Mehr Muße bitte!

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Essay
Publiziert am:

July 21, 2016

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Ausgabe 11 / 2016:
|
July 2016
Lebendigkeit
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Die Kunst des Müßiggangs ist den Deutschen nicht so richtig in die Wiege gelegt worden. Genießen die Italiener das süße Nichtstun, so sieht man hierzulande im Müßiggang gleich aller Laster Anfang. Getreu dem Motto: Wer arbeitet, kommt auf keine dummen Gedanken. Auch wenn ich hier nicht nationale Stereotype auswalzen möchte, fällt mir in meiner Arbeit, die in deutschsprachigen Gebieten stattfindet, auf, dass viele Menschen in unseren Breiten wirklich kein besonders entspanntes Verhältnis zur Muße und dem Müßiggang haben. Tief im kollektiven Unterbewusstsein unserer Kultur hat sich eine Leistungsethik breitgemacht, und zwar seit Jahrhunderten.

Arbeit wird positiv bewertet, Muße und Nichtstun werden eher kritisch beargwöhnt. Viele Sprichwörter zum Thema Arbeit und Muße veranschaulichen diese Haltung recht deutlich. Dass diese Haltung der Arbeit gegenüber aber kein Naturgesetz ist, sondern eine gesellschaftliche Überzeugung, verdeutlicht der Blick in die Antike. Dort galt nämlich die Lohnarbeit als Übel, während die Muße als das Ziel des Lebens gesehen wurde. Wir hingegen haben das Tätigsein und die Arbeit zur Bestimmung des menschlichen Daseins erklärt. Wer nichts tut, hat keinen Wert, weil er nicht messbar produktiv ist.

Tief im kollektiven Unterbewusstsein unserer Kultur hat sich eine Leistungsethik breitgemacht.


Dies zeigt sich interessanterweise gerade auch in dem Bereich, der der Arbeit diametral entgegengesetzt zu sein scheint: in der Freizeit. Je mehr Events, Ereignisse, Aktionen wir darin unterbringen, desto positiver bewerten wir dies, denn wir haben unsere Zeit sinnvoll genutzt. Nichts erschreckt und verunsichert uns mehr als ungenutzte Zeit, wo es doch so viele unendliche Optionen im Leben gibt, die wir nützen müssen, so wir nicht als spießige Langweiler erscheinen wollen. »Mach etwas aus deinem Leben, designe dich und dein Leben, du hast alle Möglichkeiten«, so lautet das lifestylige Lebensmotto unserer Zeit.

Die große Frage ist nur: Gewinnen wir dadurch tatsächlich mehr Lebensqualität? Lässt sich Qualität aus der Quantität der Ereignisse herausdestillieren? Begegnen wir uns und dem Leben dadurch? Müssen wir tatsächlich unsere Lebenszeit perfekt ausnutzen, um eine qualitativ wertvolle Zeit zu erfahren? In der griechischen Antike galt die Devise: Qualitative Zeit ist Mußezeit, denn Muße ist die unverzweckte Zeit, in der nichts um einer anderen Sache willen getan werden muss. Wer Muße pflegt, so waren die alten Griechen überzeugt, kommt mit sich selbst und den Fragen des Lebens in Berührung.

Muße pflegen heißt eben nicht nur, nichts tun, sondern es kann auch die Zeit der geistigen Auseinandersetzung mit sich und dem Leben sein. Es kann auch die ungenutzte Zeit sein, die wir verstreichen lassen, weil wir uns befreit haben von der Vorstellung, dass wir stets etwas tun müssten. Bedauerlicherweise gelingt dies heute immer weniger Menschen. Wir halten es kaum mehr aus, einfach einmal unseren Gedanken nachzuhängen und bewusst tagzuträumen. Zwar vertagträumen wir sehr viel Zeit am Tag, aber das meistens nur, wenn wir in Routinen stecken, in denen die Gedanken abschweifen. Bewusst die Gedanken schweifen zu lassen, halten wir hingen für Zeitverschwendung. Doch gerade dann, wenn wir unseren Geist ungebunden herumstreifen lassen, kann sich ihm Neues erschließen. Es ist kein Zufall, dass viele große Ideen genau in diesem Zustand des offenen Geistes entstanden sind. Wer einmal erfahren hat, wie befreiend und lebendig dieser offene und unverzweckte Raum sein kann, der wird die Muße nicht mehr missen mögen.

Author:
Dr. Katharina Ceming
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