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Viel wird darüber gesprochen, was Führende mit einem weiteren Bewusstsein anders machen. Barrett Brown hat es in einer Studie untersucht und basierend auf einem entwicklungspsychologischen Ansatz Führungskräfte befragt. Wir sprachen mit dem Leadership-Berater über die Ergebnisse seiner Studie.
evolve: Sie haben vor Kurzem eine ungewöhnliche Studie mit Führungskräften durchgeführt, die sich mit komplexen Veränderungsprozessen beschäftigen. Was wollten Sie dabei herausfinden?
Barrett Brown: Ich engagiere mich seit 1995 in Nachhaltigkeitsarbeit auf regionaler, landesweiter und internationaler Ebene. Dabei ist mir aufgefallen, dass die Führenden in vielen Organisationen – NGOs, Firmen, Regierungsbehörden – oft heillos überfordert sind und mit der Komplexität ihrer Aufgaben nicht zurechtkommen. Beispielsweise ist es oft sehr schwierig, mit den emotionalen Feinheiten und Nuancen umzugehen, die sich einstellen, wenn man mit vielen verschiedenen Interessengruppen zu tun hat. Zudem haben sie mit Selbstsabotage zu kämpfen, deren Ursache in den psychologischen Schattenthemen und einer begrenzten Weltsicht liegt. Es hat mich besonders interessiert, wie Menschen mit höher entwickelter Handlungslogik komplexe Veränderungsprozesse entwerfen und durchführen.
e: Was meinen Sie mit Handlungslogik?
BB: Die Handlungslogik hat damit zu tun, wie wir die Wirklichkeit organisieren. Der Ausdruck wird in der psychologischen Forschung zu Selbst-Identität oder Ich-Entwicklung verwendet, die ursprünglich von Jane Loevinger durchgeführt und später von Susanne Cook-Greuter und Bill Torbert fortgesetzt wurde. Die Handlungslogik beschreibt die Entwicklungsstufe der Sinngebung, die unser Denken und Verhalten bestimmt und antreibt. Die Handlungslogik umfasst, was wir als unseren Lebenssinn betrachten, die Bedürfnisse, die unserem Handeln zugrunde liegen, die Ziele, an denen wir uns orientieren, unsere Erfahrung des In-der-Welt-Seins und die Art, wie wir über uns selbst und die Welt denken. Je höher entwickelt eine Handlungslogik ist, desto komplexer sind ihre Fähigkeiten in diesen Bereichen. Ich habe knapp drei Dutzend unterschiedliche Führungspersonen aus aller Welt aus Wirtschaft, Regierung und Gesellschaft untersucht. Darunter war eine Untergruppe von dreizehn Führungspersonen, die in die weitentwickelten Stufen einzuordnen sind, die von Bill Torbert als transformative, alchemistische und ironische Handlungslogik bezeichnet werden.
Vertrauen in die Intuition
e: In Ihrer Forschungsarbeit haben Sie berichtet, dass es drei Wege gibt, auf denen sich diese Führungskräfte komplexen Veränderungsprozessen nähern: Sein, Reflexion und Engagement. Dabei hat mich beeindruckt, dass sich diese Führenden aktiv mit „Bewusstseinsarbeit“ beschäftigen – also mit der Kultivierung von Tiefe, Sinn und Gewahrsein.
BB: Ja, sie betrachten ihre Arbeit als spirituelle Praxis. Ihre Arbeit ist von einem Empfinden des Heiligen erfüllt und basiert auf transpersonaler Sinngebung. Ihre Arbeit dient etwas weit Größerem als ihnen selbst: für manche ist es Gott, für manche der Dienst an der Menschheit, für wieder andere der Dienst am Kosmos und an allem, was ist. Ein weiterer entscheidender Wesenszug ist die Fähigkeit, sich zutiefst auf Unsicherheiten einzulassen, sowie ein sehr starkes Vertrauen in sich selbst, in andere und in den Prozess. Sie sind bereit, Nichtwissen anzunehmen, und arbeiten intensiv mit den Unsicherheiten, die auftreten, wenn man Interventionen zur Förderung von Veränderungsprozessen entwickelt.
Wenn das System eine gewisse Komplexität erreicht hat, kann man es nicht einfach linear von A nach B bewegen.
e: Die Führungskräfte, die Sie untersucht haben, wiesen auch eine hohe Kompetenz in fortgeschrittenen konzeptuellen Bezugssystemen auf, wie der Systemtheorie, der Komplexitätstheorie, der integralen Theorie und/oder Polaritätstheorie. Aber sie nähern sich diesen konzeptuellen Bezügen nicht allein kognitiv.
BB: Genau, sie ergänzen diesen konzeptuellen Rahmen durch Intuition. Sie verlassen sich nicht allein auf die reine Analyse im Rahmen von Komplexitätstheorien u. Ä., sondern sie stimmen sich auch zutiefst ein auf die intuitiven Informationen, die sie erhalten. So füllen sie die Lücken in den Bereichen, wo sie keine ausreichenden analytischen Informationen erhalten, mit denen sie sinnvoll arbeiten können.
e: Wie verstehen Sie Intuition bei diesen Führungspersonen?
BB: Ich verfüge nicht über Daten darüber, woher sie ihre Einsichten bekommen, aber sie haben oft darüber berichtet, dass sie Informationen nutzen, die sie durch Intuition erhalten haben und dass dies für sie sehr wichtig war, um einen Weg durch die Komplexität zu finden. Alle Führungskräfte, die aus so weitentwickelter Handlungslogik agieren, verfügen über irgendeine Form von spiritueller Praxis. Diese intuitiven Erkenntnisse ergeben sich oft dann, wenn sie sich in einem meditativen oder yogischen Zustand der tiefen Präsenz befinden, in dem Flow entsteht. Wenn der konzeptionelle Verstand ruhig wird, kann sich dieser Raum öffnen, sodass das Flüstern der Intuition hörbar wird. Die Erforschung der Handlungslogik zeigt, dass bei der Entwicklung in diese späteren Stufen die intuitiven Fähigkeiten immer stärker werden. Wenn die egoischen Strukturen des Selbst zum Objekt werden, erkennen wir, dass diese Strukturen und die Welt, die wahrnehmen, konstruiert sind. Diese „Auflockerung“ unserer Wirklichkeit schafft Raum, durch die das Licht der Intuition hindurchkommen kann.
Im Dialog mit dem System
e: Sie beobachten, dass diese Führungspersonen im Umgang mit der Komplexität ihrer Veränderungsinitiativen sich in einen Prozess begeben, den Sie „adaptives Designmanagement“ nennen. Wie funktioniert das?
BB: Ja, sie nutzen eine bewegliche Gestaltungsweise oder, wie es im Bereich der Komplexitätstheorie heißt, eine „dynamische Steuerung“. Sie treten in einen „Dialog“ mit dem System, mit dem sie arbeiten, um das Design fortlaufend anzupassen. Wenn das System eine gewisse Komplexität erreicht hat, kann man es nicht einfach linear von A nach B bewegen. Aber man kann das System wirklich zu verstehen versuchen, im Dialog mit ihm sein, Informationen sammeln und Anpassungen vornehmen. Ich spreche hierbei vom „Dialog mit dem System“. Auf drei Arten wird dieser Dialog geführt: durch den Blick auf das System, durch das System und als das System. Zuerst schauen sie auf das System mithilfe objektiver Daten, das heißt, sie schauen sich Marktanalysen, Umfrageergebnisse oder Interviews an. Als Nächstes schauen sie durch das System, indem sie direkt mit den Akteuren reden oder die Perspektive jeweils unterschiedlicher Teilhaber des Systems einnehmen. Die dritte Art, in Dialog zu treten, besteht darin, dass sie sich selbst hineinbegeben und als das System darauf schauen. Sie nehmen eine Perspektive ein, in der sie das System sind. Ein Beispiel: Wenn Sie Geschäftsführer einer Organisation sind, dann können Sie eine Systemaufstellung machen, Sie stellen also Repräsentanten für die verschiedenen Teilhaber des Systems auf, etwa die Lieferanten, Kunden, Investoren, Angestellten, Bürger oder die Umwelt. Dann fühlen Sie sich in das System ein und schauen, welche Art intuitiver Information auftaucht. Das ist eine Möglichkeit, intuitive Informationen über das System zu gewinnen.
Viele Führungskräfte sind sich dessen nicht bewusst, dass sie ihre Weltsicht neu formen können.
e: Diese Führungskräfte scheinen die Dimensionen des Konkreten und des Bewusstseins gleichermaßen in ihrem Gewahrsein zu halten. Es scheint, dass sie sich zwischen diesen beiden Dimensionen hin- und hergehen können, sodass sie in den komplexen Initiativen, die sie führen, mit Anpassung und Flexibilität reagieren können.
BB: Diese Verbindung des Konkreten und des Bewusstseins ist eine schöne Formulierung. Die Führenden haben erkannt, dass das Gelingen ihrer Aufgabe vor allem eine Grundlage hat: „Ich selbst muss wachsen und mich verändern, ich werde eine Wandlung durchlaufen müssen!“ Darin liegt die Erkenntnis, dass wir eine neue Daseinsweise erreichen müssen, wenn wir eine neue Wirklichkeit schaffen wollen. Und wir müssen mit den neuesten Entwicklungen in unserem Fachgebiet vertraut sein. Führungskräften, die in solcher Weise arbeiten, ist es auch ein Anliegen, andere in ihrer Transformation zu unterstützen. Sie fordern die Menschen in ihrem Arbeitsumfeld heraus und unterstützen sie. Denn sie erkennen, dass auch ihre Teammitglieder sich entwickeln müssen – z. B. eine tiefere Intuition kultivieren oder einem tieferen Teil ihres Selbst vertrauen –, um diese Arbeit zu tun. Dies sollte natürlich so umgesetzt werden, dass es für die Entwicklung der einzelnen Menschen angemessen ist. Auch in der Art und Weise, wie die Führenden mit ihrem eigenen Bewusstsein umgehen, kann man diese Kombination des Konkreten und des Bewusstseins finden. Die Führenden auf den späteren Stufen kümmern sich oft auch um ihre egozentrischen Bedürfnisse. Sie können sich auch Themen im Zusammenhang mit Macht, Sex und Geld in einer gesunden Weise zuwenden. Weil sie offen mit diesen egozentrischen Anteilen umgehen, drücken sie sich nicht in einer Schattenform aus. Sie kümmerten sich auch um das Konkrete des „Ichs“. Menschen, die in Veränderungsprozessen arbeiten, landen oft im Burn-out, sie opfern ihr ganzes Leben einer Sache, die dann wie ein schwarzes Loch erscheinen kann – „Ich habe mein ganzes Leben, mein Geld, meine Energie hineingegeben und immer noch gibt es unzählige Dinge zu tun und Milliarden von Menschen, die Hilfe brauchen.“ Im Gegensatz dazu ist es den Führungskräften, die ich untersucht habe, wichtig, sich um ihre gesunden egozentrischen Bedürfnisse zu kümmern. Dies gibt ihnen ein starkes Fundament für ihre wichtige lokale oder globale Arbeit.
e: Es ist interessant, dass Sie hier Burn-out erwähnen. Konnten Sie feststellen, dass diese Führungskräfte späterer Entwicklungsstufen nicht so stark vom Burn-out betroffen waren als andere Führungskräfte?
BB: Ich habe keine Daten dazu, aber mein Eindruck in der Arbeit mit diesen Führenden und vielen Veränderungsberatern auf verschiedenen Bewusstseinsebenen ist, dass mit dem Übergang in eine spätere Entwicklungsstufe auch der gesunde Umgang mit diesen früheren egozentrischen Aspekten zunimmt.
Samen pflanzen
e: Diese Handlungslogik einer späteren Entwicklungsstufe ist recht selten. Was sind Ihrer Ansicht nach die Hindernisse auf dem Weg zur Entwicklung dieser neuen Handlungslogik?
Das ist die Schönheit dieses evolutionären Prozesses – wir unterstützen einander dabei, zu wachsen.
BB: Es hängt davon ab, mit wem man seine Zeit verbringt; es kommt auf den Wir-Raum an. Es gibt einen Spruch, er geht etwa so: „Wenn du sehen willst, wer du in Zukunft sein wirst, dann sieh dir die fünf Leute an, mit denen du am meisten Zeit verbringst.“ Wenn man eine bestimmte Stufe erreicht hat, die sich in der Kultur manifestiert, dann gibt es in der Gesellschaft keine Motivation mehr, darüber hinaus zu wachsen. Wir müssen unsere Gemeinschaften bewusst gestalten und darin auch eine Art Spannung nach oben finden, indem wir uns mit Menschen verbinden, die andere Perspektiven und eine höhere Handlungslogik als wir selbst zum Ausdruck bringen. Zudem zeigt die Forschung in der kognitiven Entwicklung – ein verwandtes Forschungsfeld –, dass die Möglichkeit der Entwicklung unserer kognitiven Strukturen steigt, wenn wir uns mehr Zeit nehmen, uns Fragen bewusst zu durchdenken, Aspekte miteinander zu verbinden und alle Perspektiven, die wir erkennen können, zu beachten und zu koordinieren. In der heutigen schnelllebigen Gesellschaft, der es um sofortige Lösungen geht, ist uns das langsame, mühsame Denken oft fremd, das die neuronalen Netzwerke bildet, um später schnell und komplex denken zu können. Das dritte Hindernis bei der Entwicklung einer späteren Entwicklungsstufe in der Handlungslogik liegt in dem Wissen, dass es überhaupt möglich ist, und dieses Wissen dann auch anzuwenden. Viele Führungskräfte sind sich dessen nicht bewusst, dass sie ihre Weltsicht in bedeutsamer Weise neu formen können und dadurch mit weitaus größerer Wahrscheinlichkeit in der Führung transformativer Veränderungsprozesse erfolgreich sind. So wie es möglich ist, eine bessere emotionale Intelligenz und kognitive Fähigkeiten zu entwickeln, können wir auch die Perspektive, durch die wir der Welt Sinn geben, aus eigenem Antrieb transformieren. So können wir uns in eine weisere und mitfühlende Daseinsweise bewegen. Die fortgeschrittensten Führungskräfte, denen ich begegnet bin, tun dies aktiv, um sich darauf vorzubereiten, mit den immer komplexer werdenden Herausforderungen umzugehen.
e: Nur wenige Menschen denken, dass es solche weiteren Entwicklungsmöglichkeiten gibt. Was ist nötig, um die Art der Dissonanz hervorzurufen, die ihnen das Gefühl gibt, dass sie über ihr bisheriges Verständnis der Welt hinausgehen können?
BB: Das geschieht nur, wenn die entsprechenden Samen gepflanzt werden. Glücklicherweise können diese Samen gepflanzt werden, wenn man mit den entsprechenden Leuten in Kontakt kommt oder Medien wie evolve liest oder an Online-Dialogen mit Menschen teilnimmt, die sich für diese Themen interessieren. Und zudem braucht man selbst auch diesen Hunger nach Wachstum und Entwicklung.
e: Wie pflanzen Sie solche Samen?
BB: Bei vielen Beratern für Veränderungsprozesse habe ich gemerkt, dass es eine tiefere Entschlossenheit für die eigene Praxis gibt, um die eigne Präsenz so stark wie möglich einzubringen. Wenn wir in die Räumlichkeiten eines Klienten kommen, dann spürt sie oder er das. In gewisser Weise bieten wir eine neue Daseinsweise in Körper, Geist und Psyche an, um diese verrückte Sache, die wir Leben im 21. Jahrhundert nennen, tiefer zu verstehen. Für viele Führungskräfte ist das sehr hilfreich. Sie sehnen sich danach. Ein großer Teil meiner Arbeit in der Beratung besteht darin, den Menschen ihre eigene Präsenz zu spiegeln. Und natürlich sind auch die Leute, mit denen ich arbeite, ein Spiegel für mich, um meine eigenen Widersprüche, mein Potenzial und meine Entwicklungsmöglichkeiten zu sehen. Das ist die Schönheit dieses evolutionären Prozesses, in dem wir uns alle befinden – wir unterstützen einander dabei, zu wachsen und uns zu transformieren. Mögen wir dies mit all der Umsicht, Liebe und Weisheit tun, die notwendig ist, um eine Welt zu schaffen, in der wir alle leben wollen.
Author:
Dr. Elizabeth Debold
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