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Seit Jahrzehnten setzt sich Nnimmo Bassey in Nigeria gegen die Umweltzerstörung durch Ölförderung ein, kämpft für Nahrungsmittelsicherheit und die Bewahrung der traditionellen kulturellen Weisheit. Gleichzeitig ist er Dichter und gibt mit Poesie und Aktivismus Impulse für eine soziale und ökologische Transformation in Afrika und darüber hinaus.
evolve: In deiner Arbeit sprichst du von einer Re-source Democracy. Kannst du erklären, was du darunter verstehst?
Nnimmo Bassey: Oft sprechen wir von natürlichen Ressourcen wie von Dingen, die wir verbrauchen können, wie immer wir wollen, ohne jeden Sinn für Verantwortung. Unser Umgang mit der Natur ist vom finanziellen Profit bestimmt. Daher dachte ich mir, dass das Wort Re-source mit einem Bindestrich versehen werden sollte, was so viel bedeutet wie: sich wieder mit der Quelle verbinden. Wir müssen verstehen, dass das, was wir natürliche Ressourcen nennen, ein Teil unseres Planeten ist. Sie sind ein Geschenk der Natur. Der Aspekt der Demokratie bedeutet, dass die Menschen in Gegenden, wo bestimmte Schätze der Natur vorkommen, das Recht haben sollten, zu bestimmen, ob jemand diese Ressource ausbeuten soll oder nicht und welchen Zwecken sie dienen sollen.
e: Das bezieht sich auf deine Erfahrungen in Nigeria. Was sind die dringlichsten Probleme, mit denen du in Nigeria zu tun hast?
NB: Zurzeit sind viele der Problembereiche, in denen wir arbeiten, auf die globale Erwärmung zurückzuführen, egal ob es um Ernährung oder Umweltverschmutzung geht. Die Ölkonzerne spielen eine zentrale Rolle bei der Emission von Treibhausgasen. Wenn wir Kampagnen gegen die expandierende Nutzung von fossilen Brennstoffen organisieren, dann kämpfen wir zugleich für Klimagerechtigkeit, damit die Menschen, die nicht zur Entstehung des Problems beigetragen haben, im wörtlichen Sinne Luft zum Atmen haben.
Darüber hinaus beschäftigen wir uns auch mit dem Problem der Ernährung. Menschen leiden Hunger, weil sie keinen Zugang zu Nahrung haben. Nahrungsmittel sind zu einer Ware geworden, mit der Profit erzielt wird. Der Klimawandel hat drastische Auswirkungen auf die Nahrungsmittelproduktion, weil es für Kleinbauern aufgrund sich verändernder Wetterverhältnisse schwieriger geworden ist, eine produktive Landwirtschaft zu betreiben.
Zudem wollen Biotechnologie-Konzerne die Folgen des Klimawandels nutzen, um für gentechnisch modifizierte Pflanzensorten Werbung zu machen. Sie behaupten, dass sie Pflanzen für den Feldanbau herstellen können, die dürre-resistent sind, und andere, die gegen Salzwasser gefeit sind und auch unter sehr widrigen Bedingungen gedeihen können. All dies sind falsche Behauptungen, denn wir wissen, dass es heimische Pflanzensorten gibt, die Kleinbauern über viele Jahre hinweg gezüchtet haben und die sehr gut an die verschiedenen Umweltbedingungen angepasst sind.
e: Woraus schöpfst du die Hoffnung, dass es Wege gibt, die Situation zum Guten hin zu beeinflussen?
NB: Es ist eine sehr schwierige Aufgabe. Wir führen unsere Kampagnen schon seit Jahrzehnten. Die größte positive Veränderung besteht darin, dass sehr arme Leute aufstehen, um ihre Rechte einzufordern. Viele Politiker haben, was Nahrungs- und Umweltfragen anbelangt, immer noch eine koloniale Denkweise. Den Neokolonialismus und die koloniale Mentalität in Angriff zu nehmen ist eine Aufgabe von großer Bedeutung für uns. In unseren Kampagnen bemühen wir uns, die Narrative zu dekolonialisieren und Politiker dazu zu bringen, die fundamentale Basis für die Probleme, die wir haben, zu erkennen.
e: Was ist deiner Meinung nach notwendig in diesem Prozess der Dekolonialisierung?
NB: Wenn Menschen ein dekolonialisiertes Bewusstsein entwickeln, dann setzen sie sich aktiv für die Durchsetzung praktischer politischer Ziele ein. Wir wollen die Entwicklung eines solchen Bewusstseins fördern, indem wir Politiker auf die Grassroots-Bewegung aufmerksam machen und die Grassroots-Aktivisten dazu bewegen, mehr Interesse für eine an aktuellen Problemen orientierte Politik aufzubringen. Wir können nicht weitermachen mit kolonialen landwirtschaftlichen Plantagen, die exportbestimmte Ernten und Geldgewinn zum Ziel haben statt die Nahrungsbedürfnisse der einheimischen Bevölkerung. Wir können nicht weiterhin den destruktiven und verantwortungslosen kolonialen Raubbau an Ressourcen zulassen. Unser Ziel ist es, eine Gesellschaft zu schaffen, die auf Solidarität basiert, die kooperativer, sozialer, traditionsbewusster und unserer Kultur angemessener ist als das kapitalistische System.
e: Gehört dazu auch eine Rückbindung zum kulturellen Erbe Nigerias?
NB: Ja, wir schöpfen in unserer Arbeit aus dem Schatz der kollektiven Vorstellungen. Das heißt, wir lernen von indigener traditioneller Weisheit. Wir lernen von kulturellen Bräuchen und ökologischen Normen, denn unser Volk hat sehr strenge Normen bezüglich sozialer Nachhaltigkeit, die es verbieten, irgendeine bestimmte Ressource übermäßig auszubeuten. Sogar was den Fischfang betrifft, gibt es Zeiten im Jahr, zu denen man nicht in bestimmten Flüssen oder in bestimmten Gegenden fischen darf. Wir lernen also von dem indigenen Wissen, wie man mit der Natur im Einklang lebt, wie man einander achtungsvoll behandelt, wie man Mutter Erde Achtung entgegenbringt, wie man sicherstellt, dass man die natürlichen Lebenszyklen nicht stört und wie man verbunden mit anderen Lebewesen lebt. Und dann sind da noch die kulturellen Elemente, die wir wieder aufleben lassen wollen, die Mythen und Erzählungen, die Rituale und Feste.
e: Wie ich gesehen habe, schreibst du auch Gedichte. Welchen Einfluss hat diese Dichtung auf dein Engagement?
NB: Es gibt eine sehr tiefe Verbindung zwischen den Künsten und dem Aktivismus. Und Dichtung ist eines der kulturellen Werkzeuge, die wir in unseren Kampagnen benutzen. Das ist wiederum eine Lektion unserer kulturellen traditionellen Gesellschaft. Gesetze und Regeln werden in den Gemeinschaften aufrechterhalten, und durch Lieder und Gedichte wird ihnen Nachdruck verliehen. Eines meiner Gedichte trägt den Titel »We Thought it was Oil, but it was Blood«. Ich schrieb jenes Gedicht, nachdem einige Jugendliche eine Aktion ausführten, bei der sie einige Ölquellen blockierten. Daraufhin machte das Militär Jagd auf sie und tötete einige von ihnen. Wenn eine direkte Verbindung zwischen dem Öl und dem Blut der Bevölkerung hergestellt wird, dann trägt das dazu bei, dass das Bewusstsein geschärft wird und sich gegen die fortwährende Zunahme der Zerstörung richtet.
e: Ist das Schreiben von Gedichten für dich auch eine Art Quelle der Kraft und Resilienz, damit du diese Arbeit fortführen kannst?
NB: Für mich bewirkt es zweierlei: Es hilft mir, leichter und schneller zu kommunizieren, denn du kannst mit wenigen Worten viel sagen. Es ist offen für Interpretation, daher können die Leute die Gedichte auf ihre eigene Weise nutzen. Und es ist auch eine Therapie für mich selbst. Es hilft mir, meine Perspektive zu wahren, fokussiert zu bleiben auf die Aufgaben, die erledigt werden müssen. Dichtung erfüllt mich mit Energie und fordert mich heraus.
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