Social Prepper Manifest

Our Emotional Participation in the World
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Interview
Publiziert am:

February 2, 2021

Mit:
Sarah Wenzinger
Kategorien von Anfragen:
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AUSGABE:
Ausgabe 29 / 2021:
|
February 2021
Wissenschaft
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Für einen neuen Umgang mit Krisen

Sarah Wenzinger forscht als Künstlerin zu Vorstellungen einer Apokalypse, dem Narrativ der Angst und Strategien, mit welchen Menschen sich auf Katastrophen vorbereiten. Daraus hat sie gemeinsam mit anderen Künstlern ein Social Prepper Manifest formuliert und künstlerisch umgesetzt, in dem positive Utopien und soziale Formen des Umgangs mit Krisen erforscht werden.

evolve: Worum geht es dir mit dem Begriff der Social Prepper?

Sarah Wenzinger: Es geht mir um soziale Methoden, wie wir uns auf gegenwärtige und zukünftige Krisen vorbereiten können. Uns wird oft erzählt: Das Eis der Zivilisation ist dünn und wenn es bricht, kämpfen alle gegen alle. Vor allem in den USA gibt es immer mehr »Prepper«, Menschen, die sich Bunker bauen, Konserven horten und mit Waffen eindecken, um sich auf die Apokalypse vorzubereiten. Das ist extrem neoliberal gedacht, es geht immer um den Einzelnen, der sich gegen alle durchsetzt. Dabei ist die Geschichte voller Beispiele von Menschen, die sich gegenseitig unterstützt haben, als das Eis der Zivilisation gebrochen ist. Das vorherrschende Narrativ hat mit der Angst zu tun, dass es nicht für alle reicht, dass man der Stärkste sein muss, um durchzukommen. Das ist etwas, was im Zweifelsfall soziale Praktiken unmöglich macht.

e: Wie bist du das Thema angegangen?

SW: Das Projekt habe ich Ende 2018 gemeinsam mit der Medienkünstlerin Alla Popp begonnen. Damals haben wir zusammengewohnt, uns viel über dystopische Bilder in der Popkultur ausgetauscht und bemerkt, wie wenig konkrete Utopien in unserer Kultur erzählt werden. Seitdem beschäftigen wir uns intensiv mit dem Narrativ der Angst, sammeln soziale Praktiken und entwickeln Methoden. Wir haben uns gefragt, wie wir diese Geschichten anders erzählen können und dann Anfang 2019 auf einem Kunstfestival in Zürich aus einer Videoinstallation zu Ängsten in der Popkultur in einem Schreibworkshop das »Social Prepper Manifest« entwickelt.

Das Geschichtenschreiben ist eine hilfreiche Methode, die ich mit Schulklassen und Erwachsenen nutze, um über die Zukunft zu sprechen, ohne große ideologische Diskussionen führen zu müssen. Ende 2019 haben wir auf einer Künstlerresidenz das Projekt nochmal global erweitert und gemeinsam mit fünf Künstler*innen in Kigali (Ruanda) eine Ausstellung zur Krise und neuen Erzählung außerhalb Europas entwickelt. Zurzeit bereite ich eine Ausstellung mit dem Titel »Practicing Transformation« vor, während Alla mit einem Virtual-­Reality-Stück tourt, um Gespräche über Cyborgs, Dystopien und neue Utopien anzustoßen.

e: Was bedeutet künstlerische Forschung für dich?

SW: Ich arbeite grundsätzlich sehr multidisziplinär, wobei ich das Schreiben gerne zum Zusammenfügen nutze. Dabei beschäftigt mich, wie wir Geschichten erzählen und wie das unsere Wahrnehmung der Welt verändert. Wir haben das Narrativ der Angst sehr ausgiebig untersucht, uns Katastrophenfilme angesehen, Survival-Bücher gelesen und gefragt, welche Narrative dahinterstecken. Im Mainstream gibt es viele Geschichten von Zombie-Viren bis zu Alien-Angriffen, doch wenige über eine Veränderung der Welt zum Besseren. In 90 % der Katastrophenfilme kämpft sich der einzelne Mann durch und rettet seine Familie.

HEUTE SIND WIR IN EINER KRISE UND ES FÄLLT UNS SCHWER, DAS WESENTLICHE ZU ERKENNEN. 

Ich finde es künstlerisch interessant, was eine Gegenerzählung sein könnte und wie wir darüber ins Gespräch kommen. Dabei geht es mir weniger um Neuerzählungen als darum, den Blick zu verschieben: Wider­stand gegen dieses Narrativ und andere Arten des Krisenmanagements gibt es auf der ganzen Welt. Gruppen organisieren sich mit sozialeren Methoden und bereiten sich und die nächsten Generationen auf Krisen vor. Diese Gruppen verfügen über einen Schatz an Erfahrungen sozialer Vorbereitung. Beispielweise trainieren Menschen aus der schwarzen Community in den USA die Jugendlichen, sich im Kontakt mit der Polizei deeskalierend zu verhalten. Weil sie in einer realen Gefahr von Polizeigewalt leben, bleibt ihnen kaum anderes übrig, als soziale Interaktion zu proben, um sich zu schützen.

e: Können Katastrophenfilme nicht auch eine innere Vorbereitung auf kommende Umbrüche sein?

SW: Viele Bücher und Filme erzählen uns, dass in der Katastrophe alles ganz eindeutig wird. In einer komplexen Welt wünschen wir uns die Vereinfachung, die eine Krise verspricht. Heute sind wir in einer Krise und es fällt uns schwer, das Wesentliche zu erkennen. Mich führt das zu dem Schluss, dass diese Erzählungen von eindeutigen Katastrophen in einer komplexen Welt relativ nutzlos sind.

Daher finde ich es spannender, das Narra­tiv der Angst anzuschauen und zu fragen: Wie können wir Angst annehmen und in etwas Positives transformieren? Können wir uns auch in der Angst gemeinsam solidarisieren?

Damit haben Menschen aus Minderheiten und Unterdrückung sowie Künstler*innen Erfahrung. Sie haben schon lange trainiert, kreative Lösungen zu finden und sich zu organisieren. Diese sozialen Werkzeuge aus Widerstandsbewegungen sind den meisten Menschen noch fremd. Dabei können sie uns helfen, wenn wir uns in Krisen wiederfinden, sei es, dass unser Haus von einem Investor gekauft wurde und ich mit vielen Menschen eine gemeinsame Strategie entwickeln muss, sei es die fortschreitende Aneignung landwirtschaftlicher Flächen oder eine globale Katastrophe wie Corona oder der Klimawandel. Jedes Mal, wenn wir Isolation überwinden, Traumata und Ängste teilen und andere ermutigen, das auch zu tun, wenn wir uns über unsere soziale und ökonomische Blase hinweg mit anderen verbinden, dann trainieren wir Resilienz.

e: Du versuchst also, aus der Kunst heraus eine gesellschaftliche Veränderung anzustoßen?

SW: Ja, und auch wenn diese Entwicklung durch Corona zurückgeworfen wurde – da sich im digitalen Raum lautere Stimmen besser durchsetzen können, bin ich grundsätzlich sehr positiv gestimmt. Immer mehr Kuratoren und Künstler*innen knüpfen an die 60er- und 70er-Jahre und die Arbeit mit sozialen Praktiken an. Künstler*innen beschäftigen sich mit Communities, der Aufarbeitung von Widerstandsbewegungen, vergessenen Geschichten von Frauen und Minderheiten. Daraus entstehen Arbeiten und Ausstellungen, die viel leiser und komplexer sind. Und es gibt eine große Verschiebung in den globalen Süden hinein, wo es viel selbstverständlicher ist, sich in der Kunst mit gesellschaftlichen Bewegungen zu beschäftigen als in der individuell bezogenen Kunst des globalen Nordens.

Ich glaube, dieser interdisziplinäre Diskurs kann hilfreich sein für die gesellschaftliche Veränderung. Die Kunst ist einer der wenigen Orte, von denen aus wir über eine andere Lesbarkeit der Welt sprechen können, ohne auf eine rein ideologische Diskussion zurückgeworfen zu sein. Kunstwerke müssen sich nicht final entscheiden, für welche Welt sie stehen wollen. Als Künstler dürfen wir auch Fragen offenlassen.

Author:
Gerriet Schwen
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