October 24, 2022
Unsere Demokratien stecken in einer Krise. In vielen Ländern gewinnen autoritäre, populistische und rechtsorientierte Regime an politischer Macht und gesellschaftlicher Zustimmung, in anderen Ländern ist zunächst nur die wachsende Distanz zwischen Bürgern und der Politik spürbar. Parallel fördern soziale Medien die gesellschaftliche Polarisierung und die Erosion unseres zwischenmenschlichen Miteinanders.
Über viele Jahre hat eine schrittweise und teils unbemerkte Abkopplung zwischen demokratischen Systemen und den Bedürfnissen der breiten Bevölkerung stattgefunden. »Unsere liberalen Demokratien stehen vor zwei großen Herausforderungen: einem zunehmenden Verlust ihrer Fähigkeit, Probleme zu lösen, und einer wachsenden Kluft zwischen den politischen Eliten und der Bevölkerung«, bringen die Politikwissenschaftlerin Patrizia Nanz, der Sozialphilosoph Charles Taylor und die Beraterin Madeleine Beaubien Taylor in ihrem Buch »Das wird unsere Stadt« die Situation auf den Punkt.
Diese Diagnose veranlasst sie dazu, prägnante und greifbare Lösungswege aus der demokratischen Krise zu entwerfen. Im Zentrum der Erneuerung unserer Demokratien stehen in ihren Schilderungen lokale Gemeinschaften, Bürgerbeteiligungen und dialogische Prozesse.
Anhand von realen Projekten und Modellversuchen machen die Autoren sichtbar, dass sie keine erträumte Zukunftsvision ausmalen wollen. Sie beziehen sich auf in vielen Regionen der Welt praktizierte reale Veränderungen, die sie mit ihrem klaren und angenehm kurzen und einfach geschriebenen Buch für die Allgemeinheit zugänglich machen möchten.
So beschreiben sie den Fall der österreichischen Gemeinde Langenegg, die mit der starken Abwanderung junger Leute und einer damit verbundenen Verödung des Ortskerns und dessen Geschäften zu kämpfen hatte. Nachdem die vom Bürgermeister beauftragten Studien und Strategien zur Eindämmung der Landflucht zu keiner maßgeblichen Veränderung geführt hatten, gelang es in einem einfachen Experimentier-Verfahren, die Bürgerinnen dazu zu befähigen, die Umgestaltung ihres Dorfes selbst in die Hand zu nehmen und damit maßgebliche Erfolge zu erzielen.
¬ IM ZENTRUM DER ERNEUERUNG UNSERER DEMOKRATIEN STEHEN LOKALE GEMEINSCHAFTEN, BÜRGERBETEILIGUNGEN UND DIALOGISCHE PROZESSE. ¬
Mit der Region South Wood County in Wisconsin, der Stadt San Diego in Kalifornien und der Stadt Lawrence in Massachusetts stellen die Autoren weitere Projekte vor, die von Bürgern teils mit der Unterstützung von Stiftungen selbstständig initiiert wurden. Ergänzt werden diese Initiativen durch Beispiele dialogorientierter Formen der Partizipation, die von Regierungen in Irland, British Columbia, Dänemark und Indien erprobt werden.
So entsteht ein globales Netz von Leuchtturmprojekten, die nicht nur für Hoffnung sorgen, sondern mithilfe von konkreten Ergebnissen und Erfolgsfaktoren auch das Potenzial enthalten, bisherige Skeptiker von Bürgerbeteiligungen zu überzeugen. Für bereits überzeugte Leser bietet das Buch eine detaillierte Anleitung zur erfolgreichen Initiierung, Durchführung und Implementierung von dialogorientierten Bürgerverfahren: über Grundvoraussetzungen bis hin zur Skizzierung verschiedener Projektphasen und deren Teilzielen.
Die Autoren laden uns als Bürger dazu ein, selbst dafür Sorge zu tragen, öffentliche Räume zur demokratischen Selbstbestimmung zu schaffen, ohne dabei die gesellschaftlich-strukturellen Anpassungen zu vergessen, die für solch ein Handeln notwendig und förderlich sind: eine Aufweichung der strikten Trennung von bezahlter und ehrenamtlicher Arbeit, ein garantiertes Mindesteinkommen, grundlegende Veränderungen in der Haushaltsplanung. Oder etwas weiter gefasst: die Identifikation »neuer Wege zur Ermutigung lokaler Gemeinschaften, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen«.
Nur gemeinsam können Bürger und Politiker langfristig fruchtbare Lösungen für die Herausforderungen unseres Landes und unserer Demokratie finden. Wie genau dieses gemeinsame Agieren gelingen kann, beschreibt dieses Buch auf abwechslungsreiche und inspirierende Weise.
