Ironie und Ernst

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Buch/Filmbesprechung
Publiziert am:

July 19, 2018

Mit:
Daniel Görtz
Émil Ejner Friis
Hanzi Freinacht
Linda Hutcheon
Robin van den Akker
Timotheus Vermeulen
Kategorien von Anfragen:
Tags
AUSGABE:
Ausgabe 19 / 2018:
|
July 2018
Stadt & Land
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Eine Rezension des Buches »The Listening Society« von Hanzi Freinacht

Es hat lange gedauert, und nun ist es doch ganz plötzlich passiert. Nach Jahren, in denen der Diskurs über das, was nach der Postmoderne, Multi kulti und Pluralismus passiert, von Ken Wilber und seiner Integralen Theorie bestimmt wurde, ist nun das Buch »The Listening Society« des Schweizer AlpenPhilosophen Hanzi Freinacht erschienen. Und es ist in der Tat wie ein frischer Wind, der vom Berge über dieses Land zieht, und neue Perspektiven mit sich bringt.

Hanzi Freinacht ist der Urheber der schweizerischen Schule des Metamodernismus. Meta modernismus, das war ursprünglich ein Versuch von Linda Hutcheon in den 90ern, neue Bewegungen in der Kunst »nach« der Postmoderne zu beschreiben. Um 2010 hoben Robin van den Akker und Timotheus Vermeulen die Diskussion mit ihren »Notes on Metamodernism« auf eine vollkommen neue Ebene. Hier ging es um eine Oszillation zwischen modernem Enthusiasmus und postmoderner Ironie, zwischen Hoffnung und Melancholie, zwischen Empathie und Apathie. Der reine Subjektivismus und Relativismus und die stete Norm- und Grenz überschreitung, für die sich die postmoderne Kunst und Philosophie einen Namen gemacht hatte, sollte und konnte nun durch eine positive Haltung erlöst werden.

Freinacht indes geht nun einen Schritt weiter und fügt dieser positiven Grundhaltung nicht nur ein neues Entwicklungsstufenmodell von Kultur und Geist hinzu, sondern auch eine explizite politische Theorie zur Wohlfahrt unserer Gesellschaft: »The Listening Society«.

Das wird Zeit. Wir leben in einer Zeit, in der die politischen Paradigmen, gewachsen aus den Ideen der Nationalstaaten, nicht mehr funktionieren. Die Probleme sind systemisch und transrational und nur durch eine neue Haltung zu lösen. So betont Freinacht in dem bislang nur auf Englisch verfügbaren Buch, dass bekannte Dualismen überwunden werden müssen: nicht nur von politisch links und rechts, sondern auch – indem hier eine Transpersonale Perspektive angewendet wird – von Individuum und Kollektiv. »Die Idee des Individuums«, so schreibt er, »erfüllt nicht länger ihre Funktion als eine effektive Einheit der Selbstorganisation der Gesellschaft. Als eine Lösung für die Probleme der Gesellschaft tut sie nicht länger ihre Arbeit.« Freinacht geht es ganz allgemein um die »Wohlfahrt einer Zukunft, die sowohl die emotionalen Bedürfnisse als auch das psychologische Wachstum aller Bürger berücksichtigt. Also eine Gesellschaft, in der jeder gesehen und gehört wird (anstatt manipuliert und überwacht zu werden)«

Philosophie und Politik und Performance fließen spielerisch zusammen.

Was den Metamodernismus hier besonders interessant macht – neben seiner politischen Konkretheit – ist die Idee, dass er eine »Ehe von extremer Ironie mit einer tiefen, unnachgiebigen Ernsthaftigkeit« ist. Das ist insofern spannend, als dass der ernsthaften politischen Intention die Figur des Philosophen Hanzi Freinacht selbst gegenübersteht: Denn Hanzi Freinacht ist keine reale Person. Sein Konterfei ist das eines Modells. Es handelt sich bei Hanzi Freinacht um ein philosophisches Kollektiv um die Philosophen Émil Ejner Friis und Daniel Görtz, und in der Tat ist es dieser künstlerische, performative Akt, eine Kunstperson zu erschaffen, die das Projekt »Metamoderna« so stimmig macht. Wir sind mehr als nur Individuen. Philosophie und Politik und Performance fließen spielerisch zusammen.

Man muss im Übrigen nicht mit allen politischen Ansätzen übereinstimmen, die dieses Buch bietet – aber mit welchem Buch stimmt man schon hundertprozentig überein? Es lädt aber zum Nachdenken ein, und es resoniert. Es ist zugänglich und in einem fast schon salopp-frechen Ton geschrieben, und wenn es eine Stärke in der metamodernen Haltung gibt, dann ist es die, dass man diskutieren kann, ohne sich zu streiten, dass man sich jenseits von rechts und links treffen kann, um Wahrheit und Lösungen zu finden. Postmoderner Diskurs, wie vom österreichischen Philosophen Robert Pfaller kürzlich gezeigt, ist ja stets auch ein Machtdiskurs von akademischen Funktionären, die jene abstrafen, die eine bestimmte Sprache nicht sprechen. Wir sehen das klar an Themen wie Gender, Identitätspolitik und politischer Korrektheit. Dialektik, ja Synthese war hier unmöglich, weil es gar nicht das Ziel war. Was der postmoderne Diskurs will, ist, so Pfaller, die Stärkung neo-liberaler Interessen. Dieser Kontext ist wichtig zu betonen, denn Metamodernismus öffnet ein neues Feld, nicht nur kommunikativ, sondern eben auch politisch, in dem wir tatsächlich hoffnungsvoll in die Zukunft streben können.

Vor allem aber, und dies muss abschließend betont werden: Man muss die Kühnheit dieses Entwurfs wertschätzen, sich an so einem Thema überhaupt zu versuchen und im Wesentlichen dabei erfolgreich zu sein. Dies passiert nicht alle Tage. Die Diskussion, was nach der Postmoderne kommt, und wie die Kulturkriege, in denen wir uns befinden, überwunden werden können, ist jedenfalls voll im Gange. »The Listening Society« ist damit auch ein notwendiger Gegenentwurf zu den nationalistischen und durchaus prämodernen Tendenzen, die wir zunehmend in unserer Gesellschaft beobachten können.

Author:
Tom Amarque
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