Der Teufelspakt

Our Emotional Participation in the World
English Translation
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Audio Test:
Interview
Publiziert am:

November 6, 2020

Mit:
Jordan Hall
Ludwig van Beethoven
Miles Davis
Kategorien von Anfragen:
Tags
AUSGABE:
Ausgabe 28 / 2020:
|
November 2020
Der Sinn des Lebens
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Spiel A oder B?

Jordan Hall ist eine Art Universalgelehrter. Das Gespräch mit ihm über die Metakrise unserer Zeit war ein wilder Ritt durch Geschichte, Genetik, Linguistik und mehr – so umfassend, dass es den Umfang eines Artikels sprengte (aber Sie können das ganze Interview in englischer Sprache hören, den Link dazu finden Sie unter dem Artikel). In diesem Text folgen wir Halls Erklärung unserer gegenwärtigen globalen sozialen Realität, die er als »Spiel A« und als »Teufelspakt« bezeichnet. Aber er lässt uns nicht in den Händen des Teufels: das »Spiel B« erscheint schon am Horizont.

e: Die Menschheit steht vor vielschichtigen und komplexen Problemen. Aber alldem liegt vielleicht eine tiefere Krise zugrunde. Wie würden Sie diese charakterisieren?

Jordan Hall: Eigentlich ist diese ganze Dynamik ein Pakt mit dem Teufel. Lassen Sie mich hier die Rolle des Teufels übernehmen, um zu zeigen, was geschah. Ich mache den Menschen einen Vorschlag: »Ich zeige euch ein neues Spiel. Ich gebe euch zwei Geschenke und ihr habt dafür nur einen Preis zu zahlen. Das eine Geschenk ist die Gabe der Gier: Alles, was ihr benennen könnt, wird euch in Hülle und Fülle gegeben – Berge von Schätzen, dargebracht auf dem Altar Mammons. Aber alles, was ihr wollt, müsst ihr auch benennen können.

Das zweite Geschenk ist die Gabe des Krieges: Ihr könnt euren Besitz gegen alle verteidigen. Und alles, was ihr wollt, könnt ihr von jedem anderen einfach nehmen. Ihr habt die Möglichkeit, jeden Kampf zu gewinnen. Das ist das Wesen des Spiels, das ich euch beibringen möchte. Der Preis dafür? Eure unsterbliche Seele. Was ich damit meine? Mit eurer unsterblichen Seele meine ich die Verbundenheit mit dem Ganzen des Lebens.« Diesem Teufelspakt liegt also die Unterscheidung zwischen scheinbarem Sinn und echtem Sinn, wahrer Ganzheit zugrunde: ein Teil des Ganzen zu sein oder vom Ganzen getrennt.

ES BRAUCHT UNSERE FÄHIGKEIT, SICH IN DEN DIENST DIESER KREATIVEN KRAFT ZU STELLEN.

Dieser Teufelspakt könnte in manchen Situationen ein gutes Geschäft gewesen sein. Wenn ihr das Geschäft nicht abschließt, wird es euer Nachbar tun. Dann habt ihr verloren und eure Existenz ist in Gefahr. Geschichtlich gesehen war dieser Pakt eine grausame Wahl. Wer ihn nicht einging, wählte oft die Versklavung oder den Tod. Aber es bleibt ein Pakt mit dem Teufel. Das Unvermeidliche wird nur hinausgezögert. Wenn wir als Menschen an einem Ort lebten, der langsam aber sicher zur Wüste wurde, konnten wir so unseren Ort eine Zeit lang in einen blühenden Garten verwandeln. Nur andere hatten zu leiden: die Nachbarn, also andere Menschen in unserer Umgebung. Wir versagten ihnen den Zugang zu Ressourcen, zu ihrer Zukunft. Das, würde ich sagen, ist das zentrale Wesen dieses Spiels.

Ein Spiel ohne Gewinner

e: Es ist erstaunlich, wie weit diese Dynamik in die Geschichte zurückreicht. In den ersten hunderttausend Jahren lebte der Homo sapiens recht friedfertig. Die menschlichen Siedlungen waren klein und weit voneinander entfernt. Es gab wenig Konkurrenz um die Ressourcen.

JH: Ja, es waren relativ dünn besiedelte Regionen und weite Entfernungen — und fast immer weiträumige Gebiete, die zwar oft unwegsam, aber verfügbar waren. Menschen sind ja nicht zu Eskimos geworden, weil sie gerne auf Skiern unterwegs sind, sondern weil sie mit dieser Lebensweise eine eigene Nische für ihr Überleben fanden.

e: Und irgendwann kam ein Punkt, wie beispielsweise bei der zunehmenden Ausbreitung der Wüsten in Afrika, als diese Nischen nicht mehr zukunftsfähig waren. Es begannen gewalttätige Auseinandersetzungen um die Ressourcen. In diesem »neuen Spiel« sehen Sie also die Wurzel unserer Zivilisation.

JH: Ja, das ist meine These. Es entstand eine immer bessere Technologie der Beherrschung und der Kontrolle. Die Römer wurden am Anfang ihrer Geschichte auf den Hügeln Roms beinahe von den Etruskern überrannt. Aber die Römer errangen den Sieg, weil sie eine neue Variante des Spiels, das uns der Teufel schenkte, erlernt hatten. Mit diesem Vorteil begannen sie, ihr Territorium auszuweiten. Auch sie stießen dabei immer wieder auf Hindernisse: die Karthager in den drei Punischen Kriegen. Aber die Römer gewannen, eroberten das Land der Karthager. Ihr Imperium wurde weiter und größer.

Doch irgendwann endete diese Expansion. Die Energie, die ihnen diese Eroberungen ermöglichte, erreichte ihre natürliche Grenze. Das war der Hadrianswall in England. Es entstanden zwei zerstörerische Dynamiken: Das Innere des römischen Systems von Herrschaft und Kontrolle wurde auf der kleinsten Ebene brüchig. Die Latifundien wurden fast ausschließlich von Sklaven bewirtschaftet und nur wenige Akteure kontrollierten ganz Rom. Es gab fast keine Freibauern mehr, die als Waffenträger und Reiter auch Teil der Legionen sein konnten. So bestanden die Legionen immer mehr aus bezahlten Söldnern. Das innere Gefüge wurde brüchig und im Äußeren spielten plötzlich die Germanen jenseits der römischen Einflusssphäre das Spiel besser als sie. Am Schluss verloren die Römer – am Ende verliert man immer, denn dieses Spiel kennt nur Verlierer. So übernahmen als Nächstes die Germanen die Macht.

Jede Wiederholung solcher Eroberungen hat dabei eine extrem intensivierende Wirkung, denn auf der anderen Seite der Gleichung steht der Tod. Nicht nur der Tod, sondern das ganze Szenario von Auslöschung, Vergewaltigung, Plünderung und Zerstörung. Es steht also viel auf dem Spiel, der Einsatz ist hoch, ebenso die Intensität und die Bereitschaft, Tauschgeschäfte abzuschließen – und dabei den langfristigen Blick gegen den kurzfristigen Gewinn zu tauschen.

Nehmen wir z. B. die Bereitschaft, Atomwaffen zu bauen, die das Ende der Menschheit bedeuten könnten. Warum? Weil wir diesen Kampf jetzt gewinnen müssen. Diese Dynamik treibt die Innovation voran. Sie hält das Spiel am Laufen, und so sind wir genau dort angekommen, wo wir heute stehen.

e: Wo stehen wir? Und warum wird es gerade jetzt so deutlich, dass es in diesem Spiel eigentlich keine Gewinner geben kann?

JH: Dazu möchte ich auf ein Buch von Geoffrey West mit dem Titel »Scale: Die universalen Gesetze« verweisen. Im letzten Drittel spricht der Autor davon, dass jede Neuauflage dieses Spiels eine sehr interessante mathematische Konsequenz hat. Mit jeder Wiederholung des Spiels halbiert sich seine Dauer. Der erste Spielzug, sagen wir, das Ägyptische Reich, dauerte Tausende von Jahren. Aber jede größere Bewegung danach ist schneller zu Ende. Wir können diese Dynamik tatsächlich beobachten: Ich kann den ganzen Bogen vom antiken Griechenland zum Römischen Reich hin zur germanischen Version des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation spannen. In dieser Abfolge von Eroberungen bestand der zu zahlende Preis darin, dass jede Wiederholung ihre eigenen Lebensgrundlagen noch schneller zerstörte.

WENN WIR IM ANGESICHT DES UNENDLICHEN DEMÜTIG WERDEN, LASSEN WIR UNSERE IDENTITÄTEN ZUGUNSTEN UNSERES WAHREN SELBST LOS.

So gelangt man an einen Punkt, an dem das Spiel immer schneller von Neuem beginnen muss. Schließlich ist ein Moment erreicht, an dem die Reaktion nur noch darin besteht, ständig von Neuem zu beginnen. Es ist fast so, als hätte das Spiel einen eingebauten Endpunkt, der genau darauf basiert. Aber viel wichtiger ist mir in diesem Zusammenhang etwas anderes: Sobald sich herausstellt, dass dieses spezielle endliche Spiel tatsächlich seinen Tiefpunkt erreicht hat, beginnen immer mehr Menschen zu erkennen, dass wir eigentlich an der Unendlichkeit vorbeileben – an dem, was wirklich ist.

Die Ödnis im Inneren

e: Was Sie Spiel A nennen, hat die menschliche Zivilisation also in den vergangenen 35.000 Jahren miteinander gespielt? Und jetzt zeichnet sich das Ende dieses Spiels ab?

JH: Ja. Schauen wir uns doch einmal den Unterschied zwischen simuliertem Sinn und wirklichen Sinn an. Für viele Menschen ist es einfacher, Entwicklungen wie Klimawandel, Bodenverarmung, Wasserverschmutzung oder Wassermangel wahrzunehmen, als zu erkennen, dass auch unser Inneres in der gleichen Weise ausgebeutet wird und verödet. Mit dem Inneren meine ich hier das Innere aller möglichen Innenräume, die Beziehungen zwischen und unter den Menschen, die ich als Gemeinschaft (community) verstehe. Unter Gemeinschaft verstehe ich echte, authentische, intensive, komplexe Beziehungen zwischen Menschen — die sich selbstverständlich auch auf die Natur erstrecken. Der Begriff der Gesellschaft (society) ist im Gegensatz dazu ein formales, ein vermitteltes Gebilde.

Wenn meine Mutter mir ein Essen zubereitet, ist das eine gemeinschaftliche Beziehung; wenn mir McDonald’s ein Essen anbietet, ist das eine gesellschaftliche Beziehung. In beiden Fällen erhalte ich etwas zu essen, aber das geschieht jeweils in völlig unterschiedlichen Kontexten. Die Gesellschaft ist im tiefsten Sinne ein Parasit der Gemeinschaft. Ihr grundlegendes Wesen besteht eigentlich darin, dass sie die Sinnhaftigkeit der Beziehungen in einer Gemeinschaft aufbraucht, sie letztlich zerstört.

Genau dasselbe geschieht im Innern jedes Einzelnen auf der Ebene von Selbst und Identität. In dieser Analogie entspricht unser Selbst der Gemeinschaft oder – in einem größeren Kontext – der Natur. Unsere Identitäten dagegen sind Parasiten. Sie leben davon, dass sie im Innern des Selbst Beziehungen vermitteln, simulieren und extrahieren. Unsere Identitäten machen diese Beziehungen vordergründig sichtbarer, ansprechbarer, kontrollierbarer, was allerdings Chaos und Verwüstung erzeugt. Jede Identität besteht aus einer endlichen Abfolge von Bedeutungsträgern und stellt damit eine Begrenzung des unendlichen Selbst dar.

Diese Dynamik vollzieht sich auf allen Ebenen und verstärkt sich gegenseitig: Die Gesellschaft schafft Identitäten. Die Gesellschaft kann sehr gut mit Identitäten umgehen. Die Gesellschaft kann aber mit dem Selbst der Menschen nicht gut umgehen, denn das Verhältnis zwischen Gesellschaft und dem Selbst der Menschen ist wesentlich problematischer. Das Selbst weicht vor der Gesellschaft zurück, die Identitäten aber spielen das Gesellschaftsspiel mit. Die darin wirkenden Dynamiken dieser unterschiedlichen Merkmale greifen ineinander. Deshalb entfaltet sich der Prozess so, wie er sich jetzt zeigt.

e: Und weil Gesellschaft Identitäten bietet, statt unsere eigentliche Individuation oder Selbst-Werdung zu unterstützen, bietet sie uns keinen Raum, sich wirklich zu entfalten. Unser ganzes Potenzial als Menschen passt nicht in unsere Identitäten. Und wenn diese in der herrschenden Gesellschaftskultur unterdrückt werden, entstehen Ärger und Wut.

JH: Das ist ein wichtiger Punkt. Ärger und Wut sind dann wahrscheinlich und häufig zu beobachten. Aber dadurch kann auch eine Öffnung hin zu tieferer Weisheit und Erkenntnis entstehen, weil die bestehende Unstimmigkeit zwischen Identität und Selbst vielleicht offensichtlicher wird.

e: Ärger und Wut können, wie Sie sagen, eine motivierende und treibende Kraft sein. Aber aus Identitäten zu leben, die eine geringere Wertschätzung erfahren als andere, bedeutet oft Demütigung und Scham.

JH: Ja, dabei ist aber spannend, dass die Worte Demütigung und demütig auf denselben Wortstamm zurückzuführen sind. Wenn wir im Angesicht des Unendlichen demütig werden, lassen wir unsere Identität zugunsten unseres wahren Selbst los. Im Kontext der Gesellschaft gedemütigt zu werden heißt dagegen, an unsere Identitäten gebunden zu sein und deshalb abgewertet zu werden. Ein wesentlicher Aspekt des Paktes mit dem Teufel ist doch der, dass der andere abgewertet wird. Wenn ich das Kriegsspiel gewinnen will, dann verliert der andere. Und man muss ihn solange unten halten, bis er keine Chance mehr hat, wieder aufzustehen. Dem Gewinner reicht es in diesem Augenblick also nicht, dass der andere verloren hat. Die Felder des anderen müssen unfruchtbar gemacht werde. Man verstreut auf ihnen Salz, damit der Verlierer nicht mehr zurückkommen kann.

Demut aber, im Zusammenhang mit Gemeinschaft, dem Selbst, dem Ganzen und der Welt, ist eine Tugend. Demütig zu sein, ist eine starke Eigenschaft. Aber wenn des Teufels Spiel gespielt wird, müssen alle Tugenden auf den Kopf gestellt werden. Die Demut wird entweiht und sie wird in ihrer profanen Form als Demütigung immer wiederholt werden, bis die ihr innewohnende Heiligkeit nicht mehr zu erkennen ist.

Verbunden im Ganzen

e: Es gibt in der heutigen Kultur ja so etwas wie eine Allergie gegen die Hingabe, die man für die Verbindung mit dem Unendlichen braucht. Der Preis, den wir dafür zahlen, ist unsere Fähigkeit, wirklich ganz zu sein, das heißt, uns in der Ganzheit des Lebens wahrzunehmen. Genau das ist der Teufelspakt.

JH: Ja, genau. Wenn wir unsere Seele an den Teufel verkauft haben, ist der Preis dafür mit Sicherheit, dass wir nicht mehr Teil des Ganzen sind. Wir haben unsere Fähigkeit eingebüßt, in die Ganzheit integriert zu sein. In dem Maße, in dem unser Inneres zu einem Teil einer integrierten Ganzheit wird, beginnt es, am Ganzen der Gemeinschaft teilzuhaben, das wiederum selbst Teil eines Naturganzen ist, das wiederum Teil der gesamten Universums ist. Genau wie die Profanisierung dieser Ganzheit und die Ausbeutung auf all diesen Ebenen geschieht, erfolgt auch die Integration auf all diesen Ebenen.

e: Diese tiefe Verbundenheit und Integration in echter Gemeinschaft ist also so etwas wie das Gegenmittel zu dem, was Sie Spiel A nennen – das Spiel, das der Sinnkrise zugrunde liegt.

JH: Genau. Wenn Menschen ein voll individuiertes Selbst entwickelt haben, und bewusst und aus freien Stücken Gemeinschaft bilden, dann entsteht eine ganz spezielle Art von Gemeinschaft. Diese Art von Gemeinschaft schränkt nicht ein. Sie geht auch nicht auf Kosten der Selbst-Werdung. Sie bewahrt ihre Integrität als Ganzes, sie entwickelt sich und wächst. Das Innere dieser Gemeinschaft kann weiter wachsen und bewahrt seine Kontinuität als Ganzes. Das ist eine andere Beschreibung für das Spiel B – das ist das Gegenmittel. Damit werden die drei Faktoren, die historisch betrachtet für den Kollaps unserer Zivilisationen gesorgt haben, gelöst.

e: Welche drei Faktoren?

JH: Ein Faktor ist die Beziehung unserer Zivilisation zur Natur. Wir lassen sie veröden. Wir tauschen den langfristigen Blick für kurzfristigen Gewinn. Wenn dann die langfristigen Folgen eintreten, ist es zu spät. Der zweite Faktor sind die Herrschafts­hierarchien. Wir legen immer wieder die Saat für diesen unvermeidlichen Konflikt. Es entsteht immer wieder ein Kampf darum, was an oberster Stelle steht. Der dritte Faktor sind unsere Beziehungen nach außen. Das Äußere ist die Beziehung zum anderen im Außen. Entwürdigte und gedemütigte Individuen zerstören die Zivilisation von innen. Oder Menschen von außen finden Punkte, an denen wir angreifbar sind und an denen sie uns zerstören können. Oder schlimmstenfalls zerstören wir die Natur und alles kollabiert.

Vertrauen öffnet den Weg

e: Damit unsere Kultur sich auf dieses neue Spiel einlassen kann, brauchen wir also ein sehr hohes Niveau an menschlicher Entwicklung.

JH: Ja, aber nicht als Fiktion. Wir haben das gleiche Ausmaß an Reife, Selbstwahrnehmung und Selbstführung, wie es auch die Einwohner von Tahiti vor der Landung von Captain Cook hatten. Oder kennen Sie jemanden, der wirklich mit beiden Beinen auf dem Boden steht, dazu noch weise und offensichtlich gut darin ist, sein Leben zu meistern, und gleichzeitig im Leben anderer Menschen nichts zerstört? Oder in einem Gespräch zu sein, in dem wir uns wirklich fragen: »Wie sage ich die Dinge so, dass in diesem Moment das volle Potenzial des Gesprächs aufblühen kann? Was kann darin gehalten werden? Was kann ich mit angemessener Wahrhaftigkeit, Klarheit und Feinheit ausdrücken, und was findet im Kontext der Tragfähigkeit dieser Beziehung tatsächlich Gehör?« Das ist es. Und wenn das geschieht, wird eine Aufwärtsspirale in Gang gesetzt, weil jedes Gespräch, das in dieser Art geführt wird, unsere Meisterschaft darin weiter beflügelt.

Die Möglichkeit existiert. Die Frage ist, ob wir sie nutzen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Welt in zehn Jahren noch genauso aussieht wie vor zehn Jahren, tendiert aus meiner Sicht eigentlich gegen Null. Die Wahrscheinlichkeit, dass uns dieser Übergang gelingt, ist ebenfalls sehr, sehr gering. Andererseits haben wir es hier mit etwas zu tun, bei dem Vertrauen den Weg öffnet. Mit Vertrauen meine ich nicht den Glauben an Dinge, die nicht wahr sind. Es geht um etwas völlig anderes. Wenn es uns gelingt, einen Zugang zu dem zu entdecken, was mit Vertrauen tatsächlich gemeint ist, werden wir diesen Übergang schaffen.

e: Sie meinen damit das Vertrauen in die kreative Kraft der Wirklichkeit, die diese erstaunlichen menschlichen Körper und die Biosphäre hervorgebracht hat – diese Kraft, die immer schon schöpferisch war und aus der Ganzheit lebt. Es braucht sehr viel Vertrauen, uns und unsere eigenen Handlungen dieser schöpferischen Kraft anzuvertrauen.

JH: Ich würde sagen, es braucht gar nicht viel, nur eine gewisse Fähigkeit. Die Fähigkeit, zu einem Kanal, zu einem Gefäß zu werden, das von dieser kreativen Kraft getragen wird und sich in ihren Dienst stellt. Vielleicht ist ja Vertrauen fast so etwas wie eine solche Fähigkeit. Als würde man zum Künstler werden. Wenn durch jemanden wie Beethoven die Neunte Symphonie entsteht, dann ist das Vertrauen. Wenn ein Miles Davis von schöpferischen Impulsen durchströmt wird, die Größe und Anmut verkörpern, dann ist das Vertrauen. Wichtig ist, dass wir uns dabei nicht durch den Teufelspakt, durch die Profanisierung von alldem zu Fall bringen lassen, wie wir es in den letzten 35.000 Jahren getan haben. Und wir müssen in uns selbst die Fähigkeit und das Können entwickeln, diese kreative Kraft lebendig werden zu lassen, die, wie Sie sagen, ja schon da ist. Es geht nicht darum, etwas zu erreichen. Nein, diese schöpferische Kraft ist bereits da.

Die Audio-Aufnahme, die als Grundlage dieses Interviews diente: evolve-magazin.s3.amazonaws.com/Jordan_Hall_2020.mp3

Author:
Dr. Elizabeth Debold
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