Fließende Identitäten

Our Emotional Participation in the World
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Kolumne
Published On:

July 18, 2022

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Ausgabe 35 / 2022
|
July 2022
Das Heilige
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Eindrücke von der Biennale Venedig

Nach der pandemiebedingten Verzögerung um ein Jahr ist Venedig nun wieder mit 80 Länderpavillons und 30 weiteren Ausstellungen die weltweit wichtigste Großausstellung. Die Kuratorin Cecilia Alemani hat den Anspruch, in dieser Institution, mit einer Geschichte seit 1895, historische Zusammenhänge aufzuzeigen und den gegenwärtigen Krieg in der Ukraine nicht auszuklammern. So bleibt der russische Pavillon leer, vor dem ukrainischen sind Sandsäcke aufgehäuft, und der deutsche Pavillon »Relocating a Structure« von Maria Eichhorn macht durch Abtragen des Mauerwerks im Inneren auf die Geschichte aufmerksam. Ursprünglich wurde der Pavillon 1909 als Bayerischer Pavillon errichtet, 1938 von den Nazis erweitert und aus Ideologiezwecken zu einer faschistischen Herrschaftsarchitektur umgewandelt. Nun treten die Nahtstellen zwischen dem ursprünglichen Gebäude und seiner Erweiterung durch die Nazis scharf hervor.

Cecilia Alemani konzentriert sich in ihrem Ausstellungskonzept auf drei Themen: die Repräsentation von Körpern und ihren Metamorphosen; die Beziehung zwischen Individuen und Technologien; die Verbindung zwischen Körpern und der Erde. »Wie verändert sich die Definition des Menschen? Was macht das Leben aus und was unterscheidet Tiere, Pflanzen, Menschen und Nicht-Menschen?« Sie nimmt die Besucher mit »auf eine imaginäre Reise durch die schillernde Welt immer neuer Metamorphosen der Körper und stellt dabei die herrschenden Definitionen des Menschlichen infrage«.

¬ DIE KÜNSTLERINNEN BLICKEN AUF EINE ANDERE BEZIEHUNG ZUR NATUR. ¬

Den Titel für die Ausstellung »The Milk of Dreams« entnahm sie dem Kinderbuch der Surrealistin Leonora Carrington über eine magische Welt, in der das Leben durch das Prisma der Fantasie immer wieder neu erfunden werden kann. »Carringtons Erzählungen beschreiben eine freie Welt, die vor Möglichkeiten übersprudelt«, heißt es in der Mitteilung der Biennale zu ihrem Titel. Dieses gegen alles Hierarchische gerichtete Denken hinterfragt die traditionellen Lehren der Aufklärung und Renaissance von einer Welt, in der der Mensch, letztlich der Mann, das Zentrum und das Maß aller Dinge ist. In der Ausstellung werden nicht traditionelle Körper dargestellt, sondern erweiterte, fragmentierte, auseinandergenommene, die sowohl die physischen als auch die Grenzen der Leinwand hinter sich lassen. Die Idee von Fluidität und Hybridität der Identität steht dabei in Verbindung mit zeitgenössischen Überlegungen zu Rasse und Geschlecht. Dem Optimismus, der Mensch könne durch die Technologie Unsterblichkeit erlangen, steht die Angst vor einer totalen Übernahme durch die künstliche Intelligenz gegenüber.

Es geht um die Beziehung zu unserem Planeten, der Erde. Es geht um Fragen unserer Verantwortung gegenüber dem Planeten und anderen Lebensformen. Wie sähe das Leben ohne uns aus? Was heißt überhaupt Leben, und worin unterscheiden sich Pflanzen und Tiere, menschliche und nichtmenschliche Wesen? In den letzten Jahren, noch vor der Pandemie, versuchten viele Künstlerinnen das Ende des Anthropozentrismus darzustellen. Cecilia Alemani hat einige von ihnen eingeladen, sie blicken auf eine andere Beziehung zur Natur, die, statt auf Ausbeutung oder Extraktion fixiert zu sein, horizontal, symbiotisch, überraschend und magisch ist.

In diesem Kontext spricht z. B. die Künstlerin Rosi Braidotti von »Erde-Werden«. Sie holt Beiseitegedrängtes, Vergessenes, Zu-wenig-oder-gar-nicht-Beachtetes ans Licht – beispielsweise fremde Mythen, Legenden und Geschichten der Vorfahren –, integriert und setzt es in Beziehung zur zeitgenössischen Kunst: »Das Wunderbare ist doch, dass die Kunst die Kraft hat, neue Vorstellungen zu erzeugen.«

Author:
Andreas Klasse
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