Der Kosmos ein Wunschkonzert?

Our Emotional Participation in the World
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Kolumne
Published On:

July 18, 2022

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Ausgabe 35 / 2022
|
July 2022
Das Heilige
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Manifestieren« ist derzeit einer der größten Selbsthilfetrends. Roxie Nafousis »Manifest: 7 Steps to Living Your Best Life« (2022) wurde sofort zu einem internationalen Bestseller. Es steht seit Wochen auf der Bestsellerliste der »Sunday Times« und zahlreiche Prominente wurden mit einem Exemplar in der Hand gesehen. Doch ­Nafousis’ Buch steht in einer viel älteren Tradition von Selbsthilfebüchern, die die Idee des »Gesetzes der Anziehung« propagieren. Die bekanntesten Beispiele für das Gesetz der Anziehung in der Selbsthilfe sind Rhonda Byrnes »The Secret« (2006) und Napoleon Hills »Think and Grow Rich« (1937). Sie argumentieren, dass unsere Gedanken eine Frequenz haben und bestimmen, was wir im Leben anziehen – schlechte oder gute Dinge, Armut oder Reichtum, Krankheit oder Gesundheit, missbräuchliche oder nährende Beziehungen. Wenn wir nur fest genug an Geld und andere Dinge denken, die wir anziehen wollen, wird das Universum sie uns schenken. Obwohl es verständlich ist, dass sich viele von uns zu solchen Büchern hingezogen fühlen, glaube ich, dass das Manifestieren ein gefährlicher Trend ist.

Es gibt Belege dafür, dass optimistisches Denken besser für uns ist als pessimistisches Denken und dass positive Denkweisen und Einstellungen in gewissem Maße zu mehr Erfolg, weniger Gesundheits- und Beziehungsproblemen und allgemein zu besseren Ergebnissen im Leben führen können. Auch die Vorteile der Visualisierung positiver Ziele und des Erreichens der gewünschten Ergebnisse in unserem Geist sind umfassend erforscht worden. Die Befürworter des Manifestierens stellen jedoch viel extremere Behauptungen auf und vertreten eine Art »Geist-über-Materie«-Doktrin. Oft stützen sich ihre Arbeiten auf zweifelhafte esoterische Überzeugungen, die angeblich auf Prinzipien der Quantenphysik beruhen (obwohl für diese Behauptungen nie ein solider Beweis erbracht wurde).

Viele von uns mögen diese schwülstigen Versprechungen einer mühelosen Transformation verdächtig finden. Aber was noch schlimmer ist: Die Lehren von Byrne und ihren Kollegen beschuldigen die Opfer. Letztlich machen sie diejenigen, die Unglück erleiden, persönlich für ihr Leid verantwortlich. Dazu gehören Krebs, Vergewaltigung, Autounfälle und Gewalttaten. Darüber hinaus lassen sie die Realität der sozioökonomischen Strukturen, in die wir eingebettet sind, völlig außer Acht.

¬ JE MEHR WIR DAS GEFÜHL HABEN, DIE KONTROLLE ZU VERLIEREN, DESTO MEHR WÜNSCHEN WIR SIE UNS. ¬

Warum sind solche Bücher für so viele von uns attraktiv? Natürlich ist es schön, wenn man uns sagt, dass wir alle reich werden können, ohne einen Finger krumm zu machen, und dass Schecks über 10 Millionen Dollar in unserem Briefkasten landen, wenn wir nur fest genug an Geld denken. Bücher, die suggerieren, dass man sich selbst verbessern muss, indem man sich anstrengt, sich müht und Zeit einsetzt, propagieren eine Botschaft, die weniger attraktiv, aber wohl reifer ist.

Wichtig ist auch unser uraltes Streben nach Ermächtigung. Diese Bücher nähren unsere Sehnsucht nach Allmacht und nach der Beherrschung der materiellen Welt. Und dann ist da noch die eskapistische Funktion. Diese Bücher ermöglichen es uns, von einem anderen Leben zu träumen, in dem wir erfolgreich, reich und begehrenswert sind und uns in der Gesellschaft immer wohl fühlen. Aufschlussreich sind auch die Zeiten, in denen diese Bücher populär wurden: Das Buch von Hill erschien während der Großen Depression, das von ­Byrne kurz vor der Finanzkrise. Der jüngste Manifestationswahn findet gerade jetzt statt – in einem Jahr, das von den anhaltenden Auswirkungen der ­COVID-Pandemie, wachsender wirtschaftlicher und geopolitischer Unsicherheit, einer harten Lebenskostenkrise und den Schrecken des Ukraine-Krieges geprägt ist. Je mehr wir das Gefühl haben, die Kontrolle zu verlieren, desto mehr wünschen wir sie uns.

Die Lektüre dieser Art von Büchern mag uns zwar vorübergehend Hoffnung geben, aber die Realität wird uns unweigerlich einholen. Wenn der versprochene Reichtum ausbleibt, werden wir uns am Ende schlechter und nicht besser fühlen. Nicht ein einziges unserer Probleme wird gelöst worden sein. Wir werden nichts Neues über uns selbst gelernt und keine nützlichen Erkenntnisse gewonnen haben, die uns helfen könnten, uns wirklich zu verbessern. Wenn wir unsere psychologische Formbarkeit und unsere individuelle Handlungsfähigkeit überschätzen und die wirtschaftlichen und sozialen Strukturen, in die wir eingebettet sind, unterschätzen, dann hat das einen Preis. Wenn die Dinge nicht so laufen, wie wir es uns erhoffen, fühlen wir uns am Ende schuldig und schämen uns.

Author:
Anna Katharina Schaffner
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