April 21, 2016
Vor einiger Zeit erhielt ich von Cosima Lange die Einladung zur privaten Studiopremiere ihres neuen Films »Hello I am David«. Zunächst zögerte ich, denn ich bin ein vorsichtiger Kinogänger – nicht, weil mich Filme wenig interessieren. Im Gegenteil, ich erfahre ihre suggestiven Wirkungen unmittelbar. Zu unmittelbar vielleicht. Sie gehen mir unter die Haut. Schließlich sagte ich zu und erlebte einen Film, der mir im besten Sinne unter die Haut ging.
»Hello I am David« porträtiert den außergewöhnlichen Pianisten David Helfgott. Der berühmte Geiger Isaak Stern hatte das Wunderkind David für eine Ausbildung in den USA empfohlen, aber sein Vater erlaubte ihm die Reise nicht. Gegen dessen Willen verließ David dennoch seine Heimat Australien, um am Royal College of Music in London zu studieren. Dort erlitt er mit 24 Jahren einen Nervenzusammenbruch und verbrachte elf Jahre in psychiatrischen Kliniken. Das Schlimmste war der Verlust der Musik, er konnte nicht mehr spielen. Erst als die Astrologin Gillian, seine spätere Ehefrau, in sein Leben trat, kam die Musik wieder langsam zurück. Nicht zuletzt der preisgekrönte Hollywoodfilm »Shine« aus dem Jahre 1996, der David Helfgotts Leben als Drama umsetzte, gab ihm sein Selbstvertrauen wieder.
¬ ER SCHENKT SICH, WEIL ER SELBST EIN BESCHENKTER IST. ¬
Cosima Lange hat nicht nochmals einen Film über ihn gedreht, sondern einen mit ihm. Nah. Ungeschminkt. Intelligent. Mit dem behutsamen Blick einer Staunenden, die ihre Liebe und ihr Wundern aus der Wirklichkeit dieses wahrhaftigen Menschen schöpft und dies zu übermitteln vermag. Die eingesetzten Mittel sind ein musikalisch-visueller Wurf. Im Wechsel von Autofahren und Ankommen, weiter Landschaft und Konzertsaal, Interviews und poetischer Stille, spiegelt sich die schlichte Einmaligkeit Davids. Besonders farbig auch in seinen kindlichen Schwächen, die jeden aufgeplusterten Pathos verscheuchen. Und mit feinfühliger Sorgfalt lässt der Film spürbar werden, wie durch die Vertiefung und Liebe in die Kunst, in diesem Falle die klassische Musik, aus konfliktreichen und leidensvollen Lebenssituationen neue sinngebende, erfüllende Lebensformen und Beziehungen entstehen können.
David Helfgott passt mit seinem unberechenbaren, jedoch liebevollen Verhalten in kein Muster. Wenn er nicht als Klaviervirtuose in den großen Konzerthallen der Welt spielt, ist er dauernd in Bewegung und nimmt die Welt auf eine ganz andere Art und Weise wahr als wir. Seine Reaktionen sind spontan und immer herzlich. Mit einer Bugwelle aus Freundlichkeit pflügt er durch trübe Gewässer freudloser Gewohnheit. Er schenkt sich, weil er selbst ein Beschenkter ist und sieht kaum eine Trennung zwischen sich selbst und anderen Menschen. Deshalb überschreitet er unvermittelt alles narzisstische Künstlergehabe. Die Dirigenten und die Musiker scheinen in der Gegenwart dieses Mannes glücklicher und weicher zu werden. Dem Perfektionismus eines Konzertes weicht eine spielerische und leidenschaftliche Lebensfreude. Murmelnd und versunken neigt sich David mit seinem schlaksigen Körper über das Klavier, währenddessen seine flinken Finger mühelos die Musik der größten Komponisten spielen. Wenn er den tosenden Applaus nach seinen Konzerten einsammelt, gibt er ihn sofort wieder zurück, umarmt seine Mitspieler, die Zuschauer und den Dirigenten. Er ist wie ein Sämann, der Glücksmomente in die empfänglichen Seelen streut.
Der Film kann manchmal unruhig wirken – weil alles in Davids Gegenwart etwas unruhig ist. Er sucht und findet unablässig: Teebeutel, Begegnungen, Nähe, Schwimmbecken, in denen er gern schwimmen möchte. Genauso, wie kein Ton seines Klavierspiels eine Reproduktion ist, so ist sein Alltag ein immer neuerfundenes, sprudelndes Quellereignis.
Ständig ist er in einem nachdenklichen Monolog mit sich und anderen. Sorgfältig lauscht die Regisseurin in den Redestrom hinein und fischt Perlen der Weisheiten heraus. Es sind Essenzen aus einer erlösten inneren Welt tiefer Einsichten, die inmitten von vermeintlichen Behinderungen für ihn real existieren.
David Helfgott ging in seinem Leben durch die tiefsten Schichten der Verzweiflung und Einsamkeit. Und jetzt nimmt er auch mich (und dich) in seine Arme. Überrascht von Mensch und Musik bin ich bei dieser Studiopremiere in Berlin mit David rückwärts ins Paradies gestolpert.