Im Rachen des Tigers

Our Emotional Participation in the World
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Interview
Published On:

July 17, 2023

Featuring:
Alnoor Ladha
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Issue:
Ausgabe 39 / 2023
|
July 2023
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Eine neue Synthese

Aktivismus verliert leicht die eigene Verstrickung in die Dualität des neoliberalen Denkens aus dem Blick. Für Alnoor Ladha sind Wissenschaft und Weisheit, Verstehen und Verbundenheit die Grundlage für einen kulturellen Umbruch, der die Banalität des Bösen überwinden könnte.

evolve: Wie kann sich der Aktivismus heute weiterentwickeln?

Alnoor Ladha: Ich finde den traditionellen Aktivismus nicht besonders hilfreich. In der Welt nach Occupy müssen wir darüber nachdenken, was Aktivismus und sozialer Wandel bedeuten. Ich denke viel darüber nach, wie wir eine Vernetzung zwischen den Aktivisten aufbauen können. Und wie wir bei Aktivisten ein bewussteres, spirituelleres Verständnis von Denken, Sein und Handeln wachrufen können.

Gleichzeitig finde ich auch die Haltung vieler spirituell interessierter Menschen nicht hilfreich, die von sich sagen: »Politik ist nichts für mich.« Wenn wir die unsichtbare Wirksamkeit einer Ideologie nicht verstehen, dann beziehen wir trotzdem Stellung, weil wir den Status quo festigen. Eine strukturelle Perspektive unterstützt die spirituelle Arbeit und umgekehrt. Aus einer spirituellen Perspektive erkennen wir, dass keiner von uns frei ist, wenn nicht alle frei sind. Die Rettung kommt nicht durch das Meditieren in Abgeschiedenheit. Es gibt ein großartiges buddhistisches Sprichwort, das besagt: Erleuchtung geschieht nicht in einer Höhle, Erleuchtung geschieht im Rachen eines Tigers. Die in der spirituellen Bewegung oft geäußerte Annahme, dass man entweder ein politischer oder ein spiritueller Mensch sein kann, ist sehr problematisch.

Dabei wird ein entscheidender Transformationsprozess ignoriert: Wenn man sich sozial engagiert, werden tiefgreifende spirituelle Prozesse ausgelöst. Man muss mit ganzem Herzen akzeptieren, was ist, während man es gleichzeitig kritisiert. Wir kommen in einen nondualen Zustand von Kritik und Erneuerung, in dem wir erkennen, was in der Welt schiefläuft, und konkret etwas dagegen tun, statt nur ein erleuchtetes Verständnis von den Problemen zu bekommen.

In diesem Prozess wirst du auf die Probe gestellt. Wir haben zum Beispiel eine drei Jahre dauernde Kampagne gegen die Weltbank und ihren Umgang mit Landnutzungsrechten gemacht. Ich dachte, ich hätte innerlich eine tiefe Akzeptanz entwickelt, aber als ich dann in einer Besprechung einem Technokraten gegenübersaß, der mir sagte, es sei vertretbar, 20 Millionen Menschen umzusiedeln, weil dies für ein Projekt mit Monsanto notwendig war, das schließlich zu einer besseren Ernährung der Menschen beitragen würde, da verstand ich die Banalität des Bösen. Das waren Momente, in denen ich wirklich die Beherrschung verloren habe und in tiefe existenzielle Abwärtsspiralen gefallen bin. Wenn du ein kalifornisches spirituelles Leben führst und am Wochenende Kurse im Esalen Institut besuchst, kommst du nicht in Situationen, die dich in dieser Weise auf die Probe stellen. Weil du dabei nicht nur deinem inneren Schatten begegnest, sondern auch dem kollektiven Schatten. In der politischen Arbeit und im Aktivismus ist das unvermeidlich. Für mich ist beides eng miteinander verwoben.

Völliger Einsatz und totales Loslassen

e: Wie kann solch ein Aktivismus heute wirksam sein?

AN: Aus memetischer Sicht ist es wichtig, die Kultur über Artikel in Zeitungen und Zeitschriften, soziale Medien, Wissenschaften, Film und Fernsehen bis hin nach Hollywood zu beeinflussen. Denn die Kultur, die Regeln, auf die wir uns beziehen und nach denen wir handeln, ist Ausdruck der kollektiven Täuschung. Sie zu beeinflussen, ist also sehr wirkungsvoll. Ob diese Arbeit erfolgreich sein wird? Wer weiß das schon. An einem Tag denkst du, die ganzen Anstrengungen zahlen sich nicht aus, und dann gibt es Tage, an denen du siehst, dass du wichtige Entscheider beeinflusst hast.

»Unsere Evolution als Menschheit ist die Lösung für unser drohendes Scheitern.«

Für mich ist das alte lineare Modell der NGOs von Ursache und Wirkung – ich ­habe X getan und deswegen ist Y geschehen – von Ego, Fundraising und Markeninteressen geprägt. Es folgt diesen neoliberalen Attributen und basiert auch auf einer sehr vereinfachten Sicht der Welt. Einschätzungen nach dieser traditionellen Art interessieren mich nicht besonders. Ich will die Kultur beeinflussen und helfen, die bessere Welt zu schaffen, von der wir alle wissen, dass sie möglich ist. Das erfordert totales Loslassen und gleichzeitig völligen Einsatz, bei dem wir wissenschaftliche Methoden nutzen. Aber nicht rationalistisch auf Ergebnisse fixiert oder mit der Hybris des Wissens. In vielerlei Hinsicht weiß ich nicht, wie effektiv wir sind und ich sage das auch unseren Unterstützern. Auf der anderen Seite lernen wir, wie wir Meme schneller erkennen und soziale Medien und Diskussionen besser analysieren können. Aber man kennt die Halbwertszeit einer Idee nie. Und der Mystiker in mir muss das akzeptieren.

Als Mystiker und Anarchist muss ich den Tanz zwischen Kreation und Umsetzung auf der einen Seite und Hingabe und Vertrauen auf der anderen Seite tanzen. Der Schlüssel liegt darin, zu wissen, was wann angemessen ist und wie es das eigene Handeln beeinflusst. Ist mein Einsatz erfolgreich? In gewisser Weise spielt das keine Rolle. Warum engagiere ich mich dann in dieser Arbeit? Weil sie jenseits des Wissens wirksam ist, in nicht greifbarer Weise, nicht nach konventionellen Prinzipien messbar. Das ist mein Karma und es gibt nichts, was ich lieber tun würde.

Wenn du verstehst, was mit dem Klimawandel und der globalen Ungleichheit geschieht, kann dich das überwältigen. Du musst die Vision im Auge behalten, dass wir als Menschheit durch diese Initiation gehen und uns als Kultur und planetarer Organismus entwickeln. Dafür brauchen wir nonduales Denken, damit wir die Fesseln des alten kartesischen Denkens abwerfen können.

Wir brauchen sowohl die Kritik und die Analyse unserer gegenwärtigen Lage als auch die Vision einer post-kapitalistischen Welt. Unsere Evolution als Menschheit ist die Lösung für unser drohendes Scheitern. Die Bewegungen des Aktivismus sind ein Teil dieses notwendigen Schrittes, und die spirituelle Bewegung trägt einen anderen Aspekt dazu bei. Jetzt ist es Zeit für eine Synthese und Symbiose. ■

Das Gespräch führte Elizabeth Debold für die Ausgabe 12/2016 – das gesamte Interview finden Sie auf evolve-world.org

Author:
Dr. Elizabeth Debold
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