By clicking “Accept All Cookies”, you agree to the storing of cookies on your device to enhance site navigation, analyze site usage, and assist in our marketing efforts. View our Privacy Policy for more information.
Unternehmerisches Bewusstsein für Mensch und Umwelt
Stefan Topp ist Geschäftsführer eines Familienunternehmens in der Textilbranche mit 200 Mitarbeitern an vier Standorten: dem Hauptsitz im Allgäu und Fabriken in Italien und Rumänien. Mit ungewöhnlichen Entscheidungen für die Mitarbeiter und die Umwelt versucht er, unternehmerisches Handeln neu zu denken und umzusetzen. Wir sprachen mit ihm über eine Unternehmenskultur des Vertrauens.
evolve: Du hast vor 14 Jahren das Unternehmen Topp Textilien von deinem Vater übernommen und sehr schnell die ziemlich ungewöhnliche Entscheidung getroffen, einen großen Teil des Gewinns an die Mitarbeiter auszuschütten. Was hat dich dazu bewegt?
Stefan Topp: Ich habe die Gewinnbeteiligung einige Monate nach der Übernahme eingeführt. Wir waren in einer Phase, in der es dem Unternehmen nicht so gut ging und ich von den Mitarbeitern Überstunden gefordert habe. Vor diesem Hintergrund habe ich es als selbstverständlich gesehen, dass es ein Geben und Nehmen sein sollte, denn wir sitzen alle im selben Boot. Deshalb sollten wir nicht nur die Anstrengungen, sondern auch die Erfolge gemeinsam tragen. Seitdem schütten wir zwischen 50 und 90 % des Gewinns an die Mitarbeiter aus. Mir ist das eine Herzensangelegenheit und die Basis dafür ist gelebte Wertschätzung.
e: Gibt es noch andere Wege, wie du diese Wertschätzung vermitteln willst?
ST: Das ist ein Lernprozess, in dem ich erfahren habe, dass es wichtig ist, sich in erster Linie für das Wohlergehen der Menschen verantwortlich zu fühlen. Wenn mir das wirklich am Herzen liegt, stärkt es auch die Firma. Mein Ziel ist, dass die Mitarbeiter eigenständig und eigenverantwortlich arbeiten und selbst Entscheidungen treffen können. Dabei gibt es aber auch Unterschiede, der eine will vielleicht gar keine großen Freiräume und ein anderer schon. Daher gilt es, sich individuell darauf einzustellen, was für den einzelnen Mitarbeiter geeignet ist. Wenn man als Führungskraft den Kontakt und das Gespräch mit den Mitarbeitern nutzt, dann weiß man, wie jede/r sich wohlfühlt und wie er/sie geführt werden will. Ich nenne das situative Führung.
e: Sowohl diese situative Führung als auch das Eingehen auf individuelle Bedürfnisse erfordern eine besondere Wachheit und Aufmerksamkeit für die Menschen.
ST: Ich glaube, jede Führungskraft, die ihre Aufgabe ernst nimmt, muss wissen, was ihre Mitarbeiter bewegt. Du musst deine Mitarbeiter verstehen und sie nicht nach deinem Stil einordnen wollen. Früher gab es für mich in der Führung zwei primäre Zielsetzungen: dass ich nachhaltig wirtschafte und dass meine Handlungen mit meinen Wertvorstellungen übereinstimmen. Heute ist es mir darüber hinaus ein Anliegen, Räume zu schaffen, in denen sich eine gelebte Herzlichkeit entwickelt.
e: Diese Haltung der Wertschätzung versucht ihr auch gegenüber der Umwelt zum Ausdruck zu bringen. Wie hat sich euer ökologisches Engagement entwickelt?
ST: Die Natur war mir schon von klein auf ein wichtiges Anliegen. Als ich das Unternehmen übernahm, gab es für ökologisches Engagement aber kaum Freiräume. Heute haben wir eine Bio-Kantine und kaufen möglichst regionale Produkte ein. Wir produzieren energieautark und sind unabhängig von der Stromversorgung. Wir haben ein Biotopsystem entwickelt, in das wir das Oberflächenwasser des Grundstücks leiten. Und letztes Jahr haben wir angefangen, 32 % des Gewinns in einen Nachhaltigkeitsfonds zu geben. Unser wirtschaftlicher Erfolg beruht auch darauf, dass wir nicht-nachwachsende Ressourcen von Mutter Erde nutzen, daher wollen wir auch etwas zurückgeben. Mit dem Nachhaltigkeitsfonds wollen wir hier in der Gegend Grundstücke aufkaufen, um sie zu renaturieren.
e: Es ist sicher nicht einfach, in der Textilbranche ökologisch und wirtschaftlich nachhaltig zu produzieren, bei einem vermutlich hohen Wettbewerbsdruck von Firmen aus Ländern mit niedrigerem Lohnniveau. Kannst du noch etwas zu den Textilien sagen, die ihr produziert, und wie ihr mit dieser Situation umgeht.
ST: Wir produzieren konfektionierte modische und technische Bänder, textile Schlauchgewebe und weitergehende textile Lösungen. Eingesetzt werden die Bänder und Stoffe in der Bekleidungsindustrie, bei Heimtextilien und technischen Textilien, z.B. in den Bereichen Automobilindustrie, Maschinenbau und Medizintechnik.
Es ist nicht leicht, in dieser Branche in einem Hochlohnland mit zusätzlichen erhöhten ökologischen und sozialen Anforderungen zu existieren. Unsere Strategie ist es, uns auf Nischen und spezielle textile Lösungen zu konzentrieren, um so die Rentabilität zu erzielen und ein nachhaltiges und ausgeglichenes Wirtschaften zu ermöglichen.
e: Was sind für dich in deiner Arbeit als Unternehmer die größten Herausforderungen?
ST: Die liegen für mich zum einen im ganz Menschlichen, also zum Beispiel nicht sofort emotional zu reagieren, wenn man an seine eigenen Grenzen stößt, sondern erst mal durchzuatmen und die Situation mit Abstand zu betrachten und den eigenen Anteil daran zu erkennen. So kann ein Raum entstehen, um aus alten Mustern auszubrechen.
Ich nehme das Unternehmen zunehmend als einen Organismus wahr, der Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Liebe braucht.
Als Unternehmer ist man zudem mit einigen »Ur-Themen« konfrontiert, wie Macht und Geld. Und als Unternehmer hat man auch – vielleicht oftmals nicht bewusst – Existenzängste. Oder man fragt sich: Ist die Investitionsentscheidung richtig? Ist diese Entscheidung richtig? Geht die Entwicklung in die richtige Richtung? Um mit diesen Herausforderungen umzugehen, ist es für mich wichtig geworden, eine innere Verwurzelung zu entwickeln. Hier ist für mich die Meditation zu einer Unterstützung geworden, weshalb ich auch einen Meditationsraum in der Firma eingerichtet habe, damit die Mitarbeiter dort einen Ruheort haben, wenn sie das wollen.
e: Wie erlebst du deine gestalterischen Möglichkeiten als Unternehmer?
ST: Als Sohn einer Unternehmerfamilie habe ich ursprünglich eher die negativen Seiten wahrgenommen, z.B. die Belastung für das Familienleben. Heute sehe ich es als ein Riesengeschenk, insbesondere, wenn man alleiniger Gesellschafter ist. Um einen Gestaltungsspielraum zu haben, muss aber die Nachhaltigkeit auf allen drei Ebenen gewährleistet sein: die ökonomische, die soziale und die ökologische Nachhaltigkeit. Ich denke, bei uns sind diese drei weitgehend im Gleichgewicht, wie in einem gesunden Organismus.
Ich nehme das Unternehmen zunehmend als einen Organismus wahr, der Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Liebe braucht, damit er funktioniert und in einem ausgeglichenen Zustand ist. Ein Unternehmen gestaltet Lebenswirklichkeiten und Erfahrungsräume für Mitarbeiter, Lieferanten und Kunden und es ist etwas Wunderschönes, wenn Menschen in diesem Prozess Vertrauen erfahren und sich mit ihren Fähigkeiten einbringen können.
e: Was ist für dich heute der Sinn eures Unternehmens?
ST: Ich habe ich vor ca. zehn Jahren erkannt, dass der wirtschaftliche Erfolg und die Zielerreichung nicht wirklich nachhaltig meine Zufriedenheit steigern, sondern dass es die tägliche Interaktion mit den Menschen und die tieferen Begegnungen dabei sind. Ich mache jeden Tag einen Rundgang durch den ganzen Betrieb, begrüße die Mitarbeiter, spreche mit ihnen und interessiere mich dafür, wie es ihnen geht. Das bietet mir mehr Zufriedenheit als ein großer betrieblicher Erfolg. Ich werde auch immer wieder mal gefragt: »Wie kannst du denn den ganzen Gewinn hergeben?« Aber ich empfinde das Unternehmen nicht als mein Eigentum, obwohl es das formal natürlich ist. Gefühlt ist es eher eine Leihgabe, und ich habe die Aufgabe und Ehre, es zu verwalten und weiterzuentwickeln. Daher habe ich nicht das Gefühl, dass mir etwas weggenommen wird. Ich möchte, dass es den Menschen und der Umwelt gut geht, das ist meine Zielsetzung.
Das Gespräch führte Mike Kauschke.
Author:
Mike Kauschke
Share this article:
Related Articles:
Gemeinsam wachsen und experimentieren
In der Lebensweise Community wird online, in Regionalgruppen und Community-Treffen ein neues Miteinander gelebt und erprobt. Wir sprachen mit der Impulsgeberin Vivian Dittmar und der Community-Hüterin Lina Duppel über die Chancen und Risiken von Gemeinschaft.
Dialogische Erfahrungen ermöglichen uns eine tiefere zwischenmenschliche Begegnung. Es gibt viele Praktiken, die diesen Raum authentischer, ehrlicher und heilsamer Beziehungen eröffnen. In den tiefsten und oft auch als sakrale Momente erlebten Erfahrungen zeigt sich in diesem Zwischenraum für Menschen eine Anwesenheit, die über uns als Einzelne hinausgeht und darauf hindeutet, dass sich ein neuer Lebensraum öffnet.
Pamela von Sabljar ist Gruppenmoderatorin und berät Organisationen und Führende bei Veränderungsprozessen. Dabei arbeitet sie auch mit dem Feld, das zwischen den Beteiligten entsteht. Wir erforschten mit ihr, wie sich aus der Wahrnehmung dieses Zwischenraums gemeinsame Prozesse anders gestalten lassen.