Kreatives Zusammenspiel

Our Emotional Participation in the World
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Essay
Published On:

October 19, 2016

Featuring:
Barbara Frederickson
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Issue:
Ausgabe 12 / 2016:
|
October 2016
Was können wir tun?
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Die Menschheit steht wahrscheinlich am Beginn eines neuen Zeitalters. Ausgelöst durch die Informations- und Kommunikationspotenziale von Internet und Smartphone werden Entwicklungen möglich, von denen frühere Generationen kaum zu träumen wagten. Doch Technik ist nur das Skelett von Wirtschaft und Gesellschaft. Die Verwirklichung der durch sie ermöglichten Träume gelingt erst durch einen entsprechenden kulturellen Geist, durch Ideen, die auch das menschliche Potenzial auf die Höhe dieser Technik erheben und begeistern. Erst dann können die Eierschalen der Vergangenheit abfallen und neue menschliche Welten wie Phönixe aus deren Asche aufsteigen.

Doch welche neuen Ideen vermögen dies? Haben nicht die Experimente des 20. Jahrhunderts gezeigt, dass alle Utopien letztlich beschränkt sind und daher die gegenwärtige westliche soziale Marktwirtschaft der beste Kompromiss zwischen unfreiem Sozialismus und Raubgier-Kapitalismus ist? In gewisser Weise ist das so. Doch soziale Marktwirtschaft beruht auf einer uralten großartigen Idee, die sie aufgrund ihrer Geschichte bisher erst ansatzweise zum Blühen bringen kann.

»Gott, Buddha, Allah etc. … ist Liebe« ist nicht zufällig die Essenz aller großen Religionen. Doch gerade weil das Wort »Liebe« so alltäglich und vielfältig verwendet wird, verdeckt es oft den tieferen Sinn dieses Begriffs: die Integration der beiden stärksten Pole der Existenz, nämlich Verbundenheit und Freiheit.

Daher braucht es vielleicht einen neuen, modernen Begriff dafür. Und vielleicht ist dies »Ko-Kreativität«. Denn kein anderer Begriff integriert so deutlich wie dieser die drei Dimensionen, welche der Begriff­ »Liebe« mehr oder weniger unbewusst schon immer umfasst: Zum Ersten die Bejahung und kreative Freiheit des eigenen oder anderen Ichs, die sich entfaltet, wenn Einzelne sich ihrer bei aller Verbundenheit allen Seins dennoch einzigartigen Existenz und Begabung bewusst werden. Zum Zweiten die bei aller Einzigartigkeit des Individuums immer wirksame Resonanz mit anderen Individuen, woraus die Freude vieldimensionaler Verbundenheit und eine das Potenzial des Einzelnen manchmal unendlich übersteigende gemeinsame Kreativität erwachsen kann. Zum Dritten den tieferen Sinn jeglicher Kreativität, die nur dann wirklich gute und schöne Werke oder Innovationen hervorbringt, wenn sie nicht egohaft abgespalten, sondern als einzigartige Mitschöpfung der Evolution verstanden, gefühlt und verwirklicht wird.

¬ Weil das Wort »Liebe« so alltäglich und vielfältig verwendet wird, verdeckt es oft den tieferen Sinn dieses Begriffs. ¬

Die Pionierin der Positiven Psychologie Barbara Frederickson beschreibt in ihrem Buch »Die Macht der Liebe«, dass zwischenmenschliche Resonanz eine entscheidende kreative Energie sowohl für Gesundheit und Glück der Einzelnen, als auch für die Zukunft unserer Welt ist. »Liebe besteht aus Sekundenbruchteilen emotionaler Verbundenheit, die unsere Psyche, unseren Körper und unser soziales Umfeld positiv beeinflussen. … Unser ganzes Leben profitiert von diesen kurzen Momenten der Verbindung zu anderen Menschen, die wir nicht einmal kennen müssen. Sie erweitern unsere Wahrnehmung, unser Bewusstsein und unsere Kreativität. ... Diese Art von Liebe lässt sich fördern und sie hat die Macht, unsere Welt zum Guten zu verändern.«

Vielleicht taucht der Begriff Ko-Kreativität erst jetzt auf, weil die Evolution oder Geschichte der Menschheit an einem entscheidenden Punkt angekommen ist: Freie menschliche Kreativität schuf all die wundervollen Fortschritte von Wissenschaft und Technik, welche ein relativ sorgenfreies und erfülltes Dasein der jetzt und künftig lebenden Menschen ermöglichen kann. Doch um dies auch zu verwirklichen und nicht mit einfacher Fortsetzung bisheriger Formen die irdischen Lebensgrundlagen zu gefährden, braucht es neue Dimensionen menschlicher Kreativität: wirkliche Ko-Kreativität.

Diese ko-kreative Qualität ist natürlich nicht völlig neu. Auch in der bisherigen Geschichte gelangen viele bedeutsame technische, gesellschaftliche oder kulturelle Innovationen nur im Zusammenspiel kreativer Einzelner. Doch bisher waren dies eher Zufälle und selten Folgen einer bewussten Ko-Kreativität, die eine neue Dimension menschlicher Freiheit und Verbundenheit verwirklicht.

Einander freudvoll potenzierendes und für Egozentrik kritisches Zusammenspiel der kreativen Potenziale vieler Einzelner dürfte spielend in der Lage sein, neben weiteren technischen auch jene gesellschaftlichen und ökologischen Innovationen hervorzubringen, welche eine lebenswerte Zukunft von Mensch und Erde ermöglichen.

Author:
Prof. Maik Hosang
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