Gott ist Dynamik

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Buch/Filmbesprechung
Publiziert am:

August 1, 2014

Mit:
Rudolf Steiner
Sri Aurobindo
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AUSGABE:
Ausgabe 03 / 2014
|
August 2014
Maschinen meditieren nicht
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Ein gemeinsamer Blick auf Rudolf Steiner und Sri Aurobindo

Eine Buchbesprechung von János Darvas

Sri Aurobindo und Rudolf Steiner – beide begleiten mich seit meinen Anfängen als spirituell Suchender vor mehr als vierzig Jahren. Die kommentierte Übersetzung der Bhagavad-Gita des indischen Denkers, die ich damals in Paris erwarb, steht noch reichlich zerschlissen in meinem Bücherschrank. Nicht weit davon: eine ebenfalls halb zerfallene Taschenbuchausgabe der „Philosophie der Freiheit“ des österreichischen Anthroposophen. Was mich zu beiden hinzog? Es waren die aus Meditation erwachsenden Realisationswege hin zu einem höheren Selbst in intimer Verbindung zu tätigem Engagement in der Welt. Aber auch die denkerische Kraft, die sich bei beiden auf der Höhe neuzeitlichen Philosophierens hält und die sich zugleich dezidiert mit den Naturwissenschaften, insbesondere mit der Evolutionstheorie, auseinandersetzt. Ihre Texte liefern mir bis heute reichlich Nahrung für intuitives Erkennen und Stoff für kritische Reflexion.


Nun hat Klaus J. Bracker in seinem Buch „Veda und lebendiger Logos. Anthroposophie und Integraler Yoga im Dialog“ diese Klassiker evolutionärer Spiritualität einer eingehenden vergleichenden Studie unterzogen. Der Autor hat sich eine stupende Textkenntnis angeeignet, die er aber nicht bloß distanziert-akademisch einsetzt. Seine Motive sind – bei aller Sachlichkeit und Sorge um objektive Darstellung – auf lebendige, spirituelle Fragen hin orientiert. Er vermeidet es dabei sorgsam, die Begriffe der Anthroposophie Steiners – von der er herkommt – dem Integralen Yoga Aurobindos überzustülpen. Seine Bemühung geht intensiv dahin, das andere Lehrgebäude, das von indischer Spiritualität und Tradition geprägt ist, in seiner genuinen Ausdrucksweise zu Wort kommen zu lassen. Die instruktive, spannend zu lesende Biographie des indischen Meisters führt zugleich in Grundbegriffe seines Denkens und Forschens ein. Eine Schlüsselstelle in Aurobindos früher Biografie ist die nach sehr kurzer Yoga-Schulung erlangte, anhaltende Realisation überweltlicher Leerheit – an der er dann nicht als an einem letztgültigen Evolutionsziel festhält, sondern von wo aus er sich in einen differenzierten Geistkosmos hineinarbeitet, der auf evolutive Metamorphosen hin angelegt ist. Das kulminiert in der späten Lebensmitte in einem Ereignis, dass er als „Herabkunft des Supramentalen“ charakterisiert. Man findet Verwandtes im Lebensgang Rudolf Steiners. Auf eine ausführliche Parallel-Vita Steiners hat der Autor verzichtet – er wirft aber im Laufe der nächsten Kapitel einige für das Verständnis Steinerscher Spiritualität relevante biografische Schlaglichter.
In beiden Werken sind Evolutionsgeschehen, Evolutionserfahrung und Evolutionsdenken miteinander verbunden. Steiner und Aurobindo haben dies gemeinsam, dass beide okkult-übersinnliches Schauen und mystisch-religiöse Intentionalität in klare Begriffsformen bringen, die zu Brücken hin zu diesen Erfahrungen werden können. Zentrale Kategorie ist in beiden Werken das wirkende, kosmisch-überkosmische „Wort“, das in der vedischen Tradition, an die Aurobindo anknüpft, als „Vak“ angesprochen wird, in der jüdisch-christlichen, der sich Rudolf Steiner verpflichtet weiß, als lebendiger „Logos“.

Sowohl Steiner wie auch Aurobindo entwickeln neue Ansätze für den Zugang zum Göttlichen, unter dem Gesichtspunkt einer evolvierenden Dynamik.


Auf dieser Grundlage entfaltet Bracker schließlich einen detaillierten Überblick über die Synthesen der beiden esoterisch forschenden Philosophen: Wie Evolution im Sinne neuzeitlicher Naturwissenschaft, die sich gleichsam „horizontal-zeitlich“ entfaltet, mit den „vertikal-überzeitlichen“ Anschauungen von Entwicklung in den älteren Initiationswissenschaften Indiens beziehungsweise Europas in Einklang gebracht werden kann. Daraus ergibt sich bewusstseinsgeschichtlich etwas radikal Neues über die an Sinnesbeobachtungen orientierten Naturwissenschaften und die an religiöse Offenbarungen gebundenen, älteren esoterischen Traditionen hinaus. Sowohl Steiner wie auch Aurobindo entwickeln deshalb neue Ansätze für den Zugang zum Göttlichen, freilich nicht im Sinne einer neuen Religion, sondern unter dem Gesichtspunkt einer evolvierenden Dynamik, in der Mensch, Kosmos und Gottheit – intim und differenziert zugleich – miteinander verschränkt sind.
Die hier skizzierten Gemeinsamkeiten werden erst wirklich spannend und aussagekräftig, wenn die Unterschiede in kräftigen Konturen vor den Blick treten. Sie ergeben sich aus den unterschiedlichen kulturellen Kontexten, Forschungsschwerpunkten und Persönlichkeiten. Aurobindo, aus einer aufgeklärten bürgerlichen indischen Familie stammend, erhält seine Ausbildung in Internaten und auf Universitäten in England, und wird durch angelsächsisch-westeuropäische Denkstile geprägt, die er später mit seinem indisch-vedantischen Erbe zusammenführt. Steiner, der hochbegabte Sohn eines freidenkerischen Bahnwärters der k.u.k. Monarchie, nimmt die mitteleuropäischen Denkformen des Deutschen Idealismus und den radikalen Individualismus Nietzsches und Stirners auf, und knüpft später in neuer Weise an die Grundlagen der christlichen Tradition an. Steiner übt seine okkulte Geistesforschung inmitten unablässiger äußerer Aktivitäten aus. Die Mitteilung seiner detaillierten Forschungsergebnisse nimmt einen sehr großen Teil des Werkes der zweiten Lebenshälfte ein, hauptsächlich in mündlicher Darstellung. Aurobindo lebt eine große Wegstrecke seiner Biographie weitgehend zurückgezogen, bleibt reservierter in der Mitteilung seiner intensiv betriebenen okkulten Forschung, sein publizistischer Schwerpunkt in Büchern, Übersetzungen, Textkommentaren und Dichtungen ist stärker auf Darstellungen der evolutiv erfassten Nicht-Dualität alles Seins zentriert.
Wenn ich mich frage, warum ich bis heute immer wieder auf diese beiden Lehrer, deren Sprachstil zum Teil veraltet ist, zurückgreife, dann ist meine Antwort: weil ich erlebe, dass sie unter den philosophischen Spiritualisten des 20. Jahrhunderts diejenigen sind, bei denen sich mir die Wirklichkeit konkreter, lebendiger Geistdimensionen schon in der Gedankenführung, und erst recht in der von ihnen angeregten spirituellen Praxis überzeugend erschließt.
Trotz guter Kenntnisse beider Werke habe ich durch Klaus J. Brackers Buch viel dazugelernt. Wer keine Vorkenntnisse mitbringt, aber anspruchsvolle Lektüre nicht scheut, wird es – davon bin ich überzeugt – ebenfalls mit großem Gewinn lesen können.

Author:
János Darvas
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