Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
April 5, 2021
Wir waren jene, die wussten, aber nicht verstanden, voller Informationen, aber ohne Erkenntnis, randvoll mit Wissen, aber mager an Erfahrung. So gingen wir, von uns selbst nicht aufgehalten.« Mit diesem Zitat von Roger Willemsen beginnt der Film »Wer wir waren« von Marc Bauder. Die Frage, wohin wir als Gesellschaft gehen, ist das Grundmotiv des Dokumentarfilms, in dessen Zentrum Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen stehen, die sich auf den Weg gemacht haben, eine lebenswerte Zukunft zu gestalten.
Auch wir als Zuschauer unternehmen dabei weite Reisen. Zusammen mit dem Astronauten Alexander Gerst verlassen wir die Erde und fliegen in die Raumstation ISS, bewegen uns mit Gerst in der Schwerelosigkeit zwischen Unmengen an Kabeln und Geräten und werfen schließlich einen Blick durch die Fenster der Raumstation. Man sieht atemberaubende Bilder voller Schönheit von unserem blauen Planeten, Filmaufnahmen, die Gerst oder seine Kollegen während des Aufenthaltes in der Raumstation gemacht haben. Nach einer Weile im All taucht man dann als Zuschauer in eine andere blaue Welt hinab. Diesmal geht es zusammen mit der amerikanischen Ozeanografin und Umweltaktivistin Sylvia Earle hinab in die Tiefen der Weltmeere. Pionierhaft forscht Earle dort seit 65 Jahren. Sie ist fasziniert von der Artenvielfalt unter Wasser und von dem Leben, das es überall gibt, selbst in größten Tiefen, in die bisher nur wenige vorgedrungen sind. Man sieht wunderschöne Bilder von silbrigen Fischschwärmen vor blauem Hintergrund und Aufnahmen von vielen verschiedenen Lebewesen. Nach dem nächsten Filmschnitt befinden wir uns zusammen mit der österreichischen Philosophin Janina Loh in Fukushima. Loh trägt einen Schutzanzug mit Maske – ein Anblick, der in Zeiten von Corona ironischerweise schon Gewohnheit ist. Sie nimmt uns mit auf einen Spaziergang in das verstrahlte Gebiet. Überall findet man Spuren menschlichen Lebens – Orte, die Hals über Kopf verlassen wurden. »Das Ungeheuerlichste ist der Mensch, im Guten wie im Schlechten«, sagt Loh, schockiert von der Zerstörung, die wir Menschen in Fukushima und anderswo angerichtet haben, aber auch beeindruckt von unseren Möglichkeiten. Bauder hat die Idee für den Film von Roger Willemsen. Willemsen fragte sich, wie Menschen in 100 Jahren auf uns zurückblicken werden. »Ich hoffe, sie sagen, dass wir uns zumindest auf den Weg gemacht haben«, ist Lohs Antwort auf diese Frage.
WO DIE REISE HINGEHT, ERSCHLIESST SICH ERST IM GEHEN.
So sind auch die Protagonisten des Films ausgewählt. Alle haben sich auf ihre je eigene Weise auf den Weg gemacht. Und wir als Zuschauer gehen ein Stück des Weges mit ihnen. Das ist eine der großen Stärken des Films: Man schaut zu, aber man geht auch mit. Wo die Reise hingeht, erschließt sich mehr oder weniger erst im Gehen. Neben Gerst, Earle und Loh begegnen wir dem US-amerikanisch-deutschen Wirtschaftswissenschaftler und Gründer der Global Solutions Initiative Dennis Snower, dem senegalesischen Sozialwissenschaftler Felwine Sarr, der sich für eine afrikanische Perspektive auf die Weltprobleme einsetzt, und dem buddhistischen Mönch und Molekularbiologen Matthieu Ricard.
Wir bewegen uns in der von Loh beschriebenen ungeheuerlichen Zwiespältigkeit: Wir fliegen hoch hinaus in den Weltraum und tauchen tief in die Meere. Im All philosophiert Gerst über die Schönheit, die er von oben sieht, gleichzeitig mit der Zerstörung des Regenwaldes und Kriegsgeschehen unter Menschen. Im Blick von oben wirkt das Verhalten der Menschen unverständlich. Schließlich ist die Erde der einzige Ort, auf dem Menschen leben können.
Wir müssen als Menschheit kooperieren, dann haben wir eine Chance, so sieht es Snower auf einem Global Summit in Berlin. Felwine Sarr spricht an, dass Afrika sehr stark die Folgen des Klimawandels trägt, während nur vier Prozent des CO2-Ausstoßes von hier kommen. Mit seinen schwarzen Gesprächspartnern glaubt er, dass Afrika mit seinem ressourcenarmen Lebensstil dem Westen bald überlegen sein wird. Soll man die Westler einfach untergehen lassen? Das fragen sich die afrikanischen Gesprächspartner. Eine starke Szene, dieses Gespräch als westliche Zuschauerin belauschen zu können. Sarre und seine Gesprächspartner entscheiden sich schließlich dafür, dass wir als Menschheit das Problem gemeinsam lösen müssen. Machen wir uns auf den Weg.