Editorial 42/2024

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Editorial
Publiziert am:

April 30, 2024

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Ausgabe 42 / 2024
|
April 2024
Die Kraft der Rituale
Diese Ausgabe erkunden

Es ist immer wieder unsere Erfahrung bei der Arbeit an den Ausgaben von evolve, dass das Thema der einen schon das nächste in sich trägt. Dass sich ein Thema aus dem anderen ergibt und wie es weitergeführt wird. Insbesondere bei dieser Ausgabe erging es uns so, dass sich aus der Beschäftigung mit dem vorherigen Thema »Leben, Tod und Transformation« ganz natürlich und schlüssig eine Erforschung der Kraft der Rituale ergab. Wir haben auch von mehreren evolve Salons gehört, dass im Dialog über das Sterben als ein Portal in eine vertiefte Beziehung zum Ganzen des Lebens, die Bedeutung und Notwendigkeit lebendiger Rituale aufschien.

Und es ist ja tatsächlich so, dass Rituale in unserer Menschheitsgeschichte vor allem dann zum Tragen kamen, wenn wir durch Übergänge, Transformationen, Wandlungen gehen. Sei es ganz existenziell die Geburt oder das Sterben, die Initiationsrituale ins Erwachsensein, die Feier der Hochzeit. Oder auch Rituale, in denen wir uns gemeinschaftlich einem größeren Horizont des Seins, einer heiligen Wirklichkeit zuwenden und damit an den Grenzen unseres Seins die Verbundenheit mit einem umfassenden Ganzen bestätigen, vertiefen und feiern.

Nun sind viele dieser rituellen Prozesse in unserer rationalen, individualistisch und materialistisch geprägten Welt in den Hintergrund gerückt. Einige davon werden noch vollzogen, aber doch oft eher als eine Gewohnheit denn als lebendiges, vitales, tragendes und öffnendes Ritual. Gleichzeitig gibt es eine zunehmende Sehnsucht nach der Erneuerung von rituellen Erfahrungen, gerade auch in der jüngeren Generation, die sich beispielsweise bei Kakaozeremonien oder Ecstatic Dance Ritualen trifft.

Angesichts dessen wollen wir der Frage nachgehen, welche Bedeutung die Kraft der Rituale heute für uns haben kann. In seinem Leitartikel fragt Thomas Steininger, warum Rituale allgegenwärtig sind und unserem Leben vor allem auch an wichtigen Übergängen eine Bedeutung geben, aber gleichzeitig auch häufig ihre echte Wirkkraft verlieren. Wie können wir den existenziellen Kern der Rituale neu lebendig werden lassen? Der Religionswissenschaftler Michael von Brück hat als evangelischer Theologe, Zen- und Yoga-Lehrer Rituale in verschiedenen Traditionen und Regionen kennengelernt und praktiziert. Er fragt: Gibt es verbindende Muster, die heute besonders relevant sein könnten? Auch der Benediktiner Bruder Thomas vom Europakloster Gut Aich und Sheik Effendi aus der Sufi-Tradition schöpfen aus einer langen Tradition von rituellen Vollzügen. Bei ihnen spürt man die Tiefe traditioneller religiöser Rituale und gleichzeitig die Suche nach zeitgemäßen Formen ihrer Praxis.

Der Anthropologe und Kognitionswissenschaftler Dimitris Xygalatas hat in ethnografischer Feldforschung in seiner Heimat Griechenland und auf Südseeinseln die Kraft der Rituale untersucht und darüber das Buch »Ritual: How Seemingly Senseless Acts Make Life Worth Living« verfasst. Wir freuen uns, dass wir aus seinen umfangreichen Forschungen lernen konnten. Forschend in rituellen Prozessen ist auch Geseko von Lüpke unterwegs. Der Journalist und Publizist begleitet seit vielen Jahren Menschen bei der Visionssuche und kann uns ganz praktische Einsichten in die Wirkung der Rituale geben.

Aus welcher Tiefe indigene Traditionen das Wesen der Rituale verstehen, können wir aus dem Interview mit der afrikanischen Schamanin Sobonfu Somé erfahren. Die Botschafterin afrikanischer Spiritualität ist 2017 verstorben, aber Marietta Schürholz konnte sie zuvor für ihren Film »Ritual« interviewen. Wir sind sehr dankbar dafür, dass Marietta uns dieses Interview zugänglich gemacht hat, aus dem wir hier einen Auszug als Text veröffentlichen. Auch ihr Film ist empfehlenswert, um den Stimmen namhafter Denker und Praktikerinnen zu lauschen.

Neue Experimente mit Ritualen unternehmen Sanya Manzoor und Adam McKenty mit ihrer Church of Interbeing, bei der sich jeden Sonntag in Berlin-Neukölln Menschen für einen etwas anderen Gottesdienst treffen. Und als DJ führt Maegan Melissa Gorbett alials Alma ∞ Omega in kreative Räume der Begegnung im Tanz. Sie alle verstehen ihre Projekte als Expeditionen in neu gestaltete Rituale. Auch der Physiker und Bewusstseinsforscher Thilo Hinterberger experimentiert mit neuen Formen von Ritualen und reflektiert sie im Kontext unserer Bewusstseinsentwicklung.

Die chilenische Künstlerin Catalina Swinburn, mit deren Arbeiten wir diese Ausgabe gestalten dürfen, ist ebenfalls auf Forschungsreise im Land neuer Rituale. Sie begann ihre künstlerische Arbeit mit Performances und fand zur Technik des Webens von Buchseiten, die zu riesigen Umhängen gestaltet werden, die Swinburn dann auch in Performances trägt, welche häufig auch mit Klang begleitet werden. Gleichzeitig tragen die Bücher mit ihren bestimmten Inhalten auch thematische Kontexte, in denen es um globale Gerechtigkeit, altes kulturelles Wissen, die ökologische Zerstörung und Geschlechterthemen geht. Wir freuen uns sehr, dass wir Catalinas Arbeiten gefunden haben – es ist jedes Mal ein Abenteuer, ob und wie wir die passende Künstlerin für eine Ausgabe finden.

Wir hoffen, dass Sie mit dieser Ausgabe genauso viele Impulse für einen neuen Umgang mit Ritualen finden können wie wir. Unsere evolve Salons sind ja auch eine Art Ritual und wir sind gespannt, wie diese Ausgabe darin bewegt wird und auch sonst im Feld unserer Leserinnen und Lesern weiterwirkt. Zudem sind wir dabei, unser Membership-Angebot weiterzuentwickeln und unser Bewusstseinsbiotop des Communiverse zu beleben. Wir freuen uns über Ihre Unterstützung dabei und werden Sie über Neues auf dem Laufenden halten. Einiges davon teilen wir bei unserem nächsten Membership-Meeting am 20. Mai.

Aber nun wünschen wir Ihnen viele Aha-Momente mit dieser Ausgabe zur Kraft der Rituale und freuen uns wie immer über Leserfeedback und Anregungen. Und wir sind gespannt, zu welchem nächsten Schwerpunktthema uns diese Ausgabe führt – wenn Sie eine Idee haben, melden Sie sich gern!

Herzlichst

Mike Kauschke

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Es ist immer wieder unsere Erfahrung bei der Arbeit an den Ausgaben von evolve, dass das Thema der einen schon das nächste in sich trägt. Dass sich ein Thema aus dem anderen ergibt und wie es weitergeführt wird. Insbesondere bei dieser Ausgabe erging es uns so, dass sich aus der Beschäftigung mit dem vorherigen Thema »Leben, Tod und Transformation« ganz natürlich und schlüssig eine Erforschung der Kraft der Rituale ergab. Wir haben auch von mehreren evolve Salons gehört, dass im Dialog über das Sterben als ein Portal in eine vertiefte Beziehung zum Ganzen des Lebens, die Bedeutung und Notwendigkeit lebendiger Rituale aufschien.

Und es ist ja tatsächlich so, dass Rituale in unserer Menschheitsgeschichte vor allem dann zum Tragen kamen, wenn wir durch Übergänge, Transformationen, Wandlungen gehen. Sei es ganz existenziell die Geburt oder das Sterben, die Initiationsrituale ins Erwachsensein, die Feier der Hochzeit. Oder auch Rituale, in denen wir uns gemeinschaftlich einem größeren Horizont des Seins, einer heiligen Wirklichkeit zuwenden und damit an den Grenzen unseres Seins die Verbundenheit mit einem umfassenden Ganzen bestätigen, vertiefen und feiern.

Nun sind viele dieser rituellen Prozesse in unserer rationalen, individualistisch und materialistisch geprägten Welt in den Hintergrund gerückt. Einige davon werden noch vollzogen, aber doch oft eher als eine Gewohnheit denn als lebendiges, vitales, tragendes und öffnendes Ritual. Gleichzeitig gibt es eine zunehmende Sehnsucht nach der Erneuerung von rituellen Erfahrungen, gerade auch in der jüngeren Generation, die sich beispielsweise bei Kakaozeremonien oder Ecstatic Dance Ritualen trifft.

Angesichts dessen wollen wir der Frage nachgehen, welche Bedeutung die Kraft der Rituale heute für uns haben kann. In seinem Leitartikel fragt Thomas Steininger, warum Rituale allgegenwärtig sind und unserem Leben vor allem auch an wichtigen Übergängen eine Bedeutung geben, aber gleichzeitig auch häufig ihre echte Wirkkraft verlieren. Wie können wir den existenziellen Kern der Rituale neu lebendig werden lassen? Der Religionswissenschaftler Michael von Brück hat als evangelischer Theologe, Zen- und Yoga-Lehrer Rituale in verschiedenen Traditionen und Regionen kennengelernt und praktiziert. Er fragt: Gibt es verbindende Muster, die heute besonders relevant sein könnten? Auch der Benediktiner Bruder Thomas vom Europakloster Gut Aich und Sheik Effendi aus der Sufi-Tradition schöpfen aus einer langen Tradition von rituellen Vollzügen. Bei ihnen spürt man die Tiefe traditioneller religiöser Rituale und gleichzeitig die Suche nach zeitgemäßen Formen ihrer Praxis.

Der Anthropologe und Kognitionswissenschaftler Dimitris Xygalatas hat in ethnografischer Feldforschung in seiner Heimat Griechenland und auf Südseeinseln die Kraft der Rituale untersucht und darüber das Buch »Ritual: How Seemingly Senseless Acts Make Life Worth Living« verfasst. Wir freuen uns, dass wir aus seinen umfangreichen Forschungen lernen konnten. Forschend in rituellen Prozessen ist auch Geseko von Lüpke unterwegs. Der Journalist und Publizist begleitet seit vielen Jahren Menschen bei der Visionssuche und kann uns ganz praktische Einsichten in die Wirkung der Rituale geben.

Aus welcher Tiefe indigene Traditionen das Wesen der Rituale verstehen, können wir aus dem Interview mit der afrikanischen Schamanin Sobonfu Somé erfahren. Die Botschafterin afrikanischer Spiritualität ist 2017 verstorben, aber Marietta Schürholz konnte sie zuvor für ihren Film »Ritual« interviewen. Wir sind sehr dankbar dafür, dass Marietta uns dieses Interview zugänglich gemacht hat, aus dem wir hier einen Auszug als Text veröffentlichen. Auch ihr Film ist empfehlenswert, um den Stimmen namhafter Denker und Praktikerinnen zu lauschen.

Neue Experimente mit Ritualen unternehmen Sanya Manzoor und Adam McKenty mit ihrer Church of Interbeing, bei der sich jeden Sonntag in Berlin-Neukölln Menschen für einen etwas anderen Gottesdienst treffen. Und als DJ führt Maegan Melissa Gorbett alials Alma ∞ Omega in kreative Räume der Begegnung im Tanz. Sie alle verstehen ihre Projekte als Expeditionen in neu gestaltete Rituale. Auch der Physiker und Bewusstseinsforscher Thilo Hinterberger experimentiert mit neuen Formen von Ritualen und reflektiert sie im Kontext unserer Bewusstseinsentwicklung.

Die chilenische Künstlerin Catalina Swinburn, mit deren Arbeiten wir diese Ausgabe gestalten dürfen, ist ebenfalls auf Forschungsreise im Land neuer Rituale. Sie begann ihre künstlerische Arbeit mit Performances und fand zur Technik des Webens von Buchseiten, die zu riesigen Umhängen gestaltet werden, die Swinburn dann auch in Performances trägt, welche häufig auch mit Klang begleitet werden. Gleichzeitig tragen die Bücher mit ihren bestimmten Inhalten auch thematische Kontexte, in denen es um globale Gerechtigkeit, altes kulturelles Wissen, die ökologische Zerstörung und Geschlechterthemen geht. Wir freuen uns sehr, dass wir Catalinas Arbeiten gefunden haben – es ist jedes Mal ein Abenteuer, ob und wie wir die passende Künstlerin für eine Ausgabe finden.

Wir hoffen, dass Sie mit dieser Ausgabe genauso viele Impulse für einen neuen Umgang mit Ritualen finden können wie wir. Unsere evolve Salons sind ja auch eine Art Ritual und wir sind gespannt, wie diese Ausgabe darin bewegt wird und auch sonst im Feld unserer Leserinnen und Lesern weiterwirkt. Zudem sind wir dabei, unser Membership-Angebot weiterzuentwickeln und unser Bewusstseinsbiotop des Communiverse zu beleben. Wir freuen uns über Ihre Unterstützung dabei und werden Sie über Neues auf dem Laufenden halten. Einiges davon teilen wir bei unserem nächsten Membership-Meeting am 20. Mai.

Aber nun wünschen wir Ihnen viele Aha-Momente mit dieser Ausgabe zur Kraft der Rituale und freuen uns wie immer über Leserfeedback und Anregungen. Und wir sind gespannt, zu welchem nächsten Schwerpunktthema uns diese Ausgabe führt – wenn Sie eine Idee haben, melden Sie sich gern!

Herzlichst

Mike Kauschke

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Mike Kauschke
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