Erfahrungen zwischen Europa und Afrika
Was macht reich? Maaianne Knuth wuchs in zwei Kulturen auf – in Dänemark und Simbabwe. Zwei Kulturen – zwei Erfahrungen des Reichtums. Heute leitet sie in Simbabwe das Kufunda Learning Village, in dem sie traditionelles Wissen mit moderner Bildung verbindet.
evolve: Sie leben in Simbabwe, woher ein Teil Ihrer Familie stammt, aber wuchsen auch in Dänemark auf, einem wohlhabenden Land mit einer ausgeprägten postmodernen Kultur. Man könnte sagen, Simbabwe steht für die globale Armut und Dänemark für Reichtum, doch Ihre Erfahrung scheint viel differenzierter zu sein?
Maaianne Knuth: Ja, lassen Sie mich einfach mit einem Beispiel beginnen: Als ich mit 12 Jahren Dänemark verließ, kam ich zur Weihnachtszeit in Simbabwe an. Mein dänischer Vater war noch zurückgeblieben und damit beschäftigt, unsere Sachen einzupacken, weil wir nach Simbabwe zurückkehren wollten, woher meine Mutter stammt. Ich erlebte also mein erstes Weihnachten in Simbabwe. Wir fuhren aufs Land, wo meine Großeltern wohnten. Für mich war es ein Gefühl, am anderen Ende der Welt zu sein, und dazu gehörte auch eine andere Art, Weihnachten zu feiern. Meine dänischen Weihnachten waren wie viele Weihnachten in Europa: mit vielen Geschenken. Ich hatte immer große Erwartungen an das, was ich bekommen würde. In Simbabwe kauften wir Zucker und Mehl und einige Bedarfsgüter aus der Stadt und brachten sie meinen Großeltern als Geschenk mit. Sie schlachteten eine Ziege für uns, die ganze Familie kam und ich traf das erste Mal meine Onkel und Tanten. Es gab weder Elektrizität noch fließendes Wasser. Und wir lebten in Lehmhütten. Für mich war das ein extremer Kulturschock und langsam dämmerte es mir, dass ich von meinen Großeltern keine Geschenke bekommen würde.
Aber es war eine so reiche Erfahrung. So viele aus unserer Familie kamen zusammen. Ich schlief auf einer Matratze auf dem Boden in einer Hütte mit anderen Kindern. Viele saßen nachts noch um das Feuer versammelt. Man erzählte Geschichten und sang Lieder. Anfangs empfand ich ein bisschen Verachtung, denn die Toilette war nicht sehr angenehm, aber als wir wieder nach Hause fuhren, war ich sehr glücklich.
Im Laufe der Jahre lernte ich meine Großmutter besser kennen; sie war der Mittelpunkt der Familie und strahlte Lebenskraft, Vitalität, Resilienz, Kraft und Festigkeit aus. Natürlich traf ich sie nur in den Ferien und das Leben war nicht leicht für sie und ihre Familie. Sie stand sehr früh auf, um jeden Tag die Kühe zu melken, auf den Feldern zu arbeiten und die Kinder zu versorgen. Ich weiß, dass es in Simbabwe sehr viele Probleme im gesellschaftlichen Gefüge gibt, aber meine Erfahrung mit meiner Großmutter war geprägt von Gesundheit, Stärke und Belastbarkeit. Der Reichtum meiner Großmutter war ein Reichtum an Beziehungen.
Mit 16 zog ich zurück nach Dänemark, um dort eine weiterführende Schule zu besuchen und danach zu studieren. Die Weihnachtsferien verbrachte ich mit meiner dänischen Großmutter. Sie lebte von meinem Großvater getrennt, aber Weihnachten feierte er mit uns. Ich saß am Tisch zusammen mit diesen zwei alten Leuten, die gemeinsam ihr Weihnachtsessen aßen. Es wurde viel geschwiegen und beide schienen einsam zu sein. Es fühlte sich nach Armut an, allerdings einer Armut der Seele, des Herzens und der Beziehung.
Als ich begann, Wirtschaft zu studieren und einen Kurs über Entwicklungsökonomie belegte, hörte ich viel über den globalen Norden und Süden und wie man Armut und Reichtum, Fortschritt und Entwicklung messen kann. Da kamen mir viele Fragen. Das war eine derart zweidimensionale Perspektive, die weit entfernt von meiner eigenen Erfahrung war. Wenn das die einzige Messkategorie ist, dann sehen wir vieles nicht, was essenziell ist.
Der innere Wert
e: Ich möchte Armut nicht romantisieren. Die Armut des globalen Südens ist real und insbesondere in Simbabwe ein ernstes Problem. Das ist ein Teil der Wahrheit. Aber mich hat berührt, dass Sie verschiedene Formen von Reichtum beschreiben. Reichtum bezieht sich normalerweise auf Geld, und ich finde es sehr interessant, wie Sie den Reichtum an Beziehung erlebt haben.
MK: Das war die eindrucksvollste Lektion, die ich von meinen beiden Großmüttern mitbekommen habe: der Reichtum der Beziehung. Heute, nachdem ich viele Jahre in Simbabwe gelebt und gearbeitet habe, denke ich, dass es noch einen zusätzlichen Aspekt gibt: Reichtum als unsere Fähigkeit, das herzustellen, was wir als eine Familie oder eine Gemeinschaft benötigen. Dieser Reichtum ist in diesem Teil der Welt gerade in Gefahr, weil die Menschen immer mehr glauben: Unsere Tradition, unsere Kultur, unsere Werte sind weniger wertvoll als die Tradition, Kultur und Werte der westlichen Länder.
WIR SIND IM WESTEN MIT DER INDIVIDUALITÄT ZU WEIT GEGANGEN. IN AFRIKA MACHEN WIR MÖGLICHERWEISE ZU VIEL FÜR DIE GEMEINSCHAFT.
In Simbabwe sind von den Kommunen, mit denen wir zusammenarbeiten, diejenigen die stärksten und wohlhabendsten, die eine Balance gefunden haben zwischen den neuen Lerninhalten und den traditionellen Methoden der Landwirtschaft, der gegenseitigen Fürsorge und Unterstützung. Sie verbinden die schulische Bildung mit der Vermittlung des Wissens, wer wir sind und was wir als Kultur hervorbringen. Wenn ich das Vertrauen in das, was ich bin und den Wert, den ich in mir trage, verliere, werde ich arm. Ich frage mich, ob der Eindruck, dass meine afrikanische Großmutter eine wohlhabende Frau war, daher kommt, dass sie nie eine dieser Geschichten glaubte, die ihr suggerierten, sie wäre weniger wert.
Dem Ganzen dienen
e: Mit Ihrem eigenen Bildungsprojekt Kufunda Village nutzen sie auch eine Kombination von traditioneller afrikanischer und moderner westlicher Bildung. Wie verstehen Sie Reichtum in einer Gemeinschaft wie der Ihren?
MK: Da fallen mir zwei Dinge ein. Ein Bezug kommt aus meiner dänischen Herkunft. Nikolai Grundtvig war ein dänischer Pädagoge im 19. Jahrhundert; zu seiner Zeit sprach man in Kopenhagen Latein. Und er sagte: »Wir sind dänisch, warum versuchen wir, Latein zu sprechen?« Er gründete eine Volkshochschulbewegung, die mit den Kindern der dänischen Bauern arbeitete. Während des Winters, wenn sie auf den Höfen nicht so viel Arbeit hatten, wurden die Kinder in dänischer Geschichte und Tradition unterrichtet. Er versuchte, etwas in den Kindern anzustoßen. Sein Bild war das einer Uhr, die, wenn sie einmal aufgezogen war, niemals mehr aufgezogen werden musste. Er erweckte etwas in ihrem Wesen, damit sie stolz auf ihre Herkunft waren und gleichzeitig die Fähigkeit besaßen, sich weiterzuentwickeln. Das ist auch eine Form von Reichtum: in sich selbst zu ruhen, stolz auf sich selbst und die eigene Herkunft zu sein und gleichzeitig der Inspiration und den eigenen Entwicklungsimpulsen folgen zu können. Deshalb begannen wir zusätzlich zu unserer Arbeit mit Jugendlichen, Frauen und gemeinschaftlichen Organisationen mit unserer eigenen Schule. Eine unserer größten Ressourcen ist die Vorstellungskraft und Inspiration der Kinder. Sie kann in unserer modernen Welt so leicht abgetötet werden; deshalb wollen wir sie nähren und erhalten.
Das gilt nicht nur für Kinder, es geht darum, dass in jedem Menschen ein Potenzial geweckt wird, mit dem er dem Ganzen dienen kann. Auch das ist für mich Reichtum: ein Mensch, der sich entschlossen hat, der Gemeinschaft zu dienen. Wenn wir das gemeinsam tun, kann daraus eine Symphonie entstehen. Das versuchen wir in Kufunda. Es ist nicht leicht; es bedeutet, ständig zu lernen, immer neu inspiriert zu sein, sich um etwas bemühen und es zum Ausdruck zu bringen. Das ist der Reichtum, der aus dem menschlichen Geist entstehen kann. Darauf können wir vertrauen, wir können darauf hören und es unterstützen.
Der zweite Aspekt ist sehr grundlegend: Während wir das tun, müssen wir essen, wir brauchen einen Platz zum Schlafen, wir haben grundlegende materielle Bedürfnisse. Sie sollten aus unseren menschlichen Aktivitäten heraus entstehen. Durch meine Familie aus Simbabwe und bei meiner Arbeit in Kufunda lernte ich viel über die eingeschränkte Sichtweise bezüglich Reichtum, wenn ich nur an mein Bankkonto oder sogar an meine Bildung denke. Letzten Endes geht es darum, wer ich bin. Ich werde oft demütig, wenn ich sehe, wie Menschen, die so viel weniger haben als ich, bereit sind zu geben, auch wenn es sich nicht um Materielles handelt, sondern um ihre Zeit, ihre Energie und ihre Aufmerksamkeit. Ich möchte das auch nicht romantisieren, denn manchmal gibt jemand alles von sich an die Gemeinschaft und sollte mehr auf sich selbst achten. Es geht um die Balance. Wir sind im Westen mit der Individualität zu weit gegangen, und hier in Afrika machen wir möglicherweise zu viel für die Gemeinschaft. Meine andauernde Frage hier in Kufunda ist: Können wir dieses Gemeinschaftsgefühl aufrechterhalten, während jeder von uns seine einzigartige Gabe und seinen Beitrag zum Ausdruck bringt?