Von Occupy zu Extinction Rebellion
Im Jahre 2015 erklärte Micah White, ein Co-Initiator der Occupy-Wall-Street-Bewegung, dass der Protest zerbrochen sei. Die Occupy-Bewegung hatte den Aktivismus einer neuen Generation entfacht. Ihr fröhliches Camp im Zentrum des Finanzdistrikts von New York setzte einen weltweiten Protest gegen die Dominanz des Großen Geldes in der Politik und im Alltagsleben in Gang. White erklärte in seinem Buch »The End of Protest«, dass die Bewegung gescheitert sei: »Occupy läutete das Ende des Protests ein, eine Phase, in der Aktivismus neu erfunden werden muss – im Einklang mit einem spirituellen Ruf –, um wieder wirksam sein zu können.«
Jetzt macht Extinction Rebellion von sich reden. Kann sie da Erfolg haben, wo Occupy scheiterte? Kann XR, wie die Bewegung genannt wird, den Aktivismus neu erfinden? Bei Occupy wurde kritisiert, dass eine klare Forderung fehlte. XR hingegen hat drei sehr klare Forderungen: »1. Die Regierungen legen die Wahrheit über die tödliche Bedrohung durch die ökologische Krise offen und revidieren alle Gesetze, die ihrer Bewältigung entgegenstehen. 2. Die anthropogenen Emissionen von Treibhausgasen werden über alle Sektoren hinweg bis 2025 auf Netto-Null reduziert. 3. Die Regierungen rufen Bürger*innenversammlungen ein, die auf Basis partizipatorischer Demokratie ausarbeiten, wie die oben genannten Ziele verwirklicht werden.«
In London wurde die erste dieser Forderungen erfüllt: Das Parlament beschloss eine Resolution, die die Klimakrise als Dringlichkeit erklärte. Obwohl die Resolution nicht bindend ist, war sie ein deutlicher Sieg für XR. Es wurde klar, dass die Stimme der Menschen gehört wurde. Seitdem haben die störenden Akte zivilen Ungehorsams aufgehört und XR plant jetzt eine neue Kampagne.
Occupy war bekannt für die Abwesenheit von Hierarchien. Jeder konnte an ihren Treffen teilnehmen. Einerseits waren diese Treffen oft kreativ und entwickelten kraftvolle Verbindungen zwischen den Protestierenden. Andererseits erlaubte das Insistieren auf eine kollektive Führung, dass Occupy von der Polizeit sabotiert werden konnte. Ziemlich bald nach dem Beginn der Bewegung bemerkten die Besetzer, dass Obdachlose und andere, teils aggressive Leute, die nichts mit den Protesten zu tun hatten, angezogen wurden – auch durch das kostenfreie Essen, das aus Gemeinschaftssinn angeboten wurde. Das hatte einen negativen Einfluss auf die Sicherheit und den Zusammenhalt des Protests.
Bei XR gibt es klare Führung – Roger Hallam, Gail Bradbrook, Simon Bramwell und andere von der Organisation Rising Up! – und die Grundhaltung einer breiten Bürgerbeteiligung. Das führt zu einer Klarheit der Forderungen und Grundprinzipien wie gewaltfreie Aktion. Darüber hinaus erfindet die Gruppe ständig neue Aktionen und Taktiken, sodass sie flexibel bleiben und auf neue Umstände reagieren kann.
DIE POLIZEI, DIE REGIERUNG, DIE BANKER WERDEN NICHT ALS »FEIND« BEHANDELT.
Wie bei Occupy werden die Protestierenden ermutigt, füreinander zu sorgen – damit die Bewegung zu einem Modell der Gesellschaft wird, die sie schaffen möchte. Bei XR wurde dies beeindruckend eingelöst: Nach den Massenfestnahmen bei den kürzlichen Protesten in London warteten Freiwillige die ganze Nacht draußen vor den Gefängnissen, um die Protestierenden zu begrüßen, als sie frei gelassen wurden und boten ihnen warme Getränke und etwas zu essen an. XR legt allen Protestierern nahe, an einem Training in gewaltfreier Aktion und Kommunikation teilzunehmen, denn man möchte keine Ideologie der Trennung verfolgen. Die Polizei, die Regierung, die Banker werden nicht als »Feind« behandelt. Und den Protestlern geht es um die Bewahrung des Lebens – was ein zutiefst spiritueller Wert ist. Die ganze Bewegung gibt den Teilnehmenden eine tiefe Erfahrung von Sinn und eine Ahnung davon, wie wir zusammen auf diesem wunderbaren Planeten leben könnten.
XR hofft, den Kipppunkt von 3,5 Prozent zu erreichen, um einen dramatischen Wandel einzuleiten – das ist der Prozentsatz einer Bevölkerung, der laut Wissenschaftlern aktiviert werden muss, um einen Wandel herbeizuführen. Es könnte der wichtigste Protest unseres Lebens werden.