Die Poesie der Analyse

Our Emotional Participation in the World
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Projekt-Interview
Published On:

April 16, 2020

Featuring:
Angelika J. Trojnarski
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Issue:
Ausgabe 26 / 2020
|
April 2020
Menschliche Reife
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Ein Gespräch mit der Künstlerin Angelika J. Trojnarski

In ihren Arbeiten verbindet Angelika J. Trojnarski die gründliche Recherche über physikalische und biologische Phänomene mit den poetischen Ausdrucksmitteln der Kunst. Bewegt wird sie dabei von einer grenzenlosen Neugier und dem Wunsch, Erkennen und Liebe in den Menschen zu erwecken. Wir sprachen mit der Künstlerin über diesen wissenschaftlichkünstlerischen Forschungsprozess.

evolve: Wie sind Sie zur Malerei gekommen?

Angelika Trojnarski: Ich habe mich für das Kunststudium entschieden, weil ich in der damaligen Berufswelt keine Sensibilität fand. Mir fehlten darin auch die Kreativität, die Selbstbestimmtheit und eine Auseinandersetzung mit den relevanten Themen in der Gesellschaft, im Sozialen und in der Politik. Ich war damals schon sehr neugierig auf die Komplexität der Welt und ihre Beziehungsgeflechte und merkte, dass diese Neugier in der Kunst gestillt wird. Mir war klar, dass die Malerei mein Medium sein würde, da sie sehr emotional ist. Durch den Farbton, die Stärke des Pinselauftrags, die Schichtung, die Komposition, die Motive kann ich eine extreme Energie erzeugen und eine Verbindung mit den Betrachtern herstellen. Die Themen meiner Arbeit sind Natur, Technik, Wissenschaft und gerade dieses Medium ist ein Weg, das Analytische und Rationale in Gefühl und Poesie zu übertragen. Das ist auch die Sprache, das Vokabular, womit ich die Betrachter erreichen kann.

e: Haben Sie demnach das Gefühl, das Lebendige oder Poetische gerade mit den Mitteln der Malerei ausdrücken zu können?

AT: Ja, besonders in der Malerei, da ich den Pinsel führe. Das ist für mich eine direkte Übersetzung meiner inneren Welt. Ich kann noch heute erkennen und nachvollziehen, wie ich mich beim Malen fühlte und eine besondere Energie übertragen konnte. Das sind die besten Arbeiten. Kunst und Künstlerin gehören zusammen und ich sehe, dass mich die Malerei am besten repräsentiert.

Sensibler werden

e: Möchten Sie mit Ihren Arbeiten beim Betrachter eine bestimmte Erfahrung oder Gestimmtheit auslösen?

AT: Ich möchte, dass meine Kunst beim Betrachten das Gleiche auslöst, was ich während des Malprozesses fühle und worüber ich bei der Recherche reflektiere. Der Mensch soll die gleichen Emotionen durchleben und im besten Falle auch durch meine eigenen Filter schauen. So wie ich sensibel bin, soll er sensibilisiert werden für alle Abläufe um uns herum. Künstler helfen den Menschen zu sehen bzw. zu erkennen.

Alle meine Arbeiten waren eine Beschäftigung mit unserer Umwelt, mit Naturphänomenen, mit physikalischen Abläufen. Ich habe mich eingelesen, es entstanden Arbeiten zu fundamentalen Kräften, also allem, was wir im Alltäglichen visuell und haptisch erleben. Ich möchte das Nüchterne erfahrbar machen und das Analytische verstofflichen sowie emotional aufladen. Die Arbeit »Petrichor« zum Beispiel zeigt einen starken Regen. Es ist die Darstellung eines Sommergewitters, mit dunklen und hellen Flächen, sehr viel Blau, stark aufgeladen, mit vielen Schraffuren. Während ich sie malte, erinnerte ich mich an die speziellen Gerüche des Sommerregens auf trockenem Boden – Petrichor genannt – meiner Jugend und benannte das Werk aufgrund dieser Bilder in meinem Kopf entsprechend. Ich möchte, dass die Betrachter genauso tief berührt werden wie ich, als ich dieses Regengewitter erlebte. Es ist etwas Großes, wenn Kunst das vermag.

e: Kann man sagen, dass es Ihnen um eine sensiblere, tiefere Erfahrung dieser Naturphänomene geht oder allgemein unseres Eingebettetseins in die Natur?

ICH MÖCHTE DAS NÜCHTERNE ERFAHRBAR MACHEN UND DAS ANALYTISCHE VERSTOFFLICHEN.

AT: Ja, es ist der Wunsch, genau auf das zu schauen, was gerade um uns herum passiert. Durch die Klimakrise, in der wir uns befinden, müssen wir jetzt besonders alarmiert sein. Die Kunst kann für den Betrachter ein Anstoß sein, über sein Leben, sein Wirken und die Formen menschlichen Einwirkens nachzudenken und sie zu verändern.

Die Erhabenheit der Natur

e: Das war wohl auch das Anliegen der Ausstellung »Perfect Storm«, die Vergänglichkeit und Kraft der Natur zum Thema zu machen.

AT: Ja. Die Einzelausstellung im September 2019 in der Galerie Tanja Wagner basierte auf meinen beiden Auslandsaufenthalten in 2018. Ich war mit einem Stipendium in Dallas, Texas, und dann für einen Monat auf Island. Ich erlebte in diesen sechs Monaten zwei Klimazonen, zwei Zustände, zwei Länder – und Menschen, die unterschiedlich mit ihrer Umwelt umgehen. Texas ist geprägt von Trockenheit und Hitze, von viel Sonne und Helligkeit. Dort habe ich dieses extreme Gewitter mit gewaltigen violetten Blitzentladungen erlebt.

Der Aufenthalt auf Island war ein Komplementärprogramm dazu. Er manifestierte sich für mich in drei Farben: Schwarz, Weiß und Blau, weil zu diesem Zeitpunkt die Insel für mich nur aus diesen Tönen bestand. Es war kalt, feucht, und ich war mit den ursprünglichen Elementen konfrontiert, als ich mit meinem Kompass nach Magnetiten (Magnetsteinen) suchte. Zudem gab es Polarlichter, Stürme, Nebel, Schneetreiben.

Die Erfahrungen in diesen unterschiedlichen Ländern berührten mich tief, weil mir bewusst wurde, dass ich mittendrin war in dem, was ich über das Sublime und die Erhabenheit der Natur gelesen hatte. Ich war völlig ergriffen von diesen wunderschönen Naturbildern, die es in Deutschland in dieser Fülle und Wucht nicht gibt. Ich war berauscht von diesen beiden Aufenthalten, völlig entschleunigt und zeitlos. Zurück zuhause begann ich direkt an der Ausstellung »Perfect Storm« zu arbeiten.

e: Sie sagten, dass Sie sich nicht nur über die direkte Erfahrung in Ihrer Arbeit mit der Natur beschäftigen, sondern sich auch der wissenschaftlichen, forschenden Herangehensweise verbunden fühlen. Können Sie beschreiben, wie Sie diesen Bezug zur Wissenschaft in Ihrer Arbeit herstellen?

AT: Für mich sind Künstler wie Wissenschaftler und Wissenschaftler wie Künstler. Ich sehe sehr starke Parallelen zwischen beiden, denn sie sind auf der Suche nach grundlegenden Antworten auf die Frage, wie unsere Umwelt funktioniert, wie die elementaren Zusammenhänge sind. Beide nehmen bestimmte Verschiebungen wahr, sei es in der Natur, in der Gesellschaft, in der Politik oder im Sozialen. Wir dokumentieren diese Beobachtungen und setzen das, was wir sehen, in bestimmte Zusammenhänge. Viele Besucher in meinen Ausstellungen finden dort einen neuen Zugang zu wissenschaftlichen Themen. Ich möchte die Liebe zu den Naturwissenschaften entfachen, die Liebe für diesen direkten, offenen, neugierigen Zugang.

Wir haben als Künstler und als Wissenschaftler unterschiedliche Mittel, unterschiedliche Möglichkeiten sowie ein andersartiges Vokabular. Ich als Künstlerin nutze Formen, Farbe und Materialien für meine Aussage, während die Wissenschaftler mit der Sprache der Mathematik kommunizieren. Ich sehe die Wissenschaft als analytisch, rational, beschreibend, wahrhaft, während die Kunst die Freiheit hat, im Nebulösen zu bleiben, eine gewisse Fantasie anzuregen und sehr poetisch und sinnlich zu sein. Im Grunde genommen sehen und denken wir fast gleich, aber die Ergebnisse sind doch prinzipiell verschieden. Das finde ich an dieser Schnittstelle sehr faszinierend.

e: Ist für Sie der Malprozess selbst wie ein Forschungsprozess oder versuchen Sie auf eine bestimmte wissenschaftliche Idee künstlerisch zu antworten? Wie ist diese Dynamik?

AT: Wenn ich verreise oder länger an einem Ort arbeite, besuche ich die naturhistorischen und technischen Museen der Stadt. Zudem lese ich sehr viel, recherchiere, gehe in Bibliotheken, um mich zu bilden. Ich bin extrem neugierig und ich möchte ein Thema von allen Seiten erfassen. Wenn ich mich z.B. von der Wissenschaft inspirieren lassen möchte, schaue ich mir in Museen Versuchsaufbauten an oder wenn es eher um eine direkte Naturerfahrung geht, verreise ich. Das Reisen öffnet einen weiten Horizont, denn wenn wir unsere gewohnte Umgebung verlassen, sind wir aufnahmefähiger für das, was um uns herum passiert. Die Arbeit im Atelier folgt meinen Skizzen und Bildideen. Ich gehe also nicht planlos ins Atelier, sondern habe bereits eine konkrete Vorstellung, wie die Arbeiten aussehen werden. Ich weiß, welche Abmessung, welche Bildkomposition ein entstehendes Werk haben wird und welche Farbpalette ich benutzen möchte. Es ist jedoch nur eine grobe Skizze, denn im Malprozess achte ich auf Zufälle und wohin die Arbeit sich verselbständigt. Die besten Arbeiten sind somit ein Zusammenspiel aus meiner Kontrolle und einem kultivierten Zufall.

KÜNSTLER HELFEN DEN MENSCHEN ZU SEHEN BZW. ZU ERKENNEN.

e: Verschiedene Ihrer Arbeiten fokussieren sich auf ein Thema, wie zum Beispiel Magnetismus oder bestimmte Grundkräfte der Natur. Ist es dann so, dass Sie eine Idee haben, die Sie vertiefen möchten und über die Recherche verdichten, bis daraus eine Arbeit wird?

AT: Wenn ich mich fokussiere, habe ich die besten Ideen. Dann lese ich zu einem bestimmten Thema sehr viel. Ich habe nicht Physik studiert und trotzdem möchte ich wissen, warum es eine Rot-Blau-Verschiebung gibt oder was Schwarze Löcher sind. Ich möchte in meiner Kunst nicht Antworten geben, sondern diesen Initialfunken der kindlichen Neugier übertragen.

Die Kraft der Kontraste

e: In einer Arbeit setzen Sie sich mit dem Licht auseinander und stellen die Farbtheorien von Newton und Goethe nebeneinander, die ja ein Beispiel sind für eine mehr objektive und eine mehr subjektive Herangehensweise an ein Phänomen. Versuchen Sie in Ihrer Kunst, diesen objektiven Blick der Wissenschaft mit dem subjektiven, empfindenden Erleben zu verbinden?

AT: Ich bin Malerin und ich beschäftige mich tagtäglich mit Farbe. Was ist Farbe? Wie wirkt Farbe? Was ist die Wahrnehmung? Was bewirkt sie in mir? Die wissenschaftliche Herangehensweise finde ich sehr spannend. Da wird weißes Licht durch Prismen in die Spektralfarben gebrochen und Newton erklärte, Weißlicht sei keine Einheit, es bestehe aus vielen unterschiedlichen Farben. Im Gegensatz zu Goethe, der die Farbe immer als Einheit sah und sagte, der Farbton setze sich aus Helligkeit und Dunkelheit zusammen. Gegensätzlicher kann eine Betrachtung desselben Gegenstandes nicht sein. Und das hat mich bei dieser ganzen Recherche sehr interessiert, weil die besten Arbeiten aus Kontrasten oder Polaritäten entstehen.

e: Ihre Arbeiten geben mir oft den Eindruck, dass es um Prozesse von Transformation geht, sodass man das Gefühl hat, Zeuge einer Dynamik, eines Geschehens, einer Wandlung zu sein. Ist es ein Anliegen Ihrer Kunst, dieses Prozesshafte zu vermitteln?

AT: Ja, es ist so, dass mich Wandel oder Umwälzung interessieren. Wir erleben alle den epochalen, krisenhaften Wandel im Klima. Die Arbeit »Stress« z.B. zeigt, dass die heutigen natürlichen Abläufe so gestört sind, dass sogar Wolken vom Himmel fallen. Diese sind dunkel aufgeladen, voller aufsteigenden Rußes und scheinen zu brennen. Vieles, was um uns herum passiert, konnten wir so nicht vorhersehen. Dieser epochale Wandel, den wir jetzt alle miterleben, diese gravierenden Veränderungen werden spürbar. Ich bin mir sicher, dass man über Emotionen, über Sinne, über Gefühle den Menschen noch am besten erreichen kann. Das könnte ein Hebel sein, um ihn zum Umdenken zu bewegen.

e: In »Verworfene Wahrheiten« setzen Sie sich auch mit dem Wandel unseres Wissens auseinander. Wie kam es zu dieser Arbeit?

AT: Bei meinen Recherchen bin ich der Frage nachgegangen, wie sich Tiere zwischen den Polen orientieren können, wie sie ihre Wanderschaft aufnehmen und wieder zurückkommen. Ich fand heraus, dass die gängige Auffassung, die etwa 40 Jahre Bestand hatte, dass dafür ferromagnetische Partikel in den Schnäbeln verantwortlich seien, widerlegt worden war und nun als schlichtweg falsch galt. Die Arbeit vereint die Schnäbel von acht Migrationsvögeln wie dem Star, Kranich oder Storch. Ich habe die Schnäbel in überproportionalen Größenverhältnissen in Ton nachgeformt, sie glasiert und senkrecht auf schwarze Flusssteine gesetzt. Die schwarzen dunklen Steine stehen in meiner Arbeit in Bezug zum Elektromagnetismus.

Den Hauptteil des Schnabels und den Hauptteil des Steines habe ich zusammengebracht zu einer Skulptur vor einem schwarzen Loch, in Anspielung auf die bis heute wissenschaftlich nicht geklärten Schwarzen Löcher in der Astronomie. Meine Arbeit stellt meine subjektive, sinnliche, künstlerische Antwort in der Kunst auf die wissenschaftliche Auseinandersetzung dar.

e: Wohl auch die Dynamik, dass etwas, was man als Wahrheit ansieht, von der Forschung widerlegt und verworfen wird – »Verworfene Wahrheit«?

AT: Auch darin zeigen sich Wandel und Prozess. Es ist sehr wichtig, dass wir uns und die wissenschaftlichen Ergebnisse infrage stellen und skeptisch und neugierig bleiben. Das ist der Motor für Veränderung und einen gewissen Fortschritt.

Begegnung mit dem Fremden

e: Eine Arbeit möchte ich zum Thema ›Wandel‹ noch ansprechen: »Equinox« hat eine kosmische Anmutung, sie verändert sich durch Lichteinwirkung, geht zwischen Licht und Dunkelheit in einen Prozess. Wie ist diese Arbeit entstanden, was hat Sie dazu bewegt?

AT: »Equinox« wurde 2018 in der Kunsthalle Cloppenburg ausgestellt, deren Dacharchitektur mir die Arbeit vorgegeben und mitgestaltet hat. Normalerweise ist Licht, UV-Licht, schädlich für Kunstwerke, doch diese Situation habe ich in einen Vorteil verkehrt. Eine dunkelblaue Papierbahn, die von der Decke hing, wurde während der sechswöchigen Ausstellungslaufzeit von der direkten Lichteinstrahlung gebleicht. Diese Bahn enthielt als Motive eine Sonne, eine Mondsichel und einzelne Planeten. Nur im unteren Bereich der Bahn lag eine zweite kreisförmige Papierfläche als Lichtschutz auf, die nach sechs Wochen entfernt wurde. Das Ergebnis war eine Helligkeitsverschiebung, da das unter der Abdeckung liegende Papier seine ursprüngliche Farbe behielt, während der Umraum aufgehellt wurde. Die Schablone ließ somit einen Vollmond auf dem Papier entstehen. Das war die Visualisierung des kosmischen Ereignisses der Tag- und Nachtgleiche, Equinox. Ich beschäftige mich immer wieder mit Astronomie, mit allem, was darunter fällt wie Gravitation, Blutmond, Mikro- und Makrokosmos. Das sind Themen meiner Kunst.

e: Und Sie möchten diese Kräfte verstehen und der Frage nachgehen, in welcher Art Universum wir eigentlich leben?

AT: Richtig. Denn wenn wir etwas Fremdem begegnen, erleben wir meist zuerst Skepsis und wollen uns nur ungern darauf einlassen. Aber wenn wir z.B. fremde Kulturen und fremde Menschen kennenlernen, uns etwas Fremdes aneignen und darüber reflektieren, dann entsteht Liebe. Deshalb halten diese Themen Einzug in meine Arbeit. Sie sollen bewirken, dass die Menschen darüber nachdenken und Liebe zur Natur, zur Umgebung, zu Naturphänomenen entwickeln und deshalb die Natur bewahren möchten, sie schützen und für sie kämpfen.

Author:
Mike Kauschke
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