Vom Egosystem zum Ökosystem

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Buch/Filmbesprechung
Publiziert am:

October 29, 2014

Mit:
Otto Scharmer
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AUSGABE:
Ausgabe 04 / 2014:
|
October 2014
Führung neu denken
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Das neue Buch von Otto Scharmer: „Von der Zukunft her führen“

„Externe Effekte“ ist ein ökonomischer Begriff, den ich nie mochte. Er ist vergleichbar mit dem militärischen Ausdruck „Kollateralschaden“, womit der unbeabsichtigte Tod von Zivilisten bei Kampfeinsätzen gemeint ist. Diese „externen Effekte“ umfassen einen Großteil der wahren Kosten des kapitalistischen Wirtschaftssystems und sind ein einfacher Weg, um die Nutzung und den Missbrauch der Biosphäre und des Menschen zu ignorieren. Denn diese Folgen werden dann einfach als unbeabsichtigte Nebenwirkungen der Erfolge von Innovation und Kapitalschaffung verbucht. Dieses Denken ist so sehr Teil des Kapitalismus, dass man sich kaum vorstellen kann, wie man es verändern könnte, ohne das gesamte Wirtschaftssystem über Bord zu werfen. Otto Scharmer, der am MIT (Massachusetts Institute of Technology) über Organisationen forscht und den wir in der ersten Ausgabe von evolve interviewt haben, und Katrin Kaufer haben nun einen gewagten und komplexen Entwurf vorgelegt, um einen Weg von einer Egosystem- zu einer Ökosystem-Wirtschaft zu finden. Im Grunde gehen die Autoren davon aus, dass dieser Wandel nur durch die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins möglich sein wird. Denn der blinde Fleck der Führung heute ist der Mangel an Gewahrsein dafür, aus welchem Bewusstsein man eigentlich handelt.

Wir haben die ökonomische Realität, in der wir heute leben, aus unserem eigenen Bewusstsein geschaffen.


Die Autoren erinnern uns daran, dass die Wirkungsweise der Wirtschaft kein natürliches Gesetz ist. Wir haben die ökonomische Realität, in der wir heute leben, aus unserem eigenen Bewusstsein geschaffen. Sie erklären, dass unsere gegenwärtige Realität auf drei „Abgründen“ beruht: einem ökologischen Abgrund, die Trennung des Selbst von der Natur; einem sozialen Abgrund, die Trennung des Selbst von den anderen, und einem spirituell-kulturellen Abgrund, die Trennung zwischen dem Selbst (unser Ego-Zustand) vom SELBST (unser höchstes Potenzial). Im Zusammenhang mit diesem spirituellen Abgrund merken sie an, dass im Jahre 2010 mehr Menschen an Selbstmord gestorben sind, als durch jede andere Todesursache – einschließlich Krieg. Als Methode, um Führenden zu vermitteln, wie sie dieses Potenzial der Zukunft verwirklichen können, beschreibt Scharmer seine Arbeit über „Presencing“ oder „Erspüren“, das er in seinem Buch „Theorie U“ schon ausgeführt hat.
Scharmer und Kaufer verbinden in ungewöhnlicher Weise einen tiefen Optimismus in Bezug auf die menschliche Fähigkeit, auf Krisen zu antworten und sich zu verändern, mit der ungeschönten Darstellung der Wirklichkeit, in der wir uns befinden. Sie geben dem Leser die konkreten Informationen über die Herausforderungen, die vor uns liegen, einen großen Kontext der Entwicklung des ökonomischen Denkens bis zur Gegenwart und reale Beispiele positiver Innovationen, die das System von Grund auf verändern könnten. Wenn wir die Natur als ein Ökosystem sehen, zu dessen Wachstum wir beitragen und das wir verbessern können, dann können wir eine neue Kategorie von Eigentumsrechten entwickeln, die auf dem Gemeingut basiert (Luft, Wasser, Land), das wir alle miteinander teilen. Wir haben gelernt, dass Konsum nicht zu Glück führt. Warum wird dann der wichtigste Wert für das ökonomische Wachstum als Bruttoinlandsprodukt gemessen? Denn andere Messwerte wie Gross National Happiness (Bruttonationalglück) oder Genuine Progress Indicator (Indikator echten Fortschritts) verbinden unser Menschsein mit der Wirtschaft. Die Autoren weisen darauf hin, dass der größte Teil des Kapitals durch Spekulationsspiele mit komplizierten Finanzinstrumenten geschaffen wird. Und sie zeigen Wege auf, wie wir unser Verständnis von Geld verändern können, damit es der realen Wirtschaft und den Menschen dient.
Nicht ganz so überzeugend ist der Prozess der Transformation, den sie für Führungskräfte beschreiben, die mit Gruppen arbeiten: Wie können wir wirklich „loslassen“? Welche Form von Prozessen ermöglicht es Gruppen, miteinander aus einer tieferen Quelle zu ko-kreieren? Eine der Schwierigkeiten dabei ist vielleicht, dass sich diese Prozesse nur im Tun zeigen und kaum durch das Lesen erschließen.
Aber indem die Autoren unser Denken verändern und uns auf die lebendige Wirklichkeit hinweisen, von der wir alle ein Teil sind, geben sie uns eine aufregende neue Herausforderung in die Hand: das Wirtschaftssystem neu zu erfinden. Scharmer und Kaufer eröffnen Führenden einen Weg, um aus der Verbundenheit mit dem lebendigen Ganzen zu denken und zu leben. Dadurch können sich auch unsere Werte und Praktiken wandeln, woraus mit der Zeit eine gesunde und dynamische Zukunft entstehen kann. Damit geben sie Führenden ein kraftvolles Licht auf dem Weg nach vorn.

Author:
Dr. Elizabeth Debold
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