Die Schönheit des Verborgenen

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Interview
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July 18, 2019

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Ausgabe 23 / 2019:
|
July 2019
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Ein Interview mit der Künstlerin Elpida Hadzi-Vasileva

Wenn man der Kunst von Elpida Hadzi-Vasileva zum ersten Mal begegnet, mischt sich Faszination und mit Irritation. Viele ihrer Arbeiten entstehen aus tierischen Materialien, die sonst bei der Schlachtung weggeworfen werden. Hadzi-Vasileva arbeitet sie in Installationen ein, die mit Raum, Struktur und Licht arbeiten. Dieses Offenlegen verborgener Verhaltensweisen, Materialien und Räume leitet sie auch bei ihren Arbeiten in der Natur oder ihren Aktionen in industriellen Umgebungen. Wir sprachen mit der mazedonischen Künstlerin, die heute in London lebt, über die Schönheit des Verborgenen.

evolve: Was hat dich dazu motiviert, Künstlerin zu werden?

Elpida Hadzi-Vasileva: Begonnen habe ich als Grafikdesignerin im ehemaligen Jugoslawien. Nach dem Krieg studierte ich in England an der Central School of Speach and Drama in London und später an der Glasgow School of Art. Mein Professor in London sagte: »Du bist keine Grafikdesignerin, du bist eine Gestalterin.« Und das stimmt, schon als Kind hat es mir Freude gemacht, meine Hände und meinen Tastsinn zu gebrauchen und das Material zu fühlen. Die Natur und die Räume, in denen wir leben und wie wir darin gegenwärtig sind, haben mich schon immer angezogen.

In meinem zweiten Jahr in Glasgow begann ich, außerhalb des Studios zu arbeiten. Ich fand diese fantastischen Plätze außerhalb der Stadt, vor allem wunderschöne Waldgebiete. Dort arbeitete ich, machte Fotos und zeigte sie meinem Professor. Dabei entwickelte sich mein Interesse an der Resonanz mit einer Umgebung und an verborgenen Räumen. Es faszinierte mich, Räume offenzulegen, denen wir normalerweise keine Aufmerksamkeit schenken.

So hieß mein erstes Werk nach meinem Abschluss »Ambush« – Versteck: In einem Waldstück wurden unter Anleitung von Förstern Tunnel gegraben, um die Wurzeln lebender Bäume freizulegen. Dann wurde der Waldboden mit Glasplatten abgedeckt, sodass man hinuntersehen konnte. Die Besucher, darunter auch Schulklassen, konnten auch hinuntersteigen und in zwei Metern Tiefe zwischen den Wurzeln umhergehen. Man konnte sehen, wie viel Leben unter der Erde ist, dem wir keine Aufmerksamkeit schenken. In einer anderen Arbeit legte ich im wahrsten Sinne des Wortes einen abgestorbenen Baum frei, indem ich die Wurzeln ausgrub und sie umdrehte, sodass die Leute sie sehen konnten.

Ein Teil des Raumes werden

e: Du arbeitest mit ganz unterschiedlichen Mitteln: in der Natur, mit tierischen Materialien, mit besonderen Umgebungen und den Menschen dort. Wie hat sich deine Arbeitsweise entwickelt?

EHV: Bei allen meinen Arbeiten geht es darum, nicht nur ein Objekt zu schaffen, das die Menschen anschauen können, sondern einen Raum, den sie erfahren können. Das Kunstwerk als ein vollkommener Raum, der auftaucht und in den du mit all deinen Sinnen eintauchst.

Ich begann, mich mit den inneren Räumen des Körpers zu befassen, und ich war davon fasziniert, mit weggeworfenen Materialien zu arbeiten. Für ein Projekt in Berwick-upon-Tweed im Rahmen eines Stipendienaufenthaltes reinigte ich etwa sechs Monate lang Lachshäute und fertigte aus der Epidermis prachtvolle Baldachine. Ein anderes Projekt hieß »Schmetterlinge im Bauch«. Dabei arbeitete ich zum ersten Mal mit Fettnetz, einem feinen, netzartigen Fettgewebe im Bauchfell von Schweinen, in das die Organe eingehüllt sind. Dieses Material ist für meine Arbeit kennzeichnend geworden. Es verbindet alle Organe, auch im Menschen. Für mich trägt es eine tiefe Bedeutung, denn es ist lebenswichtig und doch verborgen.

Dieses Material verwende ich in Installationen, um eine Hülle im Raum zu schaffen, die beim Betrachter den Eindruck erweckt, im Körperinneren zu sein. Bei den meisten Arbeiten mit Fettnetz schaffe ich eine Umgebung, von der die Menschen ein Teil werden, sodass Fragen auftauchen und sich Bewusstheit entwickelt. Der Frage, was gesund oder ungesund ist, was schön und hässlich ist und warum wir manche Dinge zurückweisen, will ich nachgehen. Denn je mehr ich mit dieser Art Material gearbeitet habe, desto mehr beschäftigte ich mich damit, dass es abgelehnt und weggeworfen wird. Das ist mir auch klar geworden, als ich ein Kunstprojekt in Restaurants mit einem Michelin-Stern gemacht habe. Aufgrund dessen habe ich auch über das Konzept der gesunden Ernährung nachgedacht: Wir wollen uns gesund ernähren und lehnen deshalb vieles ab, was bei der Produktion von Lebensmitteln entsteht, z. B. die Organe von Tieren, die wir nicht essen wollen. Dadurch tragen wir zu einer ungesunden Umwelt bei. Ich kann das nicht ändern, aber es ist mir wichtig, Menschen dazu bringen, darüber nachzudenken.

Ich arbeite auch viel mit Materialien, die vom Schwein stammen, dem Tier, das uns von der Anatomie her am ähnlichsten ist. Es gilt aber als schmutziges Tier und deshalb ist es in manchen Kulturen verboten, Schweinefleisch zu essen. Solche Dinge stelle ich gerne in Frage. Für die Biennale in Venedig 2015 beauftragte mich der Vatikan mit der Schaffung eines Werkes im Holy See Pavillon, ausgehend von dem Satz in der Bibel: »…und das Wort wurde Fleisch«. Es befasst sich mit religiösen Konnotationen und damit, wie durch kulturelle und religiöse Codes die Trennung zwischen den Nationen und den Menschen entstehen konnte. Wir trennen uns voneinander, obwohl wir alle gleich, alle aus dem gleichen Material gemacht sind. Wir alle lösen uns wieder auf und gehen wieder in die Natur ein.

Dabei verwendete ich als zentrales Element einen Teil des Kuhmagens. Metzger nennen ihn die Bibel, denn wie ein Buch hat er viele dünne Schichten in sich. Er ist wertlos und ihn zu säubern dauert Stunden, daher wird er meist weggeworfen. Aber wenn er gereinigt ist und man ihn umdreht, sieht es aus wie wunderschöne Blütenblätter. Ich verstand, weshalb man ihn die Bibel nennt: Er ist so schwer zu säubern und die Bibel ist so schwer zu lesen.

Der Wert des Lebens

e: Deine Kunstwerke sind konfrontativ und gleichzeitig schön. Die Materialien fordern den Betrachter heraus, indem sie etwas enthüllen, das sonst verborgen ist, zum Beispiel, wie wir mit Tieren umgehen. Was möchtest du durch die Verwendung dieser Materialien mitteilen?

EHV: Ich möchte etwas zeigen, das verborgen ist, aber sehr schön. Wir kümmern uns nur um unser Äußeres und darum, gut auszusehen. Unser Inneres sehen wir nur, wenn wir krank sind und untersucht werden, und selbst wenn wir es sehen, beachten wir es nicht wirklich. Ich konfrontiere die Menschen damit, sodass sie darüber nachdenken. Durch den umgebenden Raum und durch das Material, das ich verwende, versuche ich, eine Verbindung herzustellen mit der Fragilität unserer Körper und unserer Umgebung.

Mir geht es auch um Fragen über Werte im Leben. Wie messen wir einer Sache einen Wert bei? Wenn du etwas Hässliches siehst, weichst du zurück. Aber verändert sich deine Wahrnehmung, wenn du es bearbeitest und etwas Schönes daraus machst?

Wenn Menschen zufällig auf meine Arbeit stoßen und nichts über mich wissen, sind sie entweder abgestoßen oder sehr interessiert. Sie kommen in den Raum, sind erstaunt und beeindruckt und sehen die Schönheit. Sage ich ihnen dann, aus welchem Material die Arbeiten bestehen, gehen manche von ihnen wieder hinaus, denn sie können nicht damit umgehen. Andere sind dagegen interessiert und wollen mehr wissen.

e: Eines deiner Kunstwerke trägt den Titel »Fragilität«. Es hat mich beeindruckt, wie du das Thema Tod und Sterben mit diesem Material darstellst, das von einem toten Tier stammt, und es mit der Schönheit der Struktur verbindest.

EHV: Es ging es bei dem Werk um den Moment des klinischen Todes, von dem man sagt, dass die Menschen dann einem Licht folgen. Es wurde in einer ehemaligen Kirche installiert, in der heute die Fabrica Gallery Brighton beheimatet ist, und wir haben zwei Jahre dafür gebraucht. Ich wollte einen Raum im Raum schaffen, der Licht einfängt, und das beste Material hierfür war Fettnetz. Der Eintritt war aus Richtung Osten und man ging in Richtung Westen auf den Altar zu. Hinter dem Altar war ein Raum der Kontemplation, geschlossen durch Vorhänge. Man konnte sie zur Seite schieben und durch den Raum hindurchgehen. Wenn man sich umdrehte und zurückschaute, sah man direkt in einen Tunnel aus Licht, der durch das östliche Fenster schien. Am erstaunlichsten war, wie leicht das Material war und wie sehr die Anwesenheit des Betrachters im Raum das Material veränderte. Durch seine Bewegung bewegte sich das ganze Werk.

Im Dialog mit dem Material

e: Deine Kunstwerke erfordern viele Stunden anstrengender körperlicher Arbeit, bei der du mit Körperteilen toter Tiere arbeitest. Wie erlebst du diesen Prozess?

EHV: Es ist fast ein Teil von mir geworden. Es ist nicht nur körperlich schwere Arbeit, es gibt dabei auch starke Gerüche. Aber ich nutze diese Zeit der intensiven Arbeit als eine Art meditativen Raum, in dem ich über das Werk nachdenke und es plane. Aus ihm entstehen viele Dinge und er hat große Bedeutung für mich. Am Anfang eines Werkes steht immer eine Idee, doch manchmal ist es nicht möglich, sie so umzusetzen, und oft entwickelt es sich dann aus dem Material selbst.

DAS KUNSTWERK IST EIN VOLLKOMMENER RAUM, IN DEN DU MIT ALL DEINEN SINNEN EINTAUCHST.

e: Du machst auch Projekte in Industriegebieten und in der Natur. Dabei tauchst du umsichtig in ein Milieu ein, triffst dich mit den Menschen darin im Austausch und hörst ihnen zu. Diese Aspekte fließen in das Kunstwerk ein. Weshalb ist das so wichtig für dich?

EHV: Ich suche mir immer neue Themenbereiche, und oft besitze ich keine großen Sachkenntnisse. Daher ist es wichtig, mit Fachleuten zu sprechen. Meist melden sich die Menschen durch öffentliche Ausschreibungen bei mir. Dadurch bekomme ich nicht nur während der Installation neuen Input, sondern während des gesamten Schaffensprozesses. Manchmal verändern sich meine Ideen durch Diskussionen mit Fachleuten über ihre Erfahrung und Kenntnisse, und ihr Einfluss auf meine Arbeit ist wesentlich. Mich begeistert die Idee des Lernens. Ich lerne von ihnen und sie lernen von mir, z. B. bestimmte Handfertigkeiten. Meist sind wir am Ende des Projektes gute Freunde.

Während eines meiner medizinischen Projekte sind drei Patienten wirklich gute Freunde geworden, mit denen ich regelmäßig in Kontakt bin. Ich sperre mich nicht im Atelier ein und arbeite für mich allein. Es ist fast so, als ob du deine Flügel ausbreitest und Kenntnisse und Wissen in einem neuen Umfeld verbreitest. Manche Ärzte, mit denen ich gearbeitet habe, haben meine Arbeit dazu verwendet, um mit Patienten ins Gespräch zu kommen, um Hemmungen zu überwinden und über Krankheit und Tod zu sprechen.

Den Körper verstehen

e: Du hast auch mit Ärzten zusammengearbeitet, um besser zu verstehen, wie der menschliche Körper funktioniert. Wie hast du das in deiner Kunst verwendet?

EHV: Der Körper und seine Innenräume interessieren mich, und ich möchte Kunstwerke schaffen, die sich mit ihm befassen. Ich arbeite mit Wissenschaftlern von drei Universitäten zusammen (University of Nottingham, University College London and University East Anglia), die Hilfsmittel entwickeln, um den Körper und bestimmte Organe zu unterstützen, wenn diese nachlassen.

DIE FRAGE, WAS SCHÖN UND HÄSSLICH IST UND WARUM WIR MANCHE DINGE ZURÜCKWEISEN, FASZINIERT MICH.

Sie sind Menschen, die wie ich gestalten und erschaffen. In Nottingham arbeitete ich besonders mit MRT-Untersuchungen und der Idee, den Körper in viele unterschiedliche Schichten zu zerlegen und diese Schichten dann in eine Reihenfolge zu bringen. Ich habe mit Darmspezialisten gearbeitet, die Endoskopien und Darmspiegelungen durchführen und mir erlaubten, einen Blick in diese inneren Räume zu werfen. Ich hatte auch Kontakt mit Patienten. Einer erlaubte mir, seine Operation zu filmen. In diesem Prozess gibt es auch viele traurige Momente, aber die Gespräche und die Ideen, die ich mit ihnen entwickelt habe, sind mir besonders wichtig. Das Projekt selbst ist nur eine Folge davon. Durch meinen Kontakt mit so vielen Menschen aus so unterschiedlichen Bereichen fasziniert es mich immer mehr, Kunstwerke zu schaffen, die auf den Körper und seine verborgenen Räume und Prozesse eingehen.

e: Es war eine selbstbewusste Entscheidung, mit diesen herausfordernden Materialien zu arbeiten. Gleichzeitig ist eine gewisse Bescheidenheit zu spüren, wenn du darüber sprichst. Siehst du einen Zusammenhang damit, dass du aus Mazedonien kommst, einem Land, das unter der Last eines Krieges und dessen Folgen leidet?

EHV: Sicher, ich kann das immer deutlicher in mir wahrnehmen. Obwohl Mazedonien nicht sehr stark vom Krieg betroffen war, haben wir viel durchgemacht. Ich bin früh von zu Hause weg und musste wirklich für mich kämpfen. Ich war erst siebzehn oder achtzehn und reiste durch ein Land, in dem die Menschen sich umbrachten, selbst Menschen, die Freunde gewesen waren. Als ich nach England kam, hatte ich kein Geld, nur den festen Entschluss, zu studieren und meinen Weg zu gehen. An meine Arbeit habe ich immer geglaubt.

Auf meiner Internetseite gibt es ein fotografisches Werk mit Bildern von all den Massengräbern auf dem Balkan (www.elpihv.co.uk/archive/time-stands-still). Es war ein Projekt, das ich zusammen mit meinem Vater gemacht habe und das sehr wichtig für mich war. Du kannst nicht vergessen, wo du herkommst, es ist in deinem Blut. Manchmal werde ich gefragt, wo mein Zuhause ist. Ich weiß es nicht, ich habe keines. Ich lebe in England, aber da fühle ich mich nicht zu Hause, und wenn ich nach Mazedonien komme, fühle ich mich dort auch nicht zu Hause. Ich glaube, zu Hause ist immer da, wo man ist.

e: Vielleicht ist deine Kunst auf gewisse Weise dein Zuhause geworden.

EHV: Ja, ich glaube, das ist eine sehr gute Antwort.

Author:
Mike Kauschke
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