Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
April 17, 2014
Vom 21. Bis 23. März fand in Berlin die Konferenz „Aussöhnen mit Deutschland“ statt. Die Eröffnungsrede hielt Prof. Dr. Barbara v. Meibom, Politik- und Kommunikationswissenschaftlerin und Mitinitiatorin der Konferenz. Der Vortrag wurde in freier Rede gehalten. Wir geben hier einen Auszug wieder aus dem schriftlichen Text.
Idealismus und Humanismus, die Liebe zur Natur, die Fähigkeit sich zu begeistern und Gemeinschaft zu leben, eine Hinwendung nach Innen – für all dies steht eine deutsche Kultur, die mehr ist als die zwölf Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft. Wer sich auf Heinrich Heines Einladung einlässt „Denk ich an Deutschland“, dem kommen – weltweit - Geistesgrößen wie Kant, Schiller oder Goethe in den Sinn oder fühlt sich erinnert an musikalische Genies wie Bach, Mozart, Beethoven oder Mendelsohn. Anerkennung und Bewunderung finden auch Forscher, Entdecker und Innovatoren wie die Gebrüder Humboldt, eine Maria Montessori oder Rudolf Steiner oder Kenner der Psyche wie Freud, Jung, Adler oder Frankl. Sie alle künden von einer lebendigen Geistigkeit, die inspirierend und für viele wegweisend war und ist.
Doch jeder Fähigkeit wohnt ein Schatten inne. Idealismus, der sich nicht an der Realität prüft und erdet, kann leicht den Bezug zur Wirklichkeit verlieren und zu einer weltabgewandten Innerlichkeit verkommen, wie wir sie in der Romantik erleben oder zu einer Blindheit gegenüber politischen Verhältnissen, wie sie viele Zeitgenossen im Nationalsozialismus an den Tag gelegt haben. Dasselbe gilt für Begeisterungsfähigkeit, wenn sie ethisch nicht eingebunden ist und nicht prüft, wofür denn die Begeisterung eingesetzt wird.
Ein Idealismus, der sich nicht erdet, verliert den Bezug zur Wirklichkeit.
Der Nationalsozialismus war eine politische Religion (Bärtsch/Vögelin), die höchst erfolgreich die im deutschen Sozialcharakter angelegten Gaben von Innerlichkeit, Idealismus, Gemeinschaftsfähigkeit und Begeisterungsfreude auf ein menschenverachtendes Todesprojekt ausrichtete. Mit Heilsbotschaften und Ritualen, mit Einschwören auf den Geist der arisch verstandenen (Volks)Gemeinschaft und Beschämung all derer, die sich dem widersetzten und entzogen, wurde ein ganzes Volk in Haft genommen und die Menschen machten überwiegend willig oder sogar begeistert mit. Sie ergriffen die Chance, ihren Selbstwert zu stabilisierten, indem sie bestimmte Gruppen ausgrenzten oder als minderwertig erklärten.
Die Bewältigungsstrategien, die Deutsche im Umgang mit diesem traumatisierenden Missbrauch von Idealismus und Begeisterungsfähigkeit gewählt haben, sind vielfältig: Das Verbot zu fühlen und die Praxis, Gefühle einzufrieren, mussten zahllose Nachgeborene der Kriegsgeneration am eigenen Leib erfahren, Sie tragen daran bis heute schwer. Eine andere Strategie war die Flucht in den Verstand, in ein rationalistisches Weltbild, das alles für lächerlich erklärt und mit Beschämung belegt, was über die Welt der Daten Zahlen, Fakten hinausgeht, nach dem Warum und Wozu fragt. Auch der ausgeprägte Materialismus in unserem Land kann als Flucht aus dem Dilemma eines missbrauchten Idealismus angesehen werden. Der Tanz ums Goldene Kalb ersetzt hier die gestürzten Götter, denen man blind gefolgt ist. Selbst die heute in Deutschland blühende Esoterik ist wohl nicht zuletzt ein Versuch, angesichts der kollektiven Beschämung von Spiritualität, sich dem transpersonalen Raum zu öffnen, ohne wirklich Verantwortung für sich zu übernehmen und sich den gesellschaftlichen Realitäten zu stellen.
Keine dieser Bewältigungsstrategien führt zu einer heilenden und befreienden Bewusstheit der Schattenkräfte in einem missbrauchsanfälligen Idealismus. Vielmehr braucht es ausbalancierende Kräfte, die aktiviert werden wollen: Ein realistischer Blick auf Gegebenheiten, eine ethische Einbindung der Begeisterung, und eine Spiritualität, die darum weiß, dass wir alle Leben sind inmitten von Leben, das leben will (Albert Schweitzer).
Dies wird nur möglich, wenn wir uns auch der Fülle, der Schönheit und der Kraft, die sich mit unserem Land verbinden, bewusst werden. Bewusstheit heißt hier, dass die Tugenden rückgebunden werden müssen an die Kräfte des Gewissens, an die Frage, wozu sie eingesetzt werden, an die Verantwortung gegenüber dem Warum und Wozu. Idealismus muss mit Realismus und mit Citizenship verbunden sein, d.h. mit gelebter Verantwortung für das Gemeinwohl und für ein friedliches Miteinander im Land und im Verhältnis zu unseren Nachbarn. Diese kann sich entwickeln durch:
• eine Würdigung der Potenziale im deutschen Sozialcharakter mit der erklärten Absicht, sie ethisch verantwortlich zu formen,
• eine Führungskunst, die die Fähigkeit von Menschen stärkt, dem Leben und anderen Menschen zu dienen;
• eine Empathie für Schwächere, die es uns leicht macht, materielle und ideelle Reichtümer zu teilen und sich für die Reichtümer der anderen zu öffnen und sie zu würdigen, und
• eine Kultur der Partnerschaft auf Augenhöhe.
Zu jedem Wachstum gehört Scheitern. Auch Scheitern ist ein Teil der Lebensfülle. Wenn wir die Kraft des Scheiterns nutzen, so öffnen wir uns den Lektionen, die das Leben uns lehren will und wachsen in ein neues Verstehen von uns selbst und anderen und eine durch Erfahrung gereifte Verantwortlichkeit für uns selbst und für andere.
In einer Abkehr von Schuld und Scham und Hinwendung zu Weisheit und Reife, die sich aus der Übereinstimmung mit dem Herzen speist, kann uns ein besonderes Geschenk zuteil werden: Freude und Heiterkeit. Zu ihr lädt uns der große jüdische Philosoph, Menschenkenner und Therapeut Arno Gruen ein, wenn er schreibt:
„In der Nähe eines heiteren Menschen ... kann man sich nicht in einem Jammern über die Zustände dieser Welt ergehen. Der Heitere verschließt die Augen nicht vor der konkreten Situation dieser Welt. Er verdrängt das Dunkle nicht, aber er sieht alles aus einer anderen Perspektive heraus, letztlich aus einer Perspektive des Geistes, der auch die Finsternis durchschaut, bis er auf den leuchtenden Grund Gottes stößt.“