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Seit einiger Zeit gestaltet Pierre Lischke seinen Lebensunterhalt durch ein beziehungsvolles Schenkeinkommen. Wir sprachen mit ihm über einen befreiten Umgang mit Geld, die Pflege von Beziehungen und eine neue Wertschätzung von Heiligkeit.
evolve: Kannst du kurz deinen Werdegang beschreiben, vor allem im Hinblick auf deinen unkonventionellen Umgang mit Beruf, Arbeit und Geldverdienen?
Pierre Lischke: Nach meinem Abi hatte ich die Idee, eine Schule zu gründen und bin mit dieser Motivation an die Uni gegangen, habe aber schnell gemerkt, dass weder die Leute noch die Inhalte da sind, die ich für mein Vorhaben brauche. Zusammen mit anderen Studenten mit einer ähnlichen Idee haben wir überlegt, was wir tun können. Daraus ist eine zweiwöchige Reise durch Deutschland entstanden, auf der wir uns gute Schulen angesehen haben. Da waren genau die Inhalte und die Leute, die ich gesucht hatte, und das brachte mir viel mehr als die Uni. Wir haben auch einen Weg gefunden, das, was wir auf dieser Reise erlebt hatten, in ein Uni-Format zu bringen, sodass man es sich für das Studium anrechnen lassen kann. Es gibt dieses Projekt »Lernreise« inzwischen in 15 Städten Deutschlands.
Parallel dazu habe ich mich mit Persönlichkeitsentwicklung befasst und angefangen, selbst Workshops zu geben. Da bin ich zum ersten Mal auf das Thema »Geldverdienen« gestoßen. Ich habe gemerkt, dass ich die Vorstellung hatte: Man muss mir Geld geben, damit ich tue, was ich tue, sonst würde ich es nicht machen, und ich habe beschlossen, nur noch das zu tun, was mir Spaß macht. So entstand die Idee des Schenkeinkommens, bei dem ich alles verschenke, meine Workshops, meine Coachings, meine Vorträge, was immer ich tue, und Leute, die direkt davon profitieren oder die mich sympathisch finden, mir Geld schenken können.
Die ersten Monate waren sehr spannend, doch irgendwann habe ich gemerkt, dass ich damit nicht meine Miete decken kann. Ich habe das Projekt aber nicht als gescheitert betrachtet, sondern es so gesehen, dass ich anscheinend meine Miete im Moment nicht zahlen soll, also eben keine feste Wohnung haben soll. Und da ich in den letzten Jahren viele Leute kennengelernt hatte, dachte ich, ich besuche Konferenzen, Festivals und Städte, verschenke dort Workshops und lass mir dafür Orte schenken, an denen ich schlafen kann. Das habe ich etwa fünf Monate lang gemacht und dabei gemerkt, dass mich das zunehmend anstrengt. Ich bin wieder nach Berlin zurück und habe einen Millionär kontaktiert, den ich auf meiner Reise kennengelernt hatte und der inzwischen ein Freund geworden war. Er hatte angeboten, mir Geld zu geben und ich fragte ihn jetzt, ob er sich vorstellen kann, mir ein Grundeinkommen zu schenken. Und so habe ich bis September ein Grundeinkommen oder besser: ein beziehungsvolles Schenkeinkommen, wie ich es gern nenne.
e: Wie siehst du dein Experiment des Schenkeinkommens im Kontext unserer kapitalistischen Wirtschaft?
PL: Ich empfinde das prominente Beispiel des bedingungslosen Grundeinkommens als trojanisches Pferd, das von außen vor allem nach einer sinnvollen und irgendwie simplen Idee klingt, im Inneren aber eine massive Veränderung von kollektiven Werten und Glaubenssätzen mit sich bringt: die Entkopplung des Selbstwertes von Leistung, Tätigkeitsfelder jenseits bisher entlohnter Jobprofile, sich selbst und andere als beschenkenswert und vertrauenswürdig empfinden. Da stecken richtige große gesellschaftliche Wunden darunter, deswegen braucht diese Veränderung Zeit. Mit meinem Schenkeinkommen bin ich immer wieder an diese kollektiven Glaubenssätze und Wunden gestoßen, was sich dann z. B. in krassen Vorwürfen des Schmarotzens geäußert hat. Ich sehe das Schenkeinkommen als einen von vielen wichtigen Versuchen, neue Formen zu finden und dieses Gebiet auszuloten, wo Stück für Stück alte Wunden aufgebrochen und transformiert werden können. Es ist eher ein Fragezeichen als eine Antwort.
e: Was ist das Anliegen deiner Workshops, Coachings oder der kreativen Arbeit in Gedichten, Rap-Songs und Fotografie?
PL: Ich habe den Eindruck, dass ich in den letzten zwei Jahren eine Art Initiation erlebt habe. Ich habe den Pierre, der ich war, vollkommen dekonstruiert, um Platz zu schaffen, und es gab eine lange Phase, in der ich keine Ahnung hatte, ob ich mich jemals wieder zusammenflicke. Jetzt komme ich langsam zu dem Pierre, der ich geworden bin. Das ist ein individueller Prozess. Dass andere Menschen dadurch inspiriert werden, ist eine Art Nebenprodukt.
In der Kunst fühle ich mich als ein Vehikel, damit die Werke in die Welt kommen. Ich stelle mich sozusagen zur Verfügung, dass z. B. bestimmte Gedichte geschrieben werden, also die Finger auf der Tastatur sind, wenn ein Gefühl lebendig genug ist, um es in Worte zu fassen. Es liegt nicht in meiner Hand, was ich in die Welt bringe, es ist eher so, dass ich mich in etwas einklinke und zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin.
Mit meinem Schenkeinkommen bin ich immer wieder an kollektive Glaubenssätze und Wunden gestoßen.
e: Was empfindest du als die Schwierigkeiten und die Möglichkeiten deiner Generation?
PL: Ich habe das Gefühl, dass der Bruch immer deutlicher wird, zwischen dem Zustand, in dem wir politisch, ökologisch, wirtschaftlich etc. sind, und der Geschichte, die wir uns davon erzählen, wie ein gutes Leben sein könnte. Da ist eine tiefe Diskrepanz zwischen unseren Werten, dem Schmerz, der um uns ist, und dem Banalen, das uns als Lebensentwurf angeboten wird, z.B. dass wir alle die gleiche Zeit brauchen sollen, um bestimmtes Wissen zu erwerben, oder dass wir 40 Stunden pro Woche mit einer bestimmten Tätigkeit füllen sollen.
Ich spüre in meinem Umfeld einen starken Wunsch nach authentischer Kommunikation, über Scham zu reden, über Ängste, und viel von dem zu integrieren, was andere Generationen vielleicht noch unterdrückt haben. Da in eine Weichheit zu kommen und sich dabei gegenseitig zu unterstützen.
Es geht auch um die Verbindung zwischen Spiritualität und Aktivismus. Der vermummte Steinwerfer bei einer Demonstration löst in uns Unbehagen aus, auch wenn wir noch keine besseren Strategien kennen, denn wir können doch nicht auf eine Art handeln, die wir anderen vorwerfen. Da gilt es, einen Weg zu finden, gerade mit Spiritualität.
e: Was bedeutet Spiritualität für dich?
PL: Eine Komponente ist die Lebendigkeit in vielen Dingen, die wir nicht als lebendig sehen würden, z. B. Gedichte oder auch Workshops können so etwas sein. Oder den Planeten als lebendigen Organismus verstehen. Dann die Ebene der Synchronizitäten, also zu merken, da gibt es eine bestimmte Energie, die mit mir kommuniziert. Ich mache gerade eine Ausbildung in naturgebundener Ritualarbeit, bei der wir die Elemente ansprechen, als wären sie echte Wesen, also das Wasser oder die Erde, und eine gewisse Heiligkeit wieder zurückholen.
Heiligkeit entsteht, wenn etwas da ist, das größer ist oder außerhalb der Leute, die gerade im Raum sind – seien es jetzt die Elemente oder sei es das Ritual selber – und das den Raum mitgestaltet. Also etwas, das ich nicht vorhersehen kann. Es gibt etwas, das uns leitet und das wir nicht intellektuell planen können, und da kommt für mich Heiligkeit hinein. Es ist eine Art Magie, die körperlich spürbar ist, aber die man nicht machen oder beabsichtigen kann, man kann sich nur zur Verfügung stellen und einladen. Das können auch ganz kleine Dinge sein, wenn z. B. jemand einen neuen Job anfängt oder aus dem Job aussteigt: diese Momente nicht zu verpassen. Denn ich glaube, dass da ganz viel Verbindung zum Schönen in der Welt entsteht, wenn wir diese Momente erleben – und nicht nur überleben.
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Pamela von Sabljar ist Gruppenmoderatorin und berät Organisationen und Führende bei Veränderungsprozessen. Dabei arbeitet sie auch mit dem Feld, das zwischen den Beteiligten entsteht. Wir erforschten mit ihr, wie sich aus der Wahrnehmung dieses Zwischenraums gemeinsame Prozesse anders gestalten lassen.