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Warum unsere Bewusstseinsentwicklung so wichtig ist
Srinija Srinivasan kennt die Welt der KI, war Pionierin des Internets als eine der Führungskräfte von Yahoo und gründete als Musikliebhaberin ein innovatives Musikunternehmen. Ihre Aufmerksamkeit gilt bei alldem insbesondere den Möglichkeiten unseres Bewusstseins, ohne dessen weitere Entwicklung, so ist sie sich sicher, wir nicht mit den neuen Technologien umgehen können.
evolve: Was ist für Sie die größte Sorge im Zusammenhang mit KI und insbesondere mit den großen generativen Sprachmodellen wie ChatGPT im Hinblick auf unsere menschliche Zukunft?
Srinija Srinivasan: Die größte Sorge bereitet mir unser Verhältnis zu KI. Sie ist so programmiert, dass sie einen Menschen im Gespräch imitiert. Und das lädt uns dazu ein, bei ihr nach Lösungen zu suchen. Wir stellen Fragen und die KI gibt uns Antworten, anstatt es als das Wunder zu sehen, das es sein könnte: ein gemeinsamer Speicher unseres kollektiven Wissens, durch den wir besser verstehen, wer wir waren und wer wir sein könnten. Die KI könnte uns dabei helfen, bessere Fragen zu stellen, anstatt uns glauben zu machen, dass sie die Antworten hat. Sie ist ein Spiegel der Vergangenheit, kein Orakel für unsere Zukunft, ein außergewöhnliches Werkzeug, das uns hilft, tiefere, klügere und entwicklungsförderliche Fragen zu formulieren.
Daten der Vergangenheit
e: Das Gespräch zeichnet uns als Menschen aus. Wir sind im Dialog miteinander. Und wenn man sich die Welt anschaut, dann ist der Mangel an echten Dialogen eine der destruktivsten Entwicklungen unserer Zeit.
SrS: Durch das Gespräch und durch die Großzügigkeit des Zuhörens in diesem Gespräch erleben wir, was geschieht, wenn wir uns mit einer gegenseitigen Neugierde und einem gemeinsamen Wunsch nach Verständigung begegnen. Daraus entsteht etwas, das keiner von uns allein hervorbringen kann. KI hat diese Form des bewussten Gewahrseins nicht. Die Großen Sprachmodelle sind im engeren Sinne generativ, indem sie neue Verbindungen zwischen alten Dingen herstellen. Das ist aber nicht wirklich kreativ.
Und an diesem Punkt berühren wir spirituelle Fragen. Denn wir sind mehr als Materie, mehr als Biologie und Chemie. Wir stellen Verbindungen her, haben Zugang zu einer Quelle echter Kreativität. Wie Orland Bishop sagt: »Wenn wir es mit KI zu tun haben, geht es immer um die Vergangenheit.« Datenwissenschaft ist per Definition in der Vergangenheit angesiedelt. Daten beziehen sich immer auf etwas, das bereits geschehen ist. Das kann sehr nützlich sein, weil wir eine viel bessere Grundlage für ein gemeinsames Verständnis unserer Vergangenheit schaffen können.
»Bequemlichkeit ist ein gefährlicher Leitstern.«
Aber eine Zukunft zu gestalten, ist etwas anderes. Wenn wir eine Zukunft gestalten wollen, die über kleine Veränderungen der Vergangenheit hinausgeht, also etwas völlig Neues schaffen wollen, dann wird es nicht von der KI ausgehen. Aber ich bin überzeugt, dass wir völlig neue Ideen für die Zukunft brauchen, weil wir bis heute noch nicht herausgefunden haben, wie wir auf diesem Planeten über alle Unterschiede und lange Zeiträume hinweg in Harmonie mit Mutter Erde und miteinander leben können.
KI hat keinen Zugang zu dieser Quelle der Kreativität. Sie kann uns vielleicht bei der eigenen Orientierung helfen und sie kann ein großartiges Werkzeug und ein Unterstützer sein, um uns den Zugang zu unseren Fähigkeiten zu erleichtern, uns an sie zu erinnern und uns zu ermutigen. Aber wenn wir miteinander sprechen, bringen wir viele weitere Formen des Wissens in das Gespräch ein.
e: Kannst du mehr über diese anderen Formen des Wissens sagen?
SrS: Wissen ereignet sich in einem Körper, in einer Person, in der Erfahrung. Es ist weit mehr als eine Übertragung von sprachlich vermittelten Inhalten. Es gibt Wissen, das mit Worten übertragen wird. Dieses Gespräch kann transkribiert und gelesen werden, und auf diese Weise wird viel Wertvolles vermittelt. Aber Wissen kann auch aus der Erfahrung entstehen, kann körperliches, emotionales, spirituelles Wissen sein.
Simulierte Beziehung
e: Die Chatbots sind so programmiert, dass wir uns mit ihnen verbunden fühlen, denn Beziehung durch Kommunikation mittels Sprache ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Wesens.
SrS: Für die Brauchbarkeit von Benutzeroberflächen ist die Verwendung von Sprache eine praktische Möglichkeit, die digitalen Nullen und Einsen, mit denen diese Maschinen arbeiten, verständlich zu machen. Aber welche Anhaltspunkte erhalten wir hier, die unser Verständnis dafür schärfen, wie wir am besten in Beziehung treten können? Programme wie Siri können uns zuhören, verstehen und auf uns antworten. Sie sind so programmiert, dass sie sich wie Menschen verhalten, denn Bequemlichkeit scheint das zu sein, woran wir am meisten interessiert sind. Aber Bequemlichkeit ist ein gefährlicher Leitstern.
Vieles an eingesetzter Technologie zielt auf immer größere Annehmlichkeiten ab, die mit Effizienz, Produktivität und besserer Skalierung einhergehen. Die Frage, die wir uns stellen, lautet: Wie erhalten wir mehr für weniger? Wie entlasten wir uns von jeglicher Anstrengung, Arbeit, allen Unannehmlichkeiten, Schmerzen, Leiden? Aber ich habe gehört, dass Caterina Fake, die Mitbegründerin von Flickr, einmal sagte: »Wenn Innovation bedeutet, dass ich einen Kartoffelschäler schneller nach Hause geliefert bekomme, will ich nichts damit zu tun haben.« Ich kann mir innerhalb einer Stunde einen Kartoffelschäler ins Haus liefern lassen. Aber zu welchem Zweck, mit welchen Nebeneffekten und auf wessen Kosten? Wir müssen also wichtigere Fragen stellen. Denn die Kosten und Nebeneffekte betreffen Bereiche wie Gemeinschaft, Schönheit, Demokratie, Befreiung und Liebe.
e: Und Beziehung. Wir erhalten nicht nur Informationen, sondern auch eine Beziehung zu etwas. Wir nennen die Chatbots gewöhnlich »er«, und die meisten Sprachprogramme wie Siri oder Alexa haben einen weiblichen Namen und eine weibliche Stimme. Ich habe festgestellt, dass ich über KI bewusst als »es« spreche. Denn es wird auf eine Weise programmiert, die es vermenschlicht. Das schafft ein Gefühl von Menschlichkeit und Beziehung.
SrS: In der Tradition der KI war der Turing-Test eine Messgröße dafür, ob eine KI erfolgreich ist – wenn du denkst, dass du mit einem Menschen interagierst, ist die KI erfolgreich. Sie verleitet dich dazu zu denken, dass du es mit einem Menschen zu tun hast, aber mit einem allwissenden Menschen. Das bezieht sich auf die Versuchung, in eine gewisse Faulheit und in ein Wunschdenken zu verfallen, wobei wir denken: »Die KI wird mir sagen, was ich wissen muss.« Ich muss aber die volle Verantwortung dafür übernehmen, um das, was ich als Antwort erhalte, aufzunehmen und dann zu entscheiden, wie ich die Ganzheit meines Menschseins in die nächste Frage einbringen kann. Wenn wir vor diesem Schritt zurückschrecken, werden wir uns alle auf etwas reduzieren, das Nullen und Einsen ähnelt, eine binäre, verengte Version der Ganzheit unseres Menschseins, die sich an unserer Vergangenheit orientiert – glanzvoll verpackt. Wir werden weiterhin innovativ, aber nicht kreativ sein.
Heilige Schöpferkraft
e: Kannst du diesen Unterschied zwischen Innovation und Kreativität erklären?
SrS: Innovation bedeutet immer, auf etwas aufzubauen, was vorher da war. Die kreative Schöpferkraft will sich dagegen nicht auf dem Vorangegangenen ausruhen. Ich glaube, dass Schöpferkraft eine Fähigkeit des Menschen ist, sich mit unserer göttlichen Bestimmung zu verbinden. Das Göttliche ist in mir, wie in jedem von uns. Das Göttliche ist mein Auftrag als Mensch, es ist meine Chance. Ich kann mich dazu entscheiden, die Göttlichkeit in mir in menschlicher Form zu manifestieren.
Die Schöpferkraft entstammt unserer Fähigkeit, das zu verwirklichen. Das führt für mich direkt zum eigentlichen Sinn der Kunst. Kunst ist die Bezeichnung für alles, von dem wir glauben, dass sie das Ergebnis der menschlichen Manifestation von Göttlichkeit ist. Es ist ein Bereich von Kreationen, die auf bleibende Wahrheiten hinweisen, die größer sind als wir, die ein heiliges Geheimnis berühren, das uns einschließt und übersteigt.
e: Wie können wir diesen Sinn für das Heilige angesichts von KI bewahren?
»Daten beziehen sich immer auf etwas, das bereits geschehen ist.«
SrS: Das wirft die Frage auf, was das Heilige ist. Ich denke, es hat etwas mit dem Mysterium, dem Unwissbaren zu tun. Unser menschliches Bewusstsein kann das Unwissbare nicht wissen, aber es kann neugierig darauf sein und eine Beziehung dazu herstellen. Wir können lernen, was wir wissen können, aber gleichzeitig eine Beziehung zum Unwissbaren entwickeln. Wenn wir das tun, gelangen wir immer wieder zu der Erkenntnis, dass wir miteinander verbunden sind. Und wenn wir das erkennen, können wir unseren Willen einsetzen, um im Dienste von etwas zu handeln, das größer ist als wir.
Die moderne Kultur hat das Individuum in den Vordergrund gestellt, was sowohl Vorteile als auch Nachteile mit sich gebracht hat. Das Heilige zu bewahren bedeutet, unsere wechselseitige Abhängigkeit voneinander anzuerkennen und zu verstehen, dass wir in einem vernetzten Universum leben. Auch wenn wir nicht verstehen, wie und warum es funktioniert, können wir dieser Wirklichkeit mit Ehrfurcht begegnen. Die Entscheidung, unseren individuellen Willen in den Dienst einer größeren verbundenen Wirklichkeit zu stellen, ist eine neue Chance für die menschliche Entwicklung.
Ich möchte dies nun mit KI verbinden. KI ist ein Produkt unseres Bewusstseins. Jede Technologie ist ein Werkzeug, das das Bewusstsein, das es benutzt, verstärkt und beschleunigt, ob es nun ein Messer, ein Auto, eine Bombe oder KI ist. Und wir befinden uns jetzt in der Zeit der exponentiellen Technologie. Wir haben diese Bedingungen miterschaffen, und wir erhöhen ständig die Anforderungen daran, diese neuen Kräfte mit Mitgefühl zu nutzen, diese Werkzeuge mit Weisheit und Liebe einzusetzen.
In dieser Ära gibt es nur einen Weg, um uns vor uns selbst zu retten: Wir müssen über die Technologie hinaus zum Bewusstsein selbst vordringen. Das führt zu der Frage: Was schafft die Bedingungen, die der Entwicklung meines Bewusstseins förderlich sind? Denn wir haben die wunderbare Möglichkeit, unser Bewusstsein bewusst zu entwickeln. Nur dann können wir der exponentiellen Technologie immer einen Schritt voraus sein.
Es ist fantastisch, wieviel wir mit der digitalen Technologie erreicht haben, einschließlich der Tatsache, dass wir gerade jetzt dieses Gespräch führen können. Wir sollten die Werkzeuge für ihren bestmöglichen Zweck nutzen und ihre Grenzen verstehen. Denn digitale Technik ist binär, sie setzt sich aus Nullen und Einsen zusammen. Aber das Leben selbst ist nicht binär. Das Leben ist ganzheitlich, komplex, paradox. Das Leben ereignet sich voller Widersprüche und Nuancen.
Was bei den Nullen und Einsen fehlt, ist das Kostbarste unseres Menschseins: Schönheit, Staunen, Ehrfurcht, Liebe, Anmut. Analytisches, rationales, lineares Denken ist machtvoll; es hat uns bis zum Mond gebracht. Aber zunächst mussten wir die Neugier und den Wunsch entwickeln, dorthin zu gelangen. Diese Neugierde und diese Sehnsucht kamen nicht von Nullen und Einsen. Und die transformierende spirituelle Erfahrung, die von denen vermittelt wird, die zum Mond und zurück gereist sind, kommt nicht von den Nullen und Einsen. Sie kommt aus der Ganzheit des menschlichen Bewusstseins, das eine direkte Erfahrung macht.
Wenn wir das Menschsein wirklich lieben und uns nicht damit begnügen, eingeengte, effizientere, berechenbarere, unerschöpfliche Versionen des Menschseins anzustreben, können wir künstliche Intelligenz konzipieren, entwickeln und nutzen, um das Heilige unseres Menschseins zu feiern und zu entfalten. Wir können unsere höchste Aufgabe im Gewebe des Lebens erfüllen und der Erde und einander dienen.
Furchtlose Improvisation
Heute müssen wir etwas tun, was wir noch nie getan haben. Wir müssen uns eine Welt vorstellen, in der ich nicht das Gefühl habe, dass ich dich beherrschen muss, damit du mich nicht beherrschst. Es ist eine Welt, in der wir ko-existieren, weil jeder und jede von uns über einzigartige Gaben verfügt. Und wenn wir diese Gaben frei zum Ausdruck bringen können, entstehen ungeahnte Möglichkeiten.
»Ich kann mich dazu entscheiden, die Göttlichkeit in mir in menschlicher Form zu manifestieren.«
Das Leben verlangt die Bereitschaft zu improvisieren – und nicht zu kontrollieren oder vorherzusagen. Es gibt keinen strategischen Plan, und das ist für manche erschreckend und für mich aufregend. Es ist die Einladung, den Schritt auf die Bühne zu wagen, mit dem hart errungenen Können auf meinem Instrument etwas zum Ausdruck zu bringen und spontan mit anderen zusammenzuarbeiten, um zu einem Ganzen beizutragen, das größer ist als die Summe der Teile. So kann etwas Schönes entstehen, das keiner von uns allein hätte schaffen können, um in eine Zukunft hineinzuleben, die alle einschließt, aber niemanden in den Mittelpunkt stellt.
e: Kennen Sie Beispiele für diese Art von ko-kreativem Engagement?
SrS: Ich bin an einem neuen College beteiligt, das ich mit anderen konzipiere und mitgestalte, einer alternativen zweijährigen Hochschule in der Nähe von Mount Shasta, Kalifornien, am heiligen Quellgebiet der Flüsse Sacramento und McLeod. Wir gehen von der Prämisse aus, dass wir in Beziehung zum Heiligen stehen, im Gegensatz zur materiellen Ausrichtung der Universitäten.
Wir bringen zwei unterschiedliche Forschungsrichtungen in einem übergreifenden pädagogischen Rahmen zusammen. Die eine Strömung ist das indigene heilige Wissen, die andere die exponentielle Technologie und KI. Die Menschen, die sich der Bewahrung der Erde verschrieben haben, möchten in der Regel nicht viel mit Technik zu tun haben. Und die Menschen, die die Entwicklung der künstlichen Intelligenz anführen, wollen zuerst den Mars besiedeln, bevor sie sich um das Leben auf der Erde kümmern.
Wir müssen diese Kluft überbrücken. Wir müssen unser Verständnis des heiligen Wissens von der komplexen, voneinander abhängigen Ökologie des Lebens auf der Erde und unserer Rolle darin mit unserem Verständnis und unseren Absichten in Bezug auf das Virtuelle, die KI und die exponentielle Technologie verbinden. Nur so können diese jetzt getrennten Ströme zu einem gemeinsamen Ziel zusammenkommen. Dann können wir die exponentiellen Supermächte in eine Zukunft lenken, die für uns ist und nicht gegen uns.
Author:
Dr. Elizabeth Debold
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