Die Innenseite des Extremismus

Our Emotional Participation in the World
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Essay
Published On:

April 23, 2015

Featuring:
James Fowler
Categories of Inquiry:
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Issue:
Ausgabe 06 / 2015:
|
April 2015
Wir-Räume
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Vor Kurzem fand im Weißen Haus in Washington ein Gipfeltreffen zur Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus statt, an dem Experten aus der ganzen Welt teilnahmen. Der Gipfel sollte eine Plattform zum Austausch über die besten Präventionsmaßnahmen im Zusammenhang mit religiösem Extremismus sein. Angesichts des andauernden Konfliktes mit ISIS im Mittleren Osten, fortgesetzter Gewalt durch Boko Haram in Nigeria, Terrorattacken in Sydney und des Angriffs auf Charlie Hebdo in Paris hätte der Gipfel zu keinem geeigneteren Zeitpunkt stattfinden können.
Eine enge Freundin und Kollegin von mir nahm auch teil. Als ich mit ihr über den Gipfel sprach, erfuhr ich von den verschiedenen Gesprächsthemen, die dort eine Rolle spielten. Einige Teilnehmer konzentrierten sich auf die grundlegende nationale bzw. internationale Sicherheitsthematik, andere regten Dialoge zwischen den religiösen Traditionen an, während wieder andere darüber diskutierten, wie man soziale Faktoren, die zu Gewalthandlungen führen (Rekrutierung, Radikalisierung, Training usw.), einschränken könnte.
In unserer gegenwärtigen westlichen Kultur betonen wir schwerpunktmäßig die äußeren Dimensionen unserer Erfahrung (Verhalten, Sicherheit, sozio-ökonomischer Einfluss) aber häufig vergessen wir die subtileren Aspekte, die mit unserer inneren Erfahrung zusammenhängen, die Dimension des Bewusstseins.
Am Ende unserer Unterhaltung dachte ich noch lange darüber nach, wie nützlich es sein könnte, wenn jemand auf dem Gipfel anwesend gewesen wäre, der die grundlegenden Stufen der menschlichen Entwicklung und ihre Zusammenhänge mit den Interpretationen religiöser Wahrheiten versteht. Und zwar aus folgenden Gründen: Die Beziehung eines Menschen zu einer religiösen Tradition und deren Interpretation folgt einem Spektrum psychologischer Entwicklung. Die Interpretationsstufen beruhen auf der Art und Weise, wie wir Informationen kognitiv verarbeiten. James Fowlers Arbeit an der Harvard Universität über die Entwicklung des Glaubens ist immer noch eine der besten Forschungsarbeiten, über die wir auf diesem Gebiet verfügen. Fowler fand heraus, dass die Entwicklung des Glaubens eine eigene Form der Intelligenz ist, die sich in eigener Abfolge entfaltet. Unabhängig davon, wie ein Mensch in anderen Bereichen entwickelt sein mag (interpersonell, emotional, kognitiv), die Interpretation des Glaubens folgt ihrem eigenen Entwicklungsverlauf.

Die Entwicklung des Glaubens zu verstehen ist entscheidend bei der Bekämpfung eines gewaltbereiten religiösen Extremismus.


Die Entwicklung des Glaubens zu verstehen, ist entscheidend bei der Bekämpfung eines gewaltbereiten religiösen Extremismus. Frühe Stufen der Glaubensentwicklung sind sehr einfach in ihrer kognitiven Verarbeitung. Sie neigen häufig dazu, den eigenen Glauben und andere Ideen in starkem Widerspruch zu sehen. Ihre Interpretation Heiliger Schriften und Traditionen ist oft buchstabengetreu, und es gibt eine deutliche Unterscheidung zwischen denen, die „innerhalb“ des Glaubenssystems sind und jenen, die es nicht sind. Im Laufe einer gesunden Entwicklung erweitert sich die Einnahme von Perspektiven und die Grenzen zwischen „wir“ und „die anderen“ beginnen zu verblassen. Es entsteht die Fähigkeit, verschiedene Weltsichten zusammenzubringen (auch die von anderen Glaubensrichtungen). Die höheren Stufen in der Glaubensentwicklung erlauben eine tiefere Synthese verschiedener Weltsichten, die mehr einschließt und gleichzeitig universeller wird.
Die Stufen der Glaubensentwicklung bieten eine Orientierung, um von extremistischen Ansichten zu Betrachtungsweisen zu kommen, die universeller und integrativer sind. Der Kampf gegen den Extremismus wird nicht einfach nur in den äußerlichen Aspekten entschieden. Natürlich müssen wir die Religion verschiedener Traditionen berücksichtigen. Sicher braucht es weitere Vorstöße, um Verhaltensfaktoren abzumildern, die zu Extremismus führen. Und wir müssen natürlich internationale Sicherheitsfragen ernst nehmen. Aber ohne jemanden oder ohne eine Gruppe, die bewusst die Meta-Ebene im Blick haben, welche beim Kampf gegen Extremismus die Dimension des Inneren und des Bewusstseins mit einschließt, werden wir weiterhin zahllose Gelegenheiten für effektives Handeln verpassen.

Author:
Dustin DiPerna
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