Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
April 11, 2022
Über den Film »Der Waldmacher« von Volker Schlöndorff
Für viele von uns ist Afrika noch immer der unbekannte Kontinent, mit dem wir vor allem Probleme verbinden. In seinem ersten Dokumentarfilm begibt sich der Filmemacher Volker Schlöndorff ins Herz dieses Erdteils, der als die Wiege der Menschheit gilt. Der Prolog des Filmes erzählt vom Beginn des Menschen und seinem Gedeihen, als er die Fruchtbarkeit der Erde entdeckte, um sich mit ihren Pflanzen ernähren zu können.
Aber gerade die Ernährung der Menschen ist in vielen Teilen Afrikas heute ein Mangel, immer wieder grassieren Hungersnöte. Das ist auch eine Folge der Kolonialisierung, weil die Kolonialherren ihre Vorstellungen von großflächiger Landwirtschaft umsetzen wollten. Dazu wurden viele Bäume gerodet, um landwirtschaftliche Flächen zu gewinnen. Man verstand aber nicht, dass dadurch der Boden verödet, versandet und schließlich unfruchtbar wird, weil er nicht mehr durch die Bäume versorgt wird – geschützt durch ihren Schatten, genährt durch die Blätter, die herabfallen und zu Humus werden, wodurch Kleinstlebewesen angezogen werden. Ein Ökosystem war zerstört.
Schlöndorffs Film zeichnet diese Entwicklung nach und porträtiert auf liebevolle Weise einen beindruckenden Menschen, dessen Lebensaufgabe es wurde, diesen Lebensraum wieder zu beleben.
1981 kam Tony Rinaudo, ein junger Agrarwissenschaftler aus Australien, in den Niger, um etwas gegen die Ausbreitung der Wüsten durch Baumrodungen zu tun. Einige Jahre versuchte er der Verödung durch umfangreiche Baumpflanzungen entgegenzuwirken, aber erfolglos. Die meisten Setzlinge gingen wieder ein. Rinaudo war verzweifelt und dachte darüber nach, wieder abzureisen. Eines Tages, auf einer Fahrt durch das Land, machte er eine Pause und sah sich in der kargen Landschaft um. Die Zerstörung der Natur und das Elend der Menschen, die er getroffen hatte, schmerzten ihn zutiefst. Er betete, bat um Hilfe. Kurz darauf wurde er auf einen kleinen Busch in der Nähe aufmerksam. Er betrachtete ihn und bemerkte an den Blättern, dass es kein Busch war, sondern ein kleiner Baum. Wie war er gewachsen? Da hatte er eine Art Offenbarung: Unter der Erde war immer noch das Wurzelwerk der gerodeten Bäume vorhanden, und vor seinem inneren Auge sah er einen unterirdischen Wald, der nur darauf wartete, wieder belebt zu werden.
¬ SCHLÖNDORFF NENNT DIE DREHARBEITEN SEINE »INITIATION« FÜR AFRIKA. ¬
Diese Einsicht veränderte alles für Rinaudo, denn er verstand, dass man die Bäume aus den Wurzeln wachsen lassen könnte, indem man die noch lebenden Baumstümpfe und Wurzeln aktiviert. Daraus entwickelte er seinen Ansatz der »Farmer Managed Natural Regeneration« (FMNR), die heute in 23 Ländern Afrikas angewendet wird und den Bauern reichere Erträge, Hoffnung und Selbstwirksamkeit schenkt. Denn wenn die Bauern diese Methode erlernen, sind sie selbst in der Lage, ihr Land mit einer Bewirtschaftung zu pflegen, in der Bäume ein integraler Bestandteil sind. Das sichert ihre Ernährung und die ihrer Gemeinschaft.
Wenn Rinaudo von den Menschen begrüßt wird, spürt man ihre tiefe Dankbarkeit. Bei vielen ist er der »Chief of all Farmers«, der ihnen geholfen hat, die traditionellen Anbaumethoden wieder zu erlernen. Der Film begleitet ihn auf einer Reise in den Niger, wo er 20 Jahre lang lebte. Er musste hart für die Akzeptanz seiner Methode kämpfen, auch bei den Bauern. Aber schließlich schenkten sie ihm ihr Vertrauen und fanden eine neue Lebensperspektive.
Man merkt, dass Schlöndorff selbst sehr berührt ist von Rinaudos Person und Geschichte, und von Afrika. Er nennt die Dreharbeiten seine »Initiation« für diesen Kontinent. In seinem Film berührt er viele andere Herausforderungen Afrikas. Er zeigt die Folgen der Migration auf, wenn die Männer nach Europa gehen und ihre Familien allein zurücklassen. Oder wie aus Not Bäume gefällt und zu Holzkohle verarbeitet werden, die dann in den arabischen Ölstaaten wegen ihres speziellen Aromas für Barbecues sehr begehrt ist. Hier fügt Schlöndorff Passagen aus Filmen afrikanischer Filmemacher ein, die den Menschen ganz nahekommen.
Der Film zeigt aber vor allem auch den unbändigen Lebenswillen der Menschen, die Lebensfreude und tiefe Religiosität, die Schlöndorff tief berührte. Und er reflektiert, dass es vielleicht dieser tiefe Glaube ist, der Tony Rinaudo mit den Menschen Afrikas verbindet. Der Film endet mit einem Blick in Rinaudos lachendes Gesicht, wenn er sagt: »Nur wenige Ideen haben sich über Nacht durchgesetzt. Meist ist es ein langer Prozess, der Hingabe und Ausdauer erfordert, und ein bisschen Blut, Schweiß und Tränen. Wenn es das braucht, dann lasst es uns tun.«