Daseins: unseren Schöpfer zu erkennen.«

Sheikh Hassan hat diesen Sinn im Sufismus und im Islam gefunden. Auch wenn mir vieles davon fremd erscheint, ist bei unserem Abschied eine spürbare Nähe entstanden. Seine Hingabe und seine dienende Haltung berühren mich. Ich kann verstehen, warum meine Freundin zu diesem Weg gefunden hat.

Author:
Mike Kauschke
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