Beatboxen und Buddhismus

Our Emotional Participation in the World
English Translation
0:00
0:00
Audio Test:
Interview
Published On:

July 12, 2021

Featuring:
Categories of Inquiry:
Tags
No items found.
Issue:
Ausgabe 31 / 2021:
|
July 2021
Wir alle leben in Mythen
Explore this Issue

Please become a member to access evolve Magazine articles.

Achtsamkeit in allem

Yogetsu Akasaka ist buddhistischer Mönch und Klangkünstler. In seiner Musik verbindet er Hip-Hop, Techno, Street Music und Spiritualität. Mithilfe einer Loopstation legt Yogetsu mehrere Ebenen seiner Stimme übereinander: meist Beatboxen, buddhistische Mantras und Obertongesang. So übersetzt er buddhistische Einsichten in eine zeitlose Sprache, die viele junge Menschen anspricht.

evolve: Wie bist du dazu gekommen, Beatboxen und Buddhismus zu verbinden?

Yogetsu Akasaka: Bis vor sechs Jahren habe ich die Welt als Beatboxer bereist. Dann begann ich ein mehrjähriges Training zum buddhistischen Mönch. Als ich ordiniert wurde, dachte ich, dass ich meine Karriere als Musiker aufgeben muss. Als Mönch, wusste ich, dass ich etwas mit meiner Musik zu tun habe. Eines Tages habe ich buddhistische Mantras mit Beatbox kombiniert. Das klang echt gut.

e: Wenn ich deine Musik höre, habe ich den Eindruck, dass du besondere Synergien zwischen Techno-Musik und Spiritualität gefunden hast. Es wirkt, als ob du meditierst, wenn du Musik machst.

YA: Ich improvisiere meine Musik. Dafür muss ich mich auf den Moment konzentrieren. Das ist auch der Kern des Zen-Buddhismus: Sei im Moment, was auch immer du tust! Meditation ist die Übung, im Moment zu sein. Beim Chanten geht es gar nicht anders, als im Moment zu sein. So wie du zum achtsamen Fegen mit dem Besen eins werden musst. Dann gibt es kein gut und schlecht mehr. Gut und schlecht entsteht, wenn wir bewerten und uns abtrennen. In der buddhistischen Sprache sagen wir, dass jedes Phänomen neutral ist. Durch unsere Bewertung, beispielsweise nicht putzen zu wollen, entsteht Leiden. Bewertung ist die Ursache allen Leidens. Das ist für mich ganz eng mit meiner Musik verbunden: Meine Musik entsteht spontan, wenn ich mich auf den Moment einlasse und in mich hineinfühle, wo ich Rhythmus und Klänge spüre. Dann lagere ich, ohne zu denken, verschiedenen Schichten meiner Musik übereinander – Stimme, Hand-Pan, Beatbox. Das ist für mich sehr verbunden mit dem Konzept im Zen-Buddhismus: »Ein Leben, eine Begegnung«. Das bedeutet, dass wir alles nur einmal erleben, wir haben keine Zeit zu verlieren, sondern können uns auf den Moment konzentrieren.

e: Bislang habe ich das buddhistische Konzept von Bewertung als Ursache allen Leidens als Empfehlung verstanden, nicht nach den Erfahrungen zu streben, von denen wir uns temporäres Wohlempfinden versprechen. In diesem Sinne habe ich den Zen-Buddhismus bislang nicht als Kultur des Feierns wahrgenommen. Deine Musik ist gleichzeitig feierlich und meditativ. Wie verbindest Du diese zwei Bereiche?

YA: Ja, manche Menschen tanzen zu meiner Musik. Aber Tanzen ist nicht nur Unterhaltung oder Ablenkung, Tanzen ist auch aktive Meditation. Wenn du deinen Körper intuitiv und ohne Bewertung bewegst, kannst du dich öffnen. Spontaner Tanz hat heilsames Potenzial und kann Menschen helfen, sich selber besser zu verstehen. Nicht zuletzt geht es auch im Buddhismus um pure Freude. Wenn du wirklich im Moment weilst, erfährst du etwas wie reine Existenz. Und Musik ist eine sehr kraftvolle Methode für Achtsamkeit, um im Moment zu sein und das Denken loszulassen.

e: Wenn du als Musiker bereits eine spirituelle Praxis der Achtsamkeit gefunden hast, was hat dich dazu bewegt, zusätzlich Mönch zu werden?

YA: Mein Vater ist Mönch geworden, als wir Kinder groß waren. Er wurde Priester in einem lokalen Tempel. In Japan ist es Tradition, dass die Söhne der Priester ihren Vätern folgen. Das ist zwar nicht verpflichtend, aber ich habe mich sehr für den Sinn von Leben und Tod interessiert. Da in Japan die örtlichen Priester die Beerdigungen leiten, dachte ich, das wäre eine großartige Möglichkeit mehr über Leben und Tod zu lernen.

Das Kloster, in dem ich ausgebildet wurde, habe ich vor drei Jahren verlassen. Momentan lebe ich ein sehr normales Leben als Freelancer in Tokio, indem ich Zeremonien bei Beerdigungen leite und Musik spiele. ­Zurzeit mache ich traditionelle Beerdigungen, wobei mich immer mehr Menschen bitten, dort meine Musik zu spielen. Langfristig ist vorgesehen, dass ich die Stelle meines Vaters übernehme, der in einem ländlichen Kloster Priester ist.

e: Was möchtest du mit deiner Musik bewirken?

YA: Ich möchte zum Wohlbefinden der Menschen beitragen. Meine Musik entsteht, indem ich meine Stimme aufnehme und mehrere Lagen übereinanderschichte: Rhythmus, Gesang, Harmonien und Obertöne. Und ich gehe davon aus, dass die menschliche Stimme und insbesondere der Obertongesang einfach guttut und die Heilung von Menschen unterstützt. Ich habe einfach nur kombiniert, was ich kann: Beatboxen und buddhistisches Chanting. Ich gehe davon aus, dass so viele Menschen mit meiner Musik resonieren, da sie aus Achtsamkeit entsteht, dem Kern des Buddhismus. Viele Menschen haben mir geschrieben, dass meine Musik sie bei Bewegung, beim Yoga, Studieren, Lernen, Lesen und Einschlafen unterstützt. Ich habe nicht erwartet, dass meine Musik so vielen Menschen hilft.

MEINE MUSIK ENTSTEHT SPONTAN, WENN ICH MICH AUF DEN MOMENT EINLASSE.

e: Welche Rolle spielen die buddhistischen Mantras für dich?

YA: Mantras haben eine Kraft in sich, daher wurden sie so lange überliefert. Wenn ich über mein Beatboxen ein Mantra chante, erhöht das die Intensität der Musik. Wobei ich kein Versprechen gebe, dass die Musik heilt. Sich zu stark auf etwas außerhalb ­deiner selbst zu stützen, wäre weit entfernt von buddhistischer Praxis. Im Kern des Buddhismus steht Meditation im Sinne von Beobachtung dessen, was stattfindet, um dich selbst zu erkennen.

e: Bedeutet Mönch sein für dich primär, anderen Menschen zu helfen?

YA: Das Ziel aller buddhistischen Praxis ist, das Leiden zu mindern. Als buddhistischer Mönch helfe ich Menschen, weniger zu leiden. Dafür könnte ich buddhistische Lehren verbreiten. Aber das können auch andere. Und vielleicht würdest du sogar bei Google eine bessere Erklärung finden als bei mir. Es hat viel mehr Kraft, etwas aus eigener Erfahrung zu vermitteln, als etwas Gelesenes wiederzugeben. Daher nutze ich meine Musik, um Menschen zu unterstützen.

e: Was sind deine Pläne für die Zukunft?

YA: Mein Ziel ist, eine freie alternative Schule für die nächste Generation aufzubauen. Hier in Japan hatten wir lange vor allem Klosterschulen. Die Tempelpriester als Universalgelehrte waren auch Lehrer. Diese Kultur will ich wieder aufgreifen. Jedoch mit einer Bildung, die körperbasierte Methoden mit zukunftsfähigen Technologien verbindet. Dafür möchte ich im Tempel meines Vaters auf dem Land einen Ort für eine bessere Zukunft schaffen.

Zen-Praxis ist nicht nur die Sitzmeditation, sondern auch alles, was wir im Alltag tun. Die Frage ist, ob wir bei allem, was wir tun, achtsam sein können. Oft denken wir an etwas anderes, wenn wir putzen, kochen, essen usw. Ich möchte diese Praxis in der Bildung anwenden. Das kann junge Menschen darin unterstützen, ihre Sensitivität und Spiritualität zu entwickeln. Dazu möchte ich körperliche Aktivitäten und kreatives Tun nutzen, um körperliche und mentale Gesundheit zu fördern, wie beispielsweise Meditation, Yoga, Kältetherapie, Landwirtschaft, Putzen, Tanzen, Musik, Kunst, Kochen usw. Wir müssen in unserer Zeit bewusster dafür sorgen, dass wir auf körperlicher, mentaler und spiritueller Ebene ein ausgewogenes Leben führen. Dabei möchte ich auch neue Technologien nutzen, die eine Brücke sein können zwischen alten Traditionen und der Zukunft. So wie ich es auch in meiner Musik praktiziere.

https://www.youtube.com/watch?v=nvIGCMhjkvw

Author:
Gerriet Schwen
Share this article: