Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
July 12, 2021
Über den Film »Aware – Reise in das Bewusstsein«
Jeder nimmt die Welt anders wahr. Das drückt die indische Elefantenparabel aus. In der Geschichte ertasten sechs blinde Gelehrte jeweils einen anderen Körperteil des riesigen Tiers. Ihr Wissen über den Elefanten, das sie anschließend weitergeben, richtet sich nach ihrer Tastperspektive. Frauke Sandig und Eric Black nähern sich mit ihrem Film »Aware« auch etwas Riesigem: Sie machen sich auf zu einer Reise in das Bewusstsein. Wie in der Parabel kommen sechs Gelehrte zu Wort: Forscher und Forscherinnen aus verschiedenen Teilen der Welt teilen ihre Sicht über das Bewusstsein.
Einer von ihnen ist Christof Koch, er ist Leiter des Allen-Instituts für Hirnforschung in Seattle. Man spürt seine tiefe Faszination für die Hirnforschung, wenn er über ein Forschungsprojekt spricht, in dem sein Team einen Kubikmillimeter Gehirnmasse untersucht und die schier unvorstellbare Komplexität neuronaler Vernetzung darin aufzeigt. Die millionenfache Vergrößerung auf einem Computerbildschirm ist wunderschön anzuschauen. Durch diese Art von Forschung lässt sich Bewusstsein aber nicht finden, soviel ist Koch klar, der eine tiefe mystische Erfahrung durch den Konsum von psychedelischen Pilzen gemacht hat. Koch treibt neben seiner Forschung an Neuronen auch die Frage um, was Bewusstsein ist. Der buddhistische Mönch Matthieu Ricard hat seine wissenschaftliche Karriere als Molekularbiologe mit dreißig Jahren aufgegeben, um das Bewusstsein zu erforschen. Bewusstsein lässt sich für ihn nur von innen erforschen, durch Meditation zum Beispiel, nicht mit der westlichen wissenschaftlichen Objektivität.
Auch die Pflanzenforscherin Monica Gagliano aus Sydney stößt sich an der Erforschung von Objekten. In ihrer Forschung zeigt sie, dass Pflanzen wahrnehmende Wesen sind. Wenn man sie verstehen will, muss man mit ihnen kommunizieren und in Beziehung treten. Man trifft sich mit den Pflanzen in dem Bewusstsein, zu dem wir alle Zugang haben. Und wie die Pflanzen zeigen, braucht man dazu keine Neuronen und kein Gehirn. Gagliano hat das Pawlow'sche Tierexperiment an einer Erbse durchgeführt und nachgewiesen, dass Pflanzen lernen können. Dass Pflanzen kommunizieren, ist für Maya-Heilerin Josefa Kirvin Kulix jahrhundertealtes indigenes Erfahrungswissen, mit dem sie ganz natürlich in ihrer Arbeit umgeht.
Neben der Meditation zur Erforschung von Bewusstsein gibt es eine Art Abkürzung zu tiefen Erfahrungen mit Bewusstsein: der kontrollierte Konsum von psychedelischen Drogen. Hierzu forscht Roland R. Griffiths an der Johns-Hopkins-Universität mit Psilocybin. Viele seiner Proband:innen machen unter Einfluss der Droge mystische Erfahrungen. Befragt man sie zwei Monate später dazu, hört man von Teilnehmenden, dass sie die Erfahrung so einschneidend erlebt haben wie die Geburt eines Kindes oder den Tod eines nahestehenden Menschen. Ein Teilnehmer der Studie ist der Philosoph Richard Boothby. Atheistisch ausgerichtet hatte er sich nichts erwartet und ist umso überraschter von der Wahrnehmungstiefe unter Einfluss von Psilocybin. Gott wird für ihn Realität.
Der Film »Aware« ist fesselnd bis zur letzten Minute. Neben der mikroskopisch vergrößerten Hirnschönheit zu Beginn auf dem Computer sieht man viele wunderschöne Naturaufnahmen: Bewusstsein in Form, wie Gagliano es nennt. Es macht Freude, den Forschern und Forscherinnen zuzuhören, wenn sie sehr authentisch von ihren Erfahrungen berichten. Alle erleben das Bewusstsein auf ihre je eigene Weise und erforschen es. Und wie in der Elefantenparabel setzt sich daraus ein Bild zusammen. Griffiths bleibt allerdings demütig. Ihm ist klar, dass weder er noch seine Enkel das Bewusstsein je ganz verstehen werden. Vielleicht werden wir es nie ganz erfassen können. Für Gagliano, die sich über Erfahrungen mit der psychedelischen Substanz des Peyote-Kaktus in einem traditionellen Kontext auch spirituell tief auf die Pflanzen eingelassen hat, sind wir alle auf einer tiefen Ebene Bewusstsein und darin verbunden. Wir können die Erde nicht verletzen, ohne uns selbst zu verletzen. Ähnlich sieht das Kulix, die die Menschheit zum Aufwachen aufruft. Aus ihrer indigenen Sicht äußert sie einen Aufruf, in den wohl alle Protagonist:innen dieses Films einstimmen würden: Wir müssen endlich zum Leben aufwachen und wahrnehmen, dass alles die gleiche Essenz hat.