Das Wunder der Entfaltung
Rolf Verres’ Weg in die Welten des Bewusstseins
July 21, 2016
Dankbarkeit ist eine wunderbare Brücke zwischen allen Religionen und allen Menschen.« In diesen Worten ist die zentrale Botschaft des amerikanischen Benediktiners undinternational hoch geschätzten Vertreters des interreligiösen Dialogs, DavidSteindl-Rast, enthalten. Am 12. Juli wurde er 90 Jahre alt. Eben erst ist ervon einer mehrwöchigen Vortragsreise durch Südamerika zurückgekehrt. Bruder David ist ein Weltbürger. Und einer der großen Mystiker unserer Zeit.
Prägend für sein Leben waren die Jugendjahre in dem vom Krieg verwüsteten Wien des Zweiten Weltkrieges. Hier, inmitten der Zerstörung und im ständigen Angesichtdes Todes, wurde ihm bereits frühzeitig die Kostbarkeit des Lebens bewusst.Hier sind auch die Wurzeln seines unermüdlichen Engagements für den Weltfriedenzu finden. Anfang der 1950er Jahre wanderte seine Familie in die USA aus. Dort trat David in eine neu gegründete Ordensgemeinschaft der Benediktiner ein, wo ereine 12-jährige monastische Schulung durchlief und ein Studium der bildendenKunst, Philosophie und Theologie abschloss.
Wer Bruder David kennt, weiß, dass er das lebt, wovon er spricht: die tiefeDankbarkeit eines liebenden Herzens.
Auf seinen ausgedehnten Vortragsreisen durch die ganze Welt traf er bald schon mitzahlreichen Vertretern anderer Religionen zusammen. Immer wieder führten ihnseine Wege auch mit dem Dalai Lama zusammen, mit dem ihn seit vielen Jahreneine Herzensfreundschaft verbindet. Im Austausch mit buddhistischen undhinduistischen Mönchen erkannte er, dass sich deren Ordensregeln kaum von denender Benediktiner unterschieden. Die Achtsamkeit für die alltäglichen Dinge desLebens und die Präsenz im Augenblick sind Bestandteil aller monastischenTraditionen. Als einer der ersten christlichen Mönche erhielt er in den 1960erJahren die Gelegenheit, einige Zeit in einem Zen-Kloster zu leben. Hier fühltesich der Benediktiner zutiefst beheimatet. Hier erfuhr er auch die zentrale Bedeutung der Dankbarkeit für den spirituellen Weg. Denn im Zen-Kloster, soerzählte er, verneigte man sich vor allem, vor jedem Menschen, jeder Tasse Tee, jedem Raum und selbst vor der Latrine. »Das dankbare Leben ist die große Fruchtmeiner Begegnung mit dem Buddhismus«, so Bruder David.
Seinen Wiener Charme hat der an der Ostküste der USA lebende Mönch nie eingebüßt. Icherinnere mich lebhaft daran, wie er mir bei unserer ersten Begegnung anlässlichder Einweihung des Schweizer Meditationszentrums Felsentor freudestrahlendentgegenkam und galant die Hand küsste. Diese Geste, gemeinsam mit seineraußergewöhnlichen Ausstrahlung an Herzenswärme und Güte, haben mich vom erstenAugenblick an für ihn eingenommen. »Herz spricht zu Herz«, so nennt BruderDavid das Wirken der Dankbarkeit. Für ihn ist das Herz der Ort, an dem sich die Menschen- und Gottesbegegnung vollzieht.
Bruder David erinnert uns daran, alles, was uns begegnet, als Geschenk zu würdigen.
Inseinen Vorträgen und zahlreichen Publikationen erinnert Bruder David daran,nichts in diesem Leben als gegeben oder als selbstverständlich zu erachten,sondern alles, was uns begegnet, als Geschenk zu würdigen. »Die Dankbarkeit isteine spirituelle Praxis, die sehr schnell Resultate zeigt. Wenn wir uns am Morgen vornehmen, dankbar zu sein für alles, was uns an diesem Tag begegnet,werden wir am Abend bereits spürbar glücklicher sein.« Auf die Frage nach demWirken der Dankbarkeit in seinem eigenen Leben, sagte er: »Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, haben sich alle Schicksalsschläge als die Quelle einerguten Entwicklung herausgestellt. Manchmal muss man lange warten, um das zuerkennen. So aber ist das Leben: Alles Schwere wendet sich letztlich doch zuunserem Besten.«