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»Das Funkeln in den Augen – darauf kommt es mir an«
Ilan Siebert hat auf der Suche nach innovativen Ansätzen in der Wirtschaft ein Jahr bei den Knowmads in Amsterdam Social Entrepreneurship studiert – und den Wert und die Hindernisse des kreativen Chaos erfahren.
evolve: Du hast bei den Knowmads in Amsterdam studiert, wie ist es dazu gekommen?
Ilan Siebert: Nach meinem BWL-Studium hatte ich mehrere Angebote aus der Wirtschaft, jedoch keines, das zu dem Zeitpunkt stimmig für mich war. Eine Arbeit zu finden, bei der das zwischenmenschliche Verhältnis, die Sinnhaftigkeit und die Bezahlung stimmen, ist definitiv eine Herausforderung. Für mich war es immer wichtig, mich einzubringen und mit praktischer Zuversicht Verantwortung zu übernehmen. Das Studienjahr bei Knowmads in Amsterdam kam da als eine gute Alternative.
e: Kannst du mehr über die Knowmads erzählen?
IS: Die Knowmads gehen auf die Kaos-Piloten in Dänemark zurück. Beides sind alternative Schulen für Social Entrepreneurship und Ideenschmieden für Menschen, die ihre Visionen finden, leben und umsetzen möchten. Zwei Absolventen der Kaos-Piloten aus Dänemark gründeten die Knowmads in Amsterdam. Dort begegnet sich jedes Jahr eine Gruppe von jungen Menschen zwischen 20 und 35 Jahren, um eigene Lernfelder und den Lehrplan selbst zu gestalten. Ziel ist, das zu lernen, was dir selbst wichtig ist, und dabei persönlich zu wachsen.
e: Das klingt spannend, wie sieht das in der Praxis aus?
IS: Die Praxis ist oft ein ziemliches Chaos. Grund dafür ist, dass die Ausbildung sehr unstrukturiert abläuft. In den ersten beiden Monaten gab es einige Workshops über Deep Democracy, Project Design oder Gewaltfreie Kommunikation. Danach war nichts mehr vorbereitet, sondern man hatte einfach sehr viel Raum, eigene Projekte zu entwickeln, was aber bei vielen dann auch etwas im Sand verlaufen ist. Ich konnte aber mit einem Freund eine Workshopreihe zum Thema Selbstorganisation initiieren und umsetzen. Die Workshops beschäftigten sich mit Ansätzen wie Theorie U oder Spiral Dynamics.
Der Vorteil bei den Knowmads war dieser Raum, sich selbst einzubringen. Der Nachteil war die mangelnde Struktur und für mich auch ein fehlender Fokus auf die konkrete Umsetzung. Wir haben doch relativ viel im Kreis gesessen und darüber diskutiert, warum wir nicht zusammenarbeiten können. Dabei habe ich gemerkt, wie schwierig es ist, Gruppenentscheidungen zu treffen, wenn es kein gemeinsames Ziel, keinen Common Purpose, gibt und kaum tragende Strukturen vorhanden sind.
Gleichzeitig habe ich außergewöhnliche Leute mit inspirierenden Visionen kennengelernt, die zum Beispiel Ökodorfer gründen wollen. Oder Leute, die im bestehenden System und klassischen Unternehmen gut klarkommen, denen aber reine Gewinnmaximierung zu leer und als Selbstzweck nicht genug ist. Und es gab auch Leute, die einfach noch nicht wussten, was sie mit ihrem Leben anfangen wollen. Für all das gab es Raum und machmal Unterstützung. Diese Bereitschaft, einander zu unterstützen und zu ermutigen, war für mich eigentlich die wichtigste Erfahrung, die mich auch veranlasst, weiter an neuen Formen der Zusammenarbeit zu arbeiten. Deshalb haben sich in meiner Zeit bei den Knowmads ganz sicher mein Mut und mein Selbstvertrauen vertieft. Und ich habe auch zu einer Klarheit gefunden, welche Mission ich zur Zeit in meinem Leben verfolgen will.
e: Was ist deine Mission?
IS: Ich will Menschen und Organisationen darin unterstützen, von der Abhängigkeit vom Markt zur Selbstwirksamkeit zu gelangen. Gerade auch in der Wirtschaft möchte ich ein Umfeld gestalten, wo Menschen ihr Potenzial kraftvoll entfalten. Dies kann durch eigene Projekte oder auch durch die Mitarbeit in Firmen geschehen. Ich will einen Weg kreieren, persönliche Entwicklung, Erfahrungen – evtl. auch spiritueller Natur – und Wirtschaft miteinander zu kombinieren. Wichtig für mich ist, dies nicht getrennt zu sehen, sondern gleichzeitig zu leben. Dies führt dazu, dass es sozial und ökonomisch nachhaltig ist, sich am Menschen orientiert und einen humanistischen Sinn hat. Konkret kann ich mir viele Bereiche und Branchen vorstellen. Der Mensch steht für mich im Mittelpunkt, eingebunden in eine soziale, ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit. Ob dies durch Social Media Marketing oder einen Wochenmarkt gelebt wird, ist für mich sekundär.
Es geht darum, die Potenziale zu nutzen, die sowieso vorhanden sind. Selbstorganisation scheint dafür ein guter Ansatz zu sein. Dies wird sowohl digital durch Tools wie Part-up, Asana, Trello, Facebook und Twitter als auch zwischenmenschlich durch Ansätze wie Appreciative Inquiry und Art of Hosting unterstützt. Diese Formen der neuen Zusammenarbeit online und offline faszinieren mich. Die Online-Tools ermöglichen eine andere Organisation, in der durch Transparenz die Verteilung von Aufgaben flexibler gehandhabt werden kann, je nach den jeweiligen Potenzialen und Interessen der Mitarbeiter. Und durch die zwischenmenschlichen Methoden wird die achtsame und wertschätzende Zusammenarbeit gestärkt.
e: Gibt es Projekte, in denen du selbst an so einer Verbindung arbeitest?
IS: Mit einem Freund habe ich eine Interview-Reihe gestartet, in der wir mit innovativen Unternehmern sprechen – mit Menschen, deren Augen funkeln, die eine Mission im Leben haben und Freude daran finden, diese umzusetzen. Es ist faszinierend zu sehen, wie Unternehmen anders organisiert werden können und welche Potenziale das freisetzt.
Part-up, ein Start-up aus Den Haag, dem ich helfe, interne Organisationsstrukturen zu entwickeln, bietet eine Onlineplattform, um das Denken in Projekten zu ermöglichen, an denen in dynamischen Teams gearbeitet wird. Agile und transparente Organisation innerhalb von Unternehmen und Communities aber auch zwischen Unternehmen und in der Zivilgesellschaft könnte viel Potenzial freisetzen. Dass Menschen ihre vielseitigen Talente in ihrer festen Community und ihrem Unternehmen, aber auch darüber hinaus einsetzen können, finde ich eine wunderbare Mission.
Ein Beispiel ist »Ohne Job, aber nicht ohne Hoffnung«, ein Part-up-Event, das ein Nutzer organisiert hat. Menschen, die gerade ihren Job verloren haben, treffen sich dort, um neue Möglichkeiten zu finden, wie sie arbeiten, sich einbringen oder gemeinsam ko-kreieren können. Für mich ist das auch eine neue Neudefinition von Arbeit, um die eigenen Qualitäten und Fähigkeiten in Projekten bestmöglich einzubringen. Für mich ist genau das ein unternehmerischer Spirit der Zusammenarbeit – vom Start-up hin zum Part-up!
e: Hast du eine persönliche Praxis, die dich bei all den Projekten zentriert?
IS: Meditation ist nicht so meins, dann eher Techno ... Aber ich übe regelmäßig Yoga mit meditativen Elementen, und ich schreibe täglich Tagebuch. Da stelle ich mir immer wieder präzise Fragen, einen Wert zum Beispiel, den ich jeden Tag neu definiere. Momentan ist es Neugier. Es ist eine Möglichkeit, den Fokus der Achtsamkeit auszurichten und dadurch diese Qualität ins Leben einzuladen.
e: Wo siehst du dich in 20 Jahren?
IS: Ich würde das gern umändern und fragen, wo ich in 40 Jahren stehe. Ich möchte nicht einer sein, der über sein Leben nörgelt und sich auf die Pension freut. Einige wenige Menschen kenne ich, die auch mit 60 oder 65 eine inspirierende Mischung aus Weisheit und Aktivität leben. Meine Strategie ist, offen zu sein für Überraschungen und diese zu nutzen, wenn sie entstehen. Das gilt auch für die nächsten 40 Jahre: offen zu sein für ein Leben voller ungeplanter Erfolge. Die Vorstellung gefällt mir ganz gut.
Das Gespräch führte Adrian Wagner.
Author:
Adrian Wagner
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